Politics | Doppelpass

„Fuß runter vom Gaspedal“

Landeshauptmann Arno Kompatscher in einem Interview mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin profil über den Doppelpass und den Nationalismus der FPÖ.
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Foto: Provincia Autonoma di Bolzano
Arno Kompatscher hat vergangene Woche dem österreichischen Nachrichtenmagazin profil ein langes Interview zum umstrittenen Thema der Doppelstaatsbürgerschaft gegeben. Im Gespräch mit Redakteur Christoph Zotter redet der Landeshauptmann ohne Maulkorb, auch über den Versuch der Freiheitlichen und der Süd Tiroler Freiheit den Doppelpass zu „einer nationalistischen Geschichte“ zu machen.
Das Kompatscher-Interview erschient diesen Montag im neuen profil. Die profil-Redaktion hat salto.bz das Interview zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
 
 
profil: Herr Kompatscher, hätten Sie selber gern einen österreichischen Pass?

 
Arno Kompatscher: Das hängt davon ab, wie man das Ganze gestaltet. Für mich ist wichtig, dass das nichts Trennendes oder Spaltendes für die Südtiroler Gesellschaft wird. Es sollte im europäischen Geist erfolgen. Dann wäre die Staatsbürgerschaft auch für mich eine Sache.
 

Was heißt das konkret: "im europäischen Geist"?
 

Es darf keine Abstimmung werden, in der entschieden wird, wer ein guter Patriot ist und wer nicht. Durch einen nationalistischen Ansatz würde der Autonomiestatus infrage gestellt. Der Südtiroler Weg besteht darin, Grenzen zu überwinden und nicht die Grenzen zu verschieben.
 
Wen sehen Sie denn auf dem falschen Weg?
 
Zum Beispiel Herrn Neubauer (FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer, Anm.), der im Dezember in Bozen aufgetreten ist. Er hat das so dargestellt: Wir machen das jetzt und werden das innerhalb eines Jahres durchziehen. Das soll ganz klar eine nationalistische Geschichte werden. Das ist nicht der richtige Ansatz.
Für mich ist wichtig, dass das nichts Trennendes oder Spaltendes für die Südtiroler Gesellschaft wird.
Wie soll es denn nicht auch irgendwie spaltend wirken, wenn bestimmte Südtiroler aufgrund ihrer Sprache oder Geschichte einen zweiten Pass bekommen können und andere nicht?
 
Man kann die österreichische Staatsbürgerschaft auch den Nachkommen der italienischen Altösterreicher oder sogar allen Südtirolern zugestehen.
 
Sie meinen, einfach allen 500.000 Einwohnern von Südtirol einen österreichischen Pass ermöglichen, egal welche Muttersprache sie haben und wie lange ihre Familien schon dort leben?
 
Die Frage der Anspruchsberechtigten ist auf jeden Fall genau zu beleuchten. Und deshalb gilt: Fuß runter vom Gaspedal.
 
Die österreichische Regierung sieht das wohl anders. Sie hat bereits explizit festgehalten, dass es nur um jene Südtiroler gehen soll, die als Muttersprache Deutsch oder Ladinisch haben.
 
Woran macht man das fest? Wer sind die Deutschsprachigen, wer sind die Italienischsprachigen? Das ist in der Realität komplexer, als sich manche das vorstellen. Es gibt viele Familien, in denen die Mutter italienischsprachig ist und der Vater deutschsprachig oder umgekehrt. Wir haben die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, die eine Willenserklärung und keine Wahrheitserklärung ist und die auch Menschen abgeben, die aus anderen Ländern zuwandern. Wenn jemand aus Peru nach Südtirol kommt und im öffentlichen Dienst beschäftigt werden will, muss er diese Erklärung ausfüllen. Soll der Peruaner, der sich der deutschen Sprachgruppe zugehörig erklärt hat, die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen, während sie dem Welschtiroler, dessen Familie wahrscheinlich seit vielen Generationen in Südtirol lebt, verwehrt bleibt?
Woran macht man das fest? Wer sind die Deutschsprachigen, wer sind die Italienischsprachigen? Das ist in der Realität komplexer, als sich manche das vorstellen.
Eine andere Möglichkeit wäre es, nur jene zur Staatsbürgerschaft zuzulassen, die mittels Dokumenten beweisen können, dass sie von österreichischen Familien abstammen, die vor dem Vertrag von St. Germain im Jahr 1919 in Südtirol gelebt haben. Experten kritisieren diese Idee, weil sie an die "Ahnenpässe" erinnert, die von den Nationalsozialisten eingeführt wurden.
 


Das ist eine theoretische Möglichkeit. Aber das hängt schon an dem Begriff, den Sie verwendet haben. Der hat aufgrund der Geschichte nicht unbedingt einen schönen Klang.
 
Sie würden das also ablehnen?

 
 
Das ist eigentlich, was Italien gemacht hat. Im Jahr 2006 ermöglichte die Regierung die Doppelstaatsbürgerschaft für Nachfahren der italienischen Staatsbürger in Dalmatien und Istrien. Sobald man das mit dem Begriff "Ahnenpass" in Verbindung setzt, kriegt das einen schalen Beigeschmack. Ich lege aber nicht die Kriterien fest, das macht Österreich.


 
Was halten denn die Südtiroler von der Doppelstaatsbürgerschaft?
 

Es gibt keine offiziellen Umfragen. In Gesprächen sagen manche: Das ist doch schön. Auch das Wort Dankbarkeit kommt vor. Andererseits sagen vor allem in der älteren Generation einige: Achtung! Setzen wir jetzt nichts aufs Spiel, das müssen wir klug angehen.
 


Es gäbe auch noch einen anderen Lösungsansatz: die EU-Staatsbürgerschaft.

 
Das wäre ideal. Wir haben zwar EU auf unserem Pass stehen. Es bräuchte aber eine eigene Staatsbürgerschaft, die alle Grenzen völlig löschen würde.
 


Wäre dann die österreichische Staatsbürgerschaft vom Tisch?
 


Ich wünsche mir, dass nationale Staatsbürgerschaften in die zweite Reihe kommen. Das könnte die nationalistischen oder nationalstaatlichen Gedanken ablösen, die uns im 20. Jahrhundert zwei Mal in die Katastrophe geführt haben. Das Überwinden der Brennergrenze durch die europäische Idee ist unsere Perspektive. Wir fühlen uns als kleines Europa in Europa.
Es bräuchte aber eine eigene Staatsbürgerschaft, die alle Grenzen völlig löschen würde.
Sie wollen also mehr Macht für die Regionen und weniger für die Nationen?
 

Absolut, das unterschreibe ich zu 100 Prozent.
 
 
Glauben Sie, dass Sie da mit der österreichischen Regierung einen Verbündeten haben?
 
Ich bin mir sicher, dass Südtirol in Bundeskanzler Sebastian Kurz einen hervorragenden Ansprechpartner hat. Er hat in den letzten Wochen mehrfach klargestellt, dass er beabsichtigt, mit seiner Regierung eine aktive proeuropäische Rolle einzunehmen.
 

Kurz ist im Bund mit der FPÖ, die nationalistisch und europaskeptisch ist.

 
Ich hoffe, dass man in Wien insgesamt erkennt, dass der Weg des Dialogs, der Verhandlung und der Zusammenarbeit viel gebracht hat. Südtirol gilt heute in Europa und sogar weltweit als Modellfall für die Lösung von ehemals ethnischen Konflikten.
 


Sie haben vor einem Jahr gesagt: "Die Doppelstaatsbürgerschaft ist ein tolles Thema für Populisten." In Südtirol wird dieses Jahr gewählt. Was erwarten Sie im Wahlkampf?
 
Uns ist es wichtig, dass nicht irgendwelche revanchistischen Ideen vorgebracht werden. Solange der einigende Charakter in Südtirol im Vordergrund steht, ist es auch kein Problem, wenn man diese Dinge debattiert. Im Gegenteil: Das soll man vernünftig diskutieren.
Ich halte den Gesetzesvorschlag der Süd Tiroler Freiheit für ziemlich vermessen.
Die Oppositionspartei Süd-Tiroler Freiheit stellte vergangenen Mittwoch in Bozen bereits einen eigens entwickelten Gesetzesentwurf für die Doppelstaatsbürgerschaft vor.
 
Ich bin gespannt, wie man im österreichischen Nationalrat darauf reagiert, dass die Süd-Tiroler Freiheit nun Gesetzesvorschläge erarbeitet. Ich halte das für ziemlich vermessen.
 
Finden Sie es nicht eine Ironie, dass sich mit der FPÖ ausgerechnet eine Partei hinter die Südtiroler stellt, die in Österreich gegen Minderheiten auftritt und die Grenzen schließen will?
 
Dieses Paradoxon müssen schon die Betroffenen selbst auflösen.
 

Interview: Christoph Zotter