Politics | Nachlese Referendum

"Diese Linke des Nein, Nein, Nein"

Michele Serra ist für viele - für die "Linken" wie für die Grillini - ein Hassobjekt. Jetzt hat er wieder eine interessante Kontroverse ausgelöst.
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Vorbemerkung: Dass Renzi das Referendum verloren hat, lag nicht primär an der Spaltung des linken Lagers. Die Gegenstimmen aus dem Lager der Rechten und der Grillini hätten gereicht. Trotzdem hat es hier zu einem tiefen Zerwürfnis geführt. Wir berichteten, dass Giuliano Pisapia, der frühere Bürgermeister von Mailand, eine Initiative gestartet hat, um dieses Zerwürfnis zu überwinden. Die Reaktionen - vor allem aus der sog. "radikalen" Linken - waren bisher eher negativ. Im folgenden Artikel, den der Journalist Michele Serra am 9. Dezember in der "Repubblica" veröffentlichte und den ich hier mit kleinen Kürzungen übersetze, kommentiert er dies mit scharfer Gegenkritik. Was mir in Serras Artikel zu kurz zu kommen scheint, ist die Auseinandersetzung mit den Fehlern Renzis. Aber seine Kritik am Sektierertum der radikalen Linken ist berechtigt. Denn nicht nur Italien, sondern ganz Europa braucht eine Linke, die sich dem neoliberalen Zeitgeist widersetzt und sich dabei nicht einkapselt. In Italien betrifft dies gerade auch einen (nicht unkritischen)  Dialog mit der PD und mit dem "Renzismus". Andere politische Angebote, sich in eine Parallelwelt zu flüchten, gibt es hier schon zur Genüge (Grillo schlug seinen Anhängern allen Ernstes vor, keine Zeitung mehr zu lesen. Also nur noch seinen Blog).

"Muss man unbedingt regieren? Ganz gewiss nicht. Letzten Endes ist es nicht einmal notwendig, sich am politischen Wettstreit zu beteiligen: an  dem ganzen mühseligen und oft frustrierenden Abrackern für Ziele, die nie diejenigen sind, die man erträumt. Oft ist es nicht einmal der Schatten des Traums, den man eigentlich selbst verfolgt. Die Politik ist ein mieses Geschäft, du musst dich mit Leuten abgeben, mit denen du dich in deinem Privatleben niemals treffen würdest. Die Polis gehört allen: Man weiß nie, auf wen man dort trifft. Also lautet ... die Frage, welche sich die Linke des "Nie mit Renzi" ... heute stellen müsste, ob man die eigene Zähigkeit und Leidenschaft nicht lieber in andere noble und nützliche Tätigkeiten investieren sollte, die heute in Italien möglich sind ... (es folgt eine Aufzählung vielfältiger ehrenamtlicher Tätigkeiten).  

Ich sage dies, nachdem ich mir einige der unmittelbaren und dann auch späteren Reaktionen  auf Giuliano Pisapias Vorschlag zu Gemüte geführt habe, der anbietet, das zerrissene aber dennoch sehr redselige Universum des "Links von Renzi" wieder zusammenzuflicken. Wobei er jedoch den - für viele unverzeihlichen - Fehler beging, Renzi noch als Generalsekretär der PD zu betrachten - obwohl der immerhin die Vorwahlen gewann und für das JA immer noch die große Mehrheit der PD-Wahler hinter sich brachte. Und der weiterhin der politische Leader einer Partei ist, die Millionen Wähler hat und ohne die keine Mittelinks-Regierung möglich wäre. Aber nein, das ist nicht der Renzi, wie ihn eine erfahrene Linke mit dem großen Durchblick sieht. Sie charakterisiert ihn als eine Art Superbazillus, wie sie Don Siegel (in seiner Invasion der Körperfresser) beschreibt, der sich als fremder Körper heimlich in den gesunden Körper der einstigen Großen Partei einschleicht, um ihr die Seele auszusaugen und die Identität zu nehmen, ein Agent des Kapitals, der starken Mächte, der Geheimlogen. So kann es geschehen, dass es nicht nur wenig belesene 30-jährige postpolitische und -faktische Blogger, sondern auch erfahrene und im dialektischen Materialismus sozialisierte Parteikader sind, die sich jetzt tröstenden Verschwörungstheorien (Komplottismus) hingeben: Das Böse, das ich nicht verstehe, kann ich mir nur so erklären. Wenn es also das Böse ist, das mir in der Geschichte entgegentritt, bleibt mir nur übrig, es zu bekämpfen. Besser auf ewig  in tugendhafter Opposition verharren als sich auf den schmutzigen Moment einlassen, in dem man sich im Sumpf des politischen Kompromisses besudelt.

Pisapia ist kein Renzianer. Aber Pisapia wurde zum Bürgermeister Mailands - und zwar ein guter Bürgermeister - dank eines kleinen Wunders von Anti-Sektierertum, von Politik zuerst, von kalkulierter Großzügigkeit. Ein Widerspruch in sich, der außerhalb der Politik nicht erklärbar ist, die nur insoweit großzügig sein kann, als es ihr gelingt, die Dinge zu verändern. Aber ausgehend vom Status quo, und nicht davon, wie die Dinge sein sollten (was niemals der Fall ist). Das Gute, das Pisapias Vorpreschen bisher hervorbrachte: Es hat - wohl ohne es zu wollen - bewiesen, dass es beim Nein der Linken zum Referendum vorwiegend nicht um die Sache selbst ging: Dieser Wahlgang diente ihr in Wahrheit als unwiderrufliches Verdammungsurteil über die Regierung Renzi. Weswegen jetzt Pisapia sein Ja zum Referendum als eine Schuld vorgehalten wird, die ihn disqualifiziert, der Führer einer nicht-renzianischen Linken sein zu können: Denn die Linke ist gegen Renzi, oder sie ist nicht.

Was Pisapia sicherlich verstanden hat, nicht aber seine Kritiker, ist die Tatsache, dass gerade die Berufung dieser "Nein Nein Nein"-Linken zur Minorität eine der tiefsten Ursachen des Renzismus ist - und seiner Obsession, Mehrheit zu werden. Der hyperaktive Renzismus entstand vor allem als (überhastetes und letztlich unwirksames) Heilmittel gegen die tödliche Stagnation, die ihr vorausging, und gegen den Kult einer Komplexität, die in den Stillstand, das Vermodern und die Depression der Linken während der Ära Berlusconi mündete. Viele von denen, die heute über Renzi, die oberflächlichen Slogans der Leopolda, die Eile des Irgendwas-Verändernwollens herziehen, vergessen und ignorieren das enge Band zwischen Renzi und den Schwächen, aus denen er hervorging. Also nichts weniger als "Fremdkörper". Renzi verkörperte teils eine verspätete Neuauflage des Blairismus, teils eine Fortschrittlichkeit, die mit bisher unbekannter Vitalität zu allem bereit ist, um nicht in Langeweile zu ersticken (bis zu dem Punkt, mit zehnjähriger Verspätung ein Gesetz über die außerehelichen Lebensgemeinschaften auf den Weg zu bringen). Aber schon beim Gedanken, sich ernsthaft mit diesem unerwarteten und unbequemen Phänomen auseinanderzusetzen, wenden sich die Linken ab.

Noch ist unklar, ob Renzi wirklich, wie es noch bei seiner Rede in der Nacht der Niederlage schien, zu verlieren versteht. Aber ebenso zweifelhaft ist es, ob die Linke des Nein zu siegen versteht. Siehe ihre Reaktion auf den eigentlich vernünftigen Vorschlag von Pisapia, nun die Gräben wieder zuzuschütten."