Society | Lager Bozen

Sippenhaft im Bozner Lager

Dem Stadtarchiv Bozen werden Relikte einer Südtiroler Familie in Sippenhaft gespendet. Ein Weckruf zu einem Teil Südtiroler Geschichte und das Lager von Bozen.
Lager Bozen
Foto: Stadtarchiv Bozen

Verbitterung und Schmerz. Dies die Reaktionen der Südtiroler Deserteure und deren Familienangehörige auf das Desinteresse, das die Bevölkerung ihnen gegenüber nach Ende des Krieges ausdrückt*.

Dabei sind die Erfahrungen der Deserteure eng mit jener Geschichte verknüpft, die heute immer wieder betont und als identitätsstiftendes Narrativ hervorgehoben wird: eine Geschichte über Optanten und Dableiber, über Menschen, die gezwungen werden, ihrer Heimat den Rücken zu kehren und Menschen, die vom Dritten Reich verraten werden.

Dank einiger originaler Dokumente aus dieser Zeit soll die Erinnerung an die Wehrdienstverweigerer und deren Familienangehörige, aber auch jene an das Bozner Lager, das häufig in Vergessenheit zu geraten droht, wieder aufgefrischt werden.

 

1943, als Italien sich mit den Alliierten verbündet hatte und Südtirol zur Besatzungszone geworden war, wurden Optanten wie Dableiber gleichermaßen in den deutschen Wehrdienst berufen. Hans Gögele war einer von ihnen. Der Bauernsohn aus St. Leonhard im Passeier weigerte sich, den Wehrdienst anzutreten; ein Deserteur.

Die Konsequenz dieser Entscheidung trug Hans Gögele nicht allein: Sein Vater Johann, seine Mutter Rosa und seine Schwester Regina wurden infolge der Wehrmachtsverweigerung bis zur Befreiung 1945 als “Sippenhäftlinge” im Bozner Lager gefangen gehalten. Die Nichte dieser Familie – Roswitha Zöggeler – hat nun dem Stadtarchiv Bozen einige Erinnerungsstücke, die deren Inhaftierung dokumentieren, zur Verfügung gestellt. Das Stadtarchiv wird die Dokumente restaurieren und in die Sammlung aufnehmen.

Bei den Erinnerungsstücken handelt es sich um die Matrikelnummern und Kennzeichen der Inhaftierten; insbesondere die Matrikelnummer von Hans Vater Johann und seiner Schwester Regina sowie das grüne Dreieck, dass die Angehörigen der Deserteure, die Sippenhäftlinge im Bozner Lager kennzeichnete. Verbrochen hatten die Sippenhäftlinge nichts. Die Inhaftierung der Familienmitglieder sollte Deserteure zur Rückkehr und zum Antritt des Wehrdienstes zwingen.

 

Die Desertion war in diesen Jahren aber kein Einzelphänomen. Viele der Deserteure gehörten zu den Dableiben. Vor allem in Tisens, Weißenbach im Ahrntal oder in Deutschnofen, wo Dableiber stark vertreten waren, war die Wehrpflicht im deutschen Heer mit einem Gefühl des Unrechts verbunden. Man hatte sich gegen eine Auswanderung ins Deutsche Reich entschieden; nun in deren Reihen kämpfen zu müssen, wollte man nicht akzeptieren. Anders im Passeiertal: viele der Fahnenflüchtigen waren Optanten, die die Schrecken des Krieges an der deutschen Front bereits miterlebt hatten und sich weigerten, sich weiterhin an einem (aussichtslosen) Krieg zu beteiligen. Unter der Leitung von Hans Gufler bildeten die Passeirer Deserteure das Zentrum des antinazistischen Widerstands in Südtirol, aus der die Partisanenbewegung hervorging*.

Wie die Verantwortliche des Stadtarchivs und Kuratorin der Erinnerung an das Bozner Lagers, Carla Giacomozzi erklärt, sollen die kürzlich gespendeten Gegenstände der Familie Gögele nach der erfolgten Restauration auch ausgestellt werden.

 

*Der hier wiedergegebenen Informationen stammen aus dem Buch "Verfolgt, verfemt, vergessen" und dem Bozner Stadtarchiv.

 

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Karl Trojer Thu, 10/14/2021 - 09:20

Diese Zeit muss für SüdtirolerInnen voller Verunsicherung gewesen sein. Tun wir unser Möglichstes dafür, dass Regime wie jene des Nationalsozialismus und des Faschismus nie wieder die Oberhand gewinnen. Lasst uns den Anfängen wehren ! Den Kriegsdienstverweigerern und den Dableibern gebührt unser Dank; sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Südtirol nach dem Kriege eine Autonomie erhielt.

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Josef Fulterer Fri, 04/26/2024 - 06:28

Unser Vater war bekennender Dableiber, musste mit seinen 46 Jahren, einem schlecht verheilten Trümmerbruch im Fesselgeleck + einer Familie mit 6 kleinen Kindern, musste 1943 im Herbst mit mehreren Berufs-Kolegen zu den Standschützen einrücken.
Auf den Hof kam ein anfag 20Jähriger als Knecht, der mit der damals richtigen Einstellung seiner Familie, "vom Einrücken verschont werden sollte."

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