„Es wird sich einiges verändern“
salto.bz: Frau Mitterstieler, wie geht’s zwei Tage vor der Nationalratswahl in der News-Redaktion zu?
Esther Mitterstieler: Ordentlich (lacht). Meine KollegInnen sind schon wieder ausgeschwärmt, weil wir natürlich auch digital unterwegs sind und jetzt (Freitag Nachmittag, Anm. d. Red.) noch die Stimmung bei den Abschlussveranstaltungen einfangen. Wir sind in diesen Tagen wirklich rund um die Uhr im Einsatz, mit Internet und Print. Am Sonntag und Montag werde ich dann auch noch in der Zeit im Bild mitanalysieren. Also, ich bin ehrlich gesagt ganz froh, wenn das alles vorbei ist.
Die Printausgabe der Wochenzeitung News erscheint jeweils am Freitag. In dieser Woche mit der Titelgeschichte: „Prominente Österreicher fordern Anstand in der Politik zurück“. Hat dieser Wahlkampf wirklich nur Assoziationen an Schmutzkübel hervorgerufen oder gab es auch spannende oder überraschende Momente?
Das was übrigbleibt, ist leider schon das gegenseitige Hickhack der Parteien. Das hat man am Donnerstag auch noch einmal in der letzten Abschlussrunde gesehen. Und die Themen waren wirklich von Anfang an immer die gleichen, die sehr stark von Sebastian Kurz vorgebeben wurden: Grenzen, Integration, Migration. Kanzler Christian Kern konnte dagegen zu wenig mit Inhalten punkten, der war dauernd nur in der Defensive. Und Heinz-Christian Strache ist der lachende Dritte, dem traue ich am Sonntag wirklich viel zu.
Also könnte Österreich doch noch seinen ersten blauen Kanzler bekommen oder steht schon fest, dass der nächste Kanzler Sebastian Kurz heißt?
Ich denke, dass Kurz knapp vorne sein wird, gefolgt von Strache. Christian Kern wird dagegen Dritter werden.
Wenn wir zwei Jahre zurückblicken, in den Sommer 2015, lagen die drei Parteien noch nahezu Kopf an Kopf. Dann kam die Flüchtlingskrise und HC Strache zog den anderen davon. Bis zum Frühling 2017 als Sebastian Kurz die Führung der ÖVP übernahm und ihn überholte...
Auch Christian Kern hatte zeitweise sehr gute Werte, als er zu Jahresbeginn seinen Plan A vorgestellt hat. Doch er hat sicher einen Einschätzungsfehler gemacht, als er nach dem Rücktritt von Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner im Mai keine Neuwahlen wollte. Damals hätte er noch den gleichen Effekt für sich nutzen können, der Kurz nun einen solchen Auftrieb gibt....
Also die neue und frische Kraft zu sein?
Ja, doch da hat er sich offensichtlich nicht darüber getraut. Auch wenn Kern selbst das natürlich anders sieht und von Verantwortungsübernahme für das Land spricht. Doch so funktioniert Politik eben nicht.
"Als Südtirolerin hoffe ich zum Beispiel schon sehr, dass der Brenner offen bleibt. Aber sicher bin ich mir nicht."
Stattdessen funktioniert sie offenbar so, dass all jene punkten, die den Menschen eine vermeintliche Sicherheit in unsicheren Zeiten versprechen – mit geschlossenen Grenzen bzw. Balkan- oder Mittelmeerrouten. Oder ist das zu vereinfacht dargestellt?
Es ist zwar vereinfacht, aber sicher richtig. Das Flüchtlingsthema hat den Wahlkampf wirklich sehr stark dominiert. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass ein solches Thema beunruhigt, dass fremde Kulturen oft auch Angst machen, vor allem wenn die Menschen die eigene Sprache nicht sprechen. Doch das Ausmaß, in dem die Leute sich fürchten, ist schon übertrieben. gor allem im Verhältnis zur Bedeutung, die Flüchtlinge für das Leben der meisten ÖsterreicherInnen tatsächlich haben. Jene Themen, die sich tatsächlich betreffen, sind dagegen viel zu kurz gekommen in diesem Wahlkampf.
Neben politischer und teils auch medialer Instrumentalisierung werden solche Ängste aber zum Beispiel auch von den regelmäßigen Schlagzeilen über IS-Attentate in europäischen Städten geschürt.
Klar, nur werden die von Menschen begangen, die bei uns aufgewachsen sind. Also, da muss ich eher die Frage stellen, inwiefern Integration funktioniert.
Was kann man aus den aktuellen Umfragewerten über die politische Stimmung in Österreich herauslesen?
Es ist ziemlich klar, dass die Mehrheit im Land Mitte-Rechts und nicht Mitte-Links will, auch wenn sich das viele wünschen mögen. Das ist einfach so, auch nach dem Präsidentenwahlkampf von Van der Bellen, das war eine andere Geschichte. In dem Sinne sehe ich auch die Tendenz, dass sich das Land ein Stück weit in sich selbst einigelt. Also, als Südtirolerin hoffe ich zum Beispiel schon sehr, dass der Brenner offen bleibt. Aber sicher bin ich mir nicht.
Relativ klar scheint dagegen, dass Christian Kern als Kanzler abgewählt wird. Gilt auch eine Neuauflage der Großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ als ausgeschlossen, nach den Gemetzel der vergangenen Monate – um nicht zu sagen der vergangenen Jahrzehnte?
Naja, die zwei, also K & K (Kurz und Kern, Anm. d. Red.), können sicher nicht miteinander. Wenn dagegen zum Beispiel Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil Kern ablösen würde, wäre es schon eine andere Sache. Generell sieht es aber nicht wirklich nach einer Neuauflage aus. Das Problem ist nur weiterhin, dass die Optionen beschränkt bleiben, solange es hier kein Mehrheitswahlrecht gibt. Denn eine Koalition zwischen ÖVP, Neos und Grünen wird sich zahlenmäßig wohl nicht ausgehen. Genauso wenig wie eine der SPÖ mit Neos und Grünen. Also, bleibt die große Koalition die wahrscheinlichste Option, wenn auch wahrscheinlich mit anderen Farben als bisher.
Sprich, schwarz-blau oder auch rot-blau? Sind die Blauen als Regierungspartei bereits gesetzt?
Es sieht zumindest ganz so aus.
"Es ist ziemlich klar, dass die Mehrheit im Land Mitte-Rechts und nicht Mitte-Links will, auch wenn sich das viele wünschen mögen. Das ist einfach so, auch nach dem Präsidentenwahlkampf von Van der Bellen."
Mit seiner ersten schwarz-blauen Koalition von 2000 bis 2005 stieß Österreich zumindest anfangs europaweit auf starke Ablehnung. Denken Sie, das wäre diesmal ähnlich?
Da hat sich in der Zwischenzeit sicher einiges verändert, es gibt in Europa auch nur mehr wenig sozialdemokratische Regierungen. Und man muss schon auch sehen, dass zwischen Rot und Schwarz sehr viel Porzellan zerschlagen worden ist, auch in den unteren Chargen. Deshalb wäre es für Land schon gut, wenn es einmal eine Alternative zu rot-schwarz gibt.
Das heißt, die Blauen in der Regierung sind das geringere Übel als ein Fortschreiben von rot-schwarz?
Es wäre wichtig ein paar Strukturen in diesem Land aufzubrechen. Natürlich wäre es sehr charmant, wenn Österreich einmal entdecken würde, dass man auch zu Dritt regieren kann, aber ob sich das zahlenmäßig ausgeht, ist wie gesagt sehr fraglich.
Auch weil die SPÖ nach ihrer Facebook-Affäre tief fallen wird?
Ich denke, dass die SPÖ letztlich zumindest auf 25 Prozent kommen wird. Denn es gibt immer eine Menge Wähler, die sagen, wir können das Land nicht den Rechten überlassen. Genauso wie es übrigens auch viele gibt, die sagen, ich wähle den Kurz, damit der Strache nicht Kanzler wird. Doch ich glaube, dass die SPÖ schon eine Stammwählerschaft hat, die sie noch ein bissl aus dem Tief reißen wird. Wenn ihr natürlich auch der Peter Pilz weh tut.
Auf dem Wahlzettel geht es diesmal ja so bunt oder breit zu wie nie zuvor. 16 Listen, darunter eine Männerpartei, Obdachlose, ein Kabarettist oder ein abgespaltener Freiheitlicher, der auf seinen Wahlplakaten damit wirbt, dass Südtirol ein Teil Österreichs ist. Ist da noch die eine oder andere Überraschung drinnen oder spielt sich das wahre Rennen zwischen den drei Großen der kleinen Listen ab, also Grünen, Liste Pilz und Neos?
Ich glaube nicht, dass es Überraschungen geben wird. Eher müssen die Grünen, die Neos und Peter Pilz schauen, dass sie keine böse Überraschung erleben und alle reinkommen. Das ist diesmal ein Lagerwahlkampf zwischen den drei Großen, deshalb haben die Kleinen sowieso schon tendenziell ein Problem. Auch aus dieser Optik heraus wäre es höchst an der Zeit, das Wahlrecht zu reformieren
Also, ein Mehrheitswahlrecht einzuführen?
Ja, denn dann kann sich keiner mehr rausreden und sagen, der Koalitionspartner wollte nicht – wie wir es seit Jahrzehnten gehört haben. Natürlich dürfte aber auch bei einem Mehrheitswahlrecht die Hürde für Kleinparten nicht zu hoch sein, damit die demokratischen Regeln garantiert sind.
"Das Ausmaß, in dem die Leute sich fürchten, ist schon übertrieben.. Vor allem im Verhältnis zur Bedeutung, die Flüchtlinge für das Leben der meisten ÖsterreicherInnen tatsächlich haben."
Noch einmal zurück zu diesen Kleinparteien. Die Neos sind laut den letzten Umfragen in diesem Trio leicht vorne. Haben Sie – auch mit der Bundespräsidentenkandidatin Irmgard Griss - einen starken Wahlkampf hingelegt?
Ja, sie waren sehr stark mit Inhalten präsent. Um die muss man sich keine großen Sorgen machen – im Gegensatz zu den Grünen.
Denen vor allem Stimmen von ihrem bisherigen Mitstreiter Peter Pilz streitig gemacht werden?
Man muss schon sagen, dass sich die Grünen bei diesen Wahlen vor allem selbst ein Bein gestellt haben. Und so ist derzeit eher Peter Pilz noch stärker unterwegs als sie, obwohl er eigentlich sehr wenige Themen hat.
Österreich erwartet in jedem Fall ein spannender Sonntag...
Es ist sicher eine der spannendsten Wahlen der vergangenen Jahrzehnte. Und es wird eine Richtungsentscheidung geben, die auf die nächsten zehn Jahre ausgerichtet ist.
Das heißt, es ist abzusehen, dass das Land konservativer wird, wahrscheinlich auch sozial kälter...
Es wird sich einiges verändern. Wenn ich das auch nicht nur negativ sehe. Denn der Sozialstaat ist in Österreich in vielen Bereichen wirklich aufgebläht, da wird viel Geld hineingepumpt, aber vieles ist nicht mehr effizient. Insofern schadet es sicher nicht, wenn man da ein paar Sachen ein wenig anders regelt. Und die große kalte Zeit wird deshalb auch nicht anbrechen. Denn auch eine ÖVP wird nicht nur neoliberal anfahren. Und sollte ein HC Strache in der Regierung sitzen, dessen Partei wahrscheinlich wieder die stärkste Arbeiterpartei sein wird, muss er ohnehin auch auf die kleinen Leute schauen. Doch es wird sicherlich eine stärkere Orientierung in Richtung Leistungsgesellschaft geben. Und wie gesagt, in manchen Bereichen ist das auch nicht wirklich falsch.
Vor allem wird das Land nun aufatmen, dass dieser immer schmutzige Wahlkampf vorbei ist.
Ja, auch wenn die ganzen Affären nicht mit den Wahlen beendet sind. Da gibt es jetzt schon Klagen, auch den Ruf nach einem Untersuchungsausschuss. Für Spannung ist in jedem Fall gesorgt. Und wir haben weiterhin genug zu tun.