Culture | 10. Architekturpreis

AND THE WINNERS ARE...

"Architektur als Seismograf gesellschaftlicher Verhältnisse" | Die Gewinner des diesjährigen Architekturpreises
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
AP 2022
Foto: Architekturstiftung Südtirol | Studio Mut

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

Text der Jurymitglieder aus dem Turris Babel 127:

Peter Riepl (AT), Sandra Bartoli (IT/DE), Clemens Waldhart (IT/DE/CH)

 

Wenn du erzählst, dass im Zuge einer Architekturjury Südtirol querdurch bereist wird, dann verbindet das kaum jemand mit Arbeit. Zu verklärt ist das Bild dieser Region im angrenzenden Norden, als dass nicht sofort Gedanken an wunderbare Landschaften, reizende historische Orte und genussvolle Kulinarik die Vorstellung beherrschen. Das erwähnte Thema ‚Zeitgemäße Architektur’ bleibt unerhört und wird somit kaum kommentiert.

Das erwähnte Thema ‚Zeitgemäße Architektur’ bleibt unerhört und wird somit kaum kommentiert.

Vorweg kann verraten werden, es ist -wie so oft- eine falsche Gewichtung, die sich in den Köpfen breitgemacht hat, unsere Reise wird diese Ansichten eindeutig widerlegen. 130 Einreichungen, im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist das wahrscheinlich Europarekord! Doch nicht die Anzahl ist das Entscheidende, es ist die großteils hohe Qualität, die beeindruckt. Wir hatten die Qual der Wahl. In mehreren Runden wurden schließlich 26 Nominierungen gefunden, die alle in der Folge vor Ort besichtigt wurden.

Anders als prophezeit war es intensive Arbeit, mehr als 12 Stunden pro Tag, ohne viel Zeit für Pausen dazwischen. Denn die aktuelle Architektur des Landes ist nicht nur hochwertig, sie ist auch sehr vielfältig und vielerorts präsent. Daher hat unsere Reise viele Verzweigungen, Umwege und dergleichen.

Auf der Landkarte erscheint Südtirol überschaubar, doch die darin schwer erkennbare dritte Dimension hat es in sich, sie ist in dieser Region außergewöhnlich manifest. Hier ist räumliches Erleben auch ohne unser Zutun = Architektur allgegenwärtig und das in einer Exzellenz, die durch Menschenhand nicht zu übertreffen ist. Selbst ein Heroe wie Le Corbusier kapitulierte angesichts der Dolomiten und zeichnete diese als schönste Architektur der Welt aus.

Selbst ein Heroe wie Le Corbusier kapitulierte angesichts der Dolomiten und zeichnete diese als schönste Architektur der Welt aus

Somit ist der erste Platz im Architektur-Ranking der Welt und somit auch Südtirols bereits auf alle Ewigkeit vergeben. Unsere Arbeit bestand nun darin, würdevolle Zweite zu finden. Ein Pech, wenn man solche Konkurrenz im Lande hat. Andererseits auch wieder nicht, denn solch permanent präsentes Ambiente ist prägend und weckt das Verständnis für Raum, Licht und Atmosphären.

Otmar Barth, der sozusagen außer Konkurrenz besichtigt wurde -ein Umbau seiner großartigen Cusanus-Akademie in Brixen wurde eingereicht- ist sicherlich ein Kind dieser besonderen Welt, die ihn zu einzigartigen räumlichen Erfindungen befähigte, ein Vermächtnis für Südtirol und weit darüber hinaus. Nebst der besonderen Landschaft ist es die vitale Schnittstelle großer Kulturen, die ihn und andere stimuliert hat.

Es gibt in Südtirol keine Architektur-Schule, diesen Bildungsauftrag erledigt die allgegenwärtige Realität, unterstützt durch Architekturstiftung, Kammer, etc. Die Absolventen einer akademischen Ausbildung kommen aus verschiedenen Richtungen mit unterschiedlichen Anregungen zurück, sodass sich auch keine einheitliche ‚Schule‘ im erweiterten Sinne erkennbar ist. Doch die Abwechslung ist durchaus spannend. Vielleicht wäre eine kalkuliert verfeinerte architektonische ‚Vielsprachigkeit‘ ein interessantes Ziel für eine, dem Land entsprechende Baukunst. Starke Ansätze dazu sind zweifelsfrei erkennbar.

[es] wird immer wieder die Diskursferne bedauert

Von einzelnen Proponenten wird immer wieder die Diskursferne bedauert. Schuld daran ist wahrscheinlich weniger das Fehlen einer Ausbildungsstätte, sondern die an sich positive Tatsache, dass Absolventen hier offenbar rasch ins Tun kommen. Es gibt keine fundamentalen Debatten, die das Land erschüttern. Doch wie sollte das auch sein, dem Land gehts augenscheinlich bestens. Architektur ist schließlich auch Seismograf gesellschaftlicher Verhältnisse. Es bleibt die Faszination einer gewissen Leichtigkeit des Seins … kein so schlechter Zustand!

Ästhetik spielt hier in den meisten Fällen eine übergeordnete Rolle. Stefan Sagmeister versuchte in den letzten Jahren, wie andere auch, das Thema Schönheit neu zu positionieren. In Südtirol ist solch eine Renaissance nicht vonnöten, da grau und rau moderner Industrie- und Vorstädte hier nie präsent waren. Der dominante Tourismus verzichtet auch gerne auf solche Bilder. Die Sonne scheint hier mehr als anderswo. Alles wirkt vollendet, kaum etwas bleibt unraffiniert … zu schön, um wahr zu sein?

Wir hatten Preise in 7 Kategorien zu vergeben, die meisten sind bekannt und auch anderswo in Verwendung. Bemerkenswert ist die Kategorie ‚Junge Architektur‘, diese scheint ein Südtiroler Spezifikum zu sein. Sie bezeugt -was in Gesprächen immer wieder spürbar wird-, dass Wertschätzung, Unterstützung, Kooperation in diesem Land vielleicht stärker als anderswo gelebt wird. Man ist einander nah, das hat möglicherweise mit der Überschaubarkeit und Kompaktheit des Raumes zu tun, sowie mit der Größenordnung der Büros.

 

 

Sieger der Kategorie ÖFFENTLICH (Link)

 

Auffallend ist ein konstant kultivierter Umgang mit dem öffentlichen Bauen. Eine solide Wettbewerbskultur scheint die Basis dafür zu sein. Auch die Umsetzung erfolgt mit Konsequenz und Bedacht, meist umfassend bis hin zur Möblierung und Grafik. Ein akkurates und kontraproduktives Kaputt-Sparen scheint es hier nicht zu geben. Das ist erfreulich, denn es bezeugt eine nachhaltige Perspektive und einen verantwortungsbewussten Umgang mit öffentlichen Ressourcen. Bei kluger Programmierung können öffentliche Mittel mehr bewirken, als nur dem eigentlichen Zweck zu dienen.

Die Eisarena Bruneck und die palazina di servizio del centro sportivo Toggenburg sind mehr als die üblichen Sportanlagen mit Spielfeld und dem Minimalprogramm an Nebenräumen. In beiden Fällen ist es gelungen vielschichtige Begegnungs- und Kommunikationsorte mit niederschwelligem Zugang zu entwickeln, sodass diese zu vitalen Brennpunkten des gesellschaftlichen Lebens werden konnten. Es belegt, dass ein Sensorium für die sozialen Benefits solcher Räume besteht, das anderswo nicht (mehr) vorhanden ist und dazu führt, alles panisch auf das sogenannt ‚Wesentliche‘ zu reduzieren.

Auch die Musikschule in Brixen ist Teil einer weiterführenden urbanistischen Idee. Hier gilt, dass ohne zusätzliche Kosten perspektivischer Städtebau mitbetrieben wird. Es verblüfft, was in dieser Stadt alles in Bewegung gekommen ist. Im Sinne des Diktums von Hans Hollein, ‚Alles ist Architektur‘ werden Gebäude, Plätze Brücken, Licht, Innenräume neu konditioniert. Die Stadt als Gesamtkunstwerk, klingt etwas antiquiert, doch in Ermangelung eines besseren Ansatzes, könnte das immer noch eine lohnenswerte Zielsetzung sein … Brixen als Role Model für die kleinen bis mittleren Städte Europas?

 

Sieger der Kategorie ÖFFENTLICHER RAUM, LANDSCHAFT und INFRASTRUKTURE (Link)

 

Die Kategorie ‚Öffentlicher Raum, Landschaft und Infrastrukturen‘ belegt, dass beim Auslober durchaus die Bereitschaft besteht, expansives Denken fördern zu wollen. Wenn der Kiosk in Meran mit einem Preis ausgezeichnet wurde, dann nicht nur wegen seiner architektonischen Exzellenz, sondern insbesondere auch, weil es Teil einer größer gedachten Infrastruktur ist und zeigt, wie durch kontextuelles Denken bedeutender Mehrwert erzielt werden kann. Eine raffinierte Untertunnelung im Skigebiet der Seiser Alm und ein signifikantes Servicegebäude am Kreuzpass deuten das breite Spektrum des Möglichen an.

 

Sieger der Kategorie WOHNEN (Link)

 

Der Wohnbau beschränkt sich auf überschaubare Größenordnungen, dennoch ist die Vielfalt überraschend groß, vom Terrassenhaus bis zum ausgeklügelten Umbau eines Einfamilienhauses, das nunmehr mehrere Wohnungen beinhaltet. Ein gutes Beispiel für eine künftige Nachverdichtung in den zahlreichen Vorstadtsiedlungen der Nachkriegsjahre. Ebenfalls in Bruneck gesehen, eine unkonventionelle Adaptierung eines Altstadthauses, die beweist, dass sich abseits normierter Pfade ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

 

Sieger der Kategorie TOURISMUS und ARBEIT (Link)

 

Die Zwänge sind in der Regel groß, es gibt meist bereits fixe Vorstellungen, die nicht immer eine gute Ausgangsposition darstellen. Architekt*innen müssen in diesem Zusammenhang auch überzeugend kommunizieren können, um das träge Schiff in die richtige Richtung zu lenken.

Der zunehmende Trend zu touristischen Ressorts hat die Einreichungen geprägt. Doch es erscheint paradox, sich von einer der zweifelsfrei schönsten Landschaften abzuwenden und Surrogate zu errichten … eine neue Welt en miniature. Es lohnt sich stattdessen, das Land rundherum als das eigentliche Schauspiel zu begreifen und nicht ein davon unberührtes ‚Marionettentheater‘ einzurichten. Doch es gibt sie, die Beispiele, die mit angemessenen Mittel Beziehungen herstellen zur Welt rundum, die auf allzu üppiges Beiwerk verzichten, um nicht abzulenken vom Glanz des Wesentlichen.

Mit der Winzerhöhe in Schenna und insbesondere mit dem Hotel Saltus in Jenesien konnten wir zwei schöne Beispiele einer zukunftsfähigen Tourismus-Entwicklung besichtigen. Sorgsam im Umgang mit Ressourcen, unter Einbindung des Bestandes entfalten sie ein zeitentsprechendes Ambiente, das evolutionär neue Themen anspricht. Die Landschaft als besondere Ressource findet ihre Würdigung.

 

Sieger der Kategorie (Link) INNENRAUM ex aequo (Link)

 

‚Innenraum’, eine eher seltene Kategorie. Ein weiteres Indiz dafür, dass es der Ausloberin um eine umfassende Sicht der Dinge geht. Auch das kleinste Detail zählt. Das ist klar gegen den Mainstream der Zeit, der auf raschen Erfolg aus ist und zu Vereinfachungen zwingt. Auch die fast konkurrenzlose Qualität der Südtiroler Handwerksbetriebe kann nicht genug gewürdigt werden und legt einen solchen Preis nahe. Es ist eine besondere Lust, die zahlreichen Resultate anzusehen.

 

Sieger der Kategorie BAUEN IM ALTBESTAND (Link)

 

Dass in diesem Bereich Besonderes passiert, das ist zumindest in Architekturkreisen bekannt. Das hohe Niveau konnte ohne Zweifel gehalten werden. Offenbar gibt es ein gutes Miteinander von Architekt*Innen , Behörden und Bauherrschaft. Bemerkenswert, das breite Spektrum von öffentlich bis privat und die durchwegs sorgfältige, erfindungsreich bis ins Detail gehende Bearbeitung. Die Auswahl fiel gerade in dieser Kategorie nicht leicht.

 

Sieger der Kategorie JUNGE ARCHITEKTUR (Link)

 

Die Jungen arbeiten bereits wie die ‚Großen‘. Das ist einerseits ein Kompliment, es macht andererseits auch nachdenklich. Fehlt der stimulierende Freiraum, der zum Experimentieren einlädt und eine Gesellschaft, die das unterstützt. Fast könnte man diesen Eindruck gewinnen. Doch es gibt Gegenbeispiele, bezeichnenderweise im Familienkreis ‚geboren‘. Die preisgekrönte Alte Schlosserei im Pustertal und schließlich die Siegerin in der Kategorie Junge Architektur, der Verkostungsraum im Weingut Unterglanzer.

 

Was jedenfalls fehlt ist ein [...] Esprit ungewohnter, innovativer Projekte

 

Was jedenfalls fehlt ist ein mehr davon, ist der Esprit ungewohnter, innovativer Projekte, die sich aktuellen Themen -wie Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft etc.- in radikaler Weise stellen und die es ohne ehrliche Unterstützung in der Welt professioneller Routinen schwer haben. Meist fehlt der ‚Offene Raum‘ für ungezogenes, nicht kanalisiertes Denken. In allen Regionen Europas stellt sich daher die Frage, wie der mächtigen Konkurrenz fortschrittlicher Metropolen begegnet werden kann. Wie kann die ‚neugierige Jugend‘ gehalten oder zur Rückkehr verleitet werden.

Es ist unbestritten wichtig, eine Gesellschaft in allen ihren Potentialen zur Entfaltung zu bringen. Ein großes Thema, auch für die vergleichsweise sehr gut entwickelten Regionen Europas und selbstverständlich ein noch größeres Thema in Zeiten des Umbruchs. Noch ist das Stadt - Land - Gefälle in Europa geringer als sonst wo in der Welt, doch die Gefahr der Erosion besteht, selbst in bislang so erfolgreichen Ländern wie Südtirol.

 

In der Sonderausgabe der Zeitschrift Turris Babel #127 wurden die Gewinner und Nominierungen veröffentlicht:

 

 

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Josef Fulterer Thu, 12/01/2022 - 07:03

Die Klima-Krise ist anscheinend noch nicht bis zu den Juroren des Architektur-Wettbewerbungs-Kommitee vorgedrungen.
° Holz ohne Wetterschutz (fault)
° Beton mit Styrophor / Styrodur ...???
° großflächige Verglasung (erfordert Beschattung / Klimatisierung)

Thu, 12/01/2022 - 07:03 Permalink