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Alles Roger?

Auf der Couch der Landesbibliothek Teßmann stellte gestern der Psychiater Roger Pycha sein neues Buch vor. Es bietet leicht lesbare Einblicke in ein schwermütiges Thema.
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Foto: Salto.bz

„Seit vier Jahren drängte der Athesia-Tappeiner-Verlag darauf, dass ich mit ihnen doch ein Buch zum Thema Depression machen sollte“, erinnert sich Roger Pycha an die ersten Schritte zu der gestern in der Landesbibliothek Friedrich Teßmann in Bozen vorgestellten Publikation Depression - viel mehr als Traurigkeit. „Vor allem“, betont Pycha im Vorgespräch mit Salto.bz, weil „Depression die Weltkrankheit 2030 sein wird, wahrscheinlich mit der Pandemie schon bereits 2025.“ Bereits vor 15 Jahren beschäftigte er sich mit dem Buch Auf und ab "Krise" als Unterrichtsstoff publizistisch mit der Thematik. „Das war irgendwie so etwas wie ein Vorläufer. Wir wollten mit dem Buch damals insbesondere Oberschullehrern eine Handreichung bieten, damit sie im Unterricht für die Themen psychische Krise oder psychische Krankheit eine Hilfestellung haben.“
In der Neuerscheinung hat Pycha nun seine Erfahrungen und wissenschaftlichen wie psychologischen Herleitungen – nach einem mehr oder weniger linearen Handlungsstrang –, niedergeschrieben. Er serviert Statistiken, Grafiken, Zeichnungen, bietet Ratschläge zur Selbsthilfe und listet professionelle Hilfen auf. 
 


Schätzungen zufolge leiden weltweit etwa 350 Millionen Menschen unter einer Depression. „Seit 2004 ist Depression sogar die Krankheit mit der weltweit höchsten Belastung für Frauen zwischen 15 und 44 Jahren“, rechnet Pycha im Buch vor, und verweist mitunter darauf, dass an Depression erkrankten Menschen „in Ländern mit hohen Einkommen noch deutlicher als in Staaten mit niedrigen Einkommen ist“. 
 

Leistungs- und Informationsgesellschaft sichern zwar einen hohen Lebensstandard, bedeuten aber auch eine Zunahme an sozialem Stress, der unter anderem Auslöser für häufige Depressionen ist. 
(Roger Pycha)


„Die Pandemie“, betont Pycha, „war eine hohe Gefahr für psychische Verletzungen und vor allem Angststörungen.“ Deren Häufigkeit sei, „nach der akuten Pandemiegefahr wieder zurückgegangen“, was aber geblieben sei, „ist bei vielen Menschen die Verletzlichkeit“ und, dass Depression mitunter auch mit der Covid-Positivität eng verknüpft ist. „Das Risiko steigt“ betont Pycha, „das heißt, wenn Leute Corona bekommen, besteht also eine erhöhte Gefahr zusätzlich depressiv zu werden.“
 


Sein Buch gliedert Pycha zunächst in zwei große Themenbereiche: Depression erkennen und Depression heilen. In den verschiedensten untergeordneten Kapiteln vertieft er – angereichert mit Fallbeispielen aus seiner jahrelangen Erfahrung – die Themen Diagnose, Ausgrenzung, Scham, Verläufe, Auslöser u.s.w., beschreibt aber auch ab Seite 115 das Gegenteil der Depression: Glück und Zufriedenheit. Dabei geht er unter anderem auch den Fragen nach, welche Rolle das Belohnungssystem des Menschen spielt oder ob Tagträumen gut tut. 
Bei einer Depression „fehlt es bei den Transmittern im Gehirn,“ erklärt Pycha, „vor allem fehlt es an Serotonin und Noradrenalin“. Und er kommentiert auch jüngste Erkenntnisse der Wissenschaft, die belegen, dass man mittlerweile „sehr gut über die Haare den Cortisol-Spiegel – Cortisol ist das Stresshormon schlechthin – im Blut bestimmen kann. Wenn also der Cortisol-Spiegel auf längere Sicht erhöht ist, dann kann ich das in den Haaren nachweisen, etwa wie stark sich jemand Stress aussetzt. Das heißt aber nicht, dass eine solche Person depressiv oder angstgestört werden kann oder muss, aber es ist sehr viel wahrscheinlicher.“
 


Pychas Buch will Betroffene, Gefährdete, Mitmenschen von Betroffenen aber auch einfach nur psychologisch Interessierte über eine Krankheit aufklären, über welche kaum gesprochen wird. Begriffe wie Burn-out, Panikattacken, Psychose, bipolar, Psychosomatik oder manisch depressiv werden mit Fachwissen und von Pychas Warte aus erklärt und wenden sich auch gegen weitverbreitete Selbstheilungsmaßnahmen à la Dr. Google: „Dr. Google ist ein bisschen Kraut und Rüben, denn es gibt seriöse, aber eben auch unseriöse Quelle und es ist für Laien nicht immer einfach das eine vom anderen zu unterscheiden. In meinem Buch erkläre ich Grundsymptome, Entstehungsprozesse, was jeder selbst machen kann und was Experten gegen die Depression unternehmen. Das Buch will also ein Gesamtpaket sein, und hoffentlich mehr als Google bieten.“
Auch wenn das Buch Depression - viel mehr als Traurigkeit wegen seiner Thematik stellenweise sehr düster daherkommt, bietet es immer wieder Lichtblicke, wie etwa auf Seite 227, wo der Autor eine Liste möglicher Belohnungen ins Gedächtnis ruft. Die Auflistung reicht von "in der Sonne liegen und träumen" über "Lieblingslieder hören" bis zu "in einem Buch schmökern" und macht den zweiten Teil des 300 Seiten starken Sachbuches (in welchem es mitunter auch um das leidige Thema Psychopharmaka geht) einigermaßen verdaulich. Einigermaßen.