Daniel Alfreider auf Mission
Transparenz heißt die politische Vorgabe dieser Wochen. Nach dem Erdbeben des Rentenskandals soll das Volk mehr Einblick in politische Entscheidungsprozesse erhalten – oder auch eine Kontrolle haben, ob seine politischen VertreterInnen das Geld wert sind, das sie beziehen. Was auf regionaler Ebene erst geübt werden muss, ist im römischen Parlament dank einer Internet-Plattformen wie Openpolis leichter zu handhaben. Denn das politische Observatorium für BürgerInnen trägt unter anderem unzählige öffentliche, aber für Ungeübte schwer zugängliche Dokumente zusammen – und ermöglicht somit, den Abgeordneten bei ihrem täglichen Geschäft auf die Finger zu schauen.
So kann beispielsweise nicht nur nachvollzogen werden, wie sich die Parlamentarier bei einzelnen Abstimmungen verhalten. Bis auf die Komastelle genauen Statistiken zeichnen auch nach, wie oft sie überhaupt an Abstimmungen teilnehmen. Interessante Daten, die es ermöglichen, sowohl für die regionalen Kammerabgeordneten als auch für die Senatoren eine Hitliste der Anwesenheiten bzw. Abwesenheiten zu erstellen. Nummer Eins unter den Südtiroler ParlamentarierInnen ist bei letzterer Michale Biancofiore, die nur bei einem knappen Drittel der Abstimmungen präsent ist. Unter den SVP-Parlamentariern glänzt Manfred Schullian am häufigsten mit Abwesenheit, der bei rund der Hälfte aller Abstimmungen dabei ist. Die fleißigsten Abstimmer sind dagegen Luisa Gnecchi in der Abgeordnetenkammer sowie Hans Berger im Senat – mit Werten von jeweils knapp 96 Prozent.
Parlamentarische Missionen: Von Ungarn bis Passau
Einige Verschiebungen auf dieser Hitliste ergeben sich allerdings, wenn dem Grund der Abwesenheit genauer nachgegangen wird. Denn hier unterscheidet die parlamentarische Ordnung zwischen echten und gerechtfertigten Abwesenheiten, den so genannten parlamentarischen Missionen. Absenzen aufgrund von Krankheit, Mutterschutz und vor allem aufgrund anderer politischer „Missionen“ der Abgeordneten. Ein Anrecht, auf das die Mitglieder der Regierung sowie alle Präsidiumsmitglieder, PräsidentInnen von Kommissionen oder GruppensprecherInnen im Gegensatz zu anderen Parlamentariern ohne vorherige Genehmigung zurückgreifen können. Der kleine, aber feine Unterschied zur gewöhnlichen Abwesenheit? Wer auf Mission ist, muss keinen Abschlag auf das Tagesgeld von 3.503 Euro hinnehmen, das die Parlamentarier monatlich zusätzlich zu ihrem Gehalt erhalten – und das sonst für jeden Tag Abwesenheit um knapp 207 Euro gekürzt wird.
Eine Regelung, die auf nationaler Ebene immer wieder für Häme und Polemiken sorgt. Jüngstes Beispiele sind nicht nur nicht nur Scela Civica-Abgeordnete Valentina Vezzali, die vom La 7-Magazin La Gabbia zur ihrer Mission bei der Weltmeisterschaft im Fechten in Ungarn befragt wird, sondern auch SVP-Kammerabgeordneter Daniel Alfreider. Der erste Ladiner im römischen Parlament und dynamische Aufsteiger ist mit knapp 38 Prozent entschuldigter Abwesenheiten klarer Spitzenreiter unter den Südtiroler „Missionaren“. Und stößt beispielsweise mit seinen politischen Freunden von der CSU lieber in Passau mit einem Bier auf den Aschermittwoch an als bei den Abstimmungen in der Abgeordnetenkammer dabei zu sein, wie Albert Pizzinini von den Ladins Dolomites Bozen erst unlängst als „einfach nur beschämend“ kritisierte.
Daniel Alfreider selbst hat dazu naturgemäß eine völlig andere Sicht. Realpolitik statt sinnlose Ehrenrunden in einem ineffizienten Parlament, ist das Motto, dass der SVP-Fraktionssprecher in der Abgeordnetenkammer im Interview dazu vorgibt. Selbst Kammerkollege Florian Kronbichler sieht die Anwesenheitsstatistiken im Parlament zumindest teilweise als „armselige Erbenzählerei“. „Doch als Mitglied der Opposition haben wir natürlich auch nicht genügend Vorwände, um nicht anwesend zu sein“, meint der SEL-Abgeordnete, der für sämtliche seiner Anwesenheiten (13,5 Prozent) Abzüge vom Tagesgeld verbucht bekommen hat.
Sekretäre im Auto blu
Weit kritischer sieht Kronbichler deshalb den Grund dafür, dass auch ein Unter-Gruppensprecher wie Daniel Alfreider ausgiebig vom Privileg Gebrauch machen kann, sich „nach eigenem Ermessen Missionen zu erfinden, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen“: die Klassengesellschaft im römischen Parlament. Auf der einen Seite das „Proletariat“, wie der SEL-Abgeordnete scherzt; auf der anderen selbst einfache Funktionen wie Unter-Gruppensprecher oder Sekretäre des Präsidiums, die dank ihres Amtes nicht nur „auf Mission“ gehen können, sondern auch über ein eigenes Büro samt Sekretariat verfügen oder sich jederzeit per Auto Blu durch die Stadt kutschieren lassen können.
Sonderrechte, bei denen die Südtiroler Volkspartei einmal mehr eine Sonderstellung in Rom genieße, wie Kronbichler meint. „Denn dass eine Partei beispielsweise noch einmal einen eigenen Gruppensprecher innerhalb der Gemischten Fraktion hat, ist ein klares SVP-Privileg.“ Ebenfalls vom „Proletariat“ heben sich neben Alfreider aber nicht nur Karl Zeller als tatsächlicher Gruppensprecher im Senat ab, sondern auch Kammerabgeordneter Manfred Schullian sowie Senator Hans Berger, die beide als Sekretäre im Präsidium tätig sind. Angesichts der eingeschränkten institutionellen Aufgaben dieser Funktion sind die damit verbundenen Privilegien eine „Viecherei“, wie Florian Kronbichler meint. „Denn ich bin wirklich nicht eifersüchtig und gehe auch gerne zu Fuß vom Bahnhof zum Parlament“, meint er. „Doch das ist einfach unverhältnismäßig.“
Ob dies auch Matteo Renzi im Zug seiner großen Aufräumaktion auffällt? Den eigenen Leute auf die Finger zu schauen scheint in jedem Fall anstrengender zu sein als es im ersten Moment scheinen mag. Ob für Regierungschefs oder das einfache Volk.