Chronicle | Stein-an-Stein-Prozess

Kleinohrhasen

Franz Pircher versucht seine Rolle im Zeugenstand kleinzureden. Der ehemalige SEL-Aufsichtsratspräsident zwischen Gedächtnislücken, Tiroler Patriotismus und Märchenstunde.

Es sind keine Handvoll Zuschauer an diesem Vormittag im großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts. Ein älterer Herr fasst im Hinausgehen die Situation mit wenigen Worten zusammen: „Die machen eine Figur zum Schämen, ich verstehe nicht, warum die überhaupt aussagen?“
Wer die Zeugenaussagen von Klaus Stocker und von Franz Pircher gehört hat, der muss sich diese Frage unweigerlich stellen. Die beiden ehemaligen SVP-Bezirksobleute haben ihrer persönlichen Reputation mit diesen Auftritten alles andere als einen Gefallen getan. Als bereits Verurteilte in diesem Prozess und als Angeklagte in Folgeprozess „Stein an Stein 2“ hätten beide die Aussage verweigern können. Dass sie das nicht tun, darüber gibt es verschiedene Deutungen.
Wollen sie ihrem Freund Maximilian Rainer helfen? Oder müssen sie helfen?
Vielleicht ist es für sie das kleinere Übel im Gerichtssaal so vorgeführt zu werden?

Kleingeredet

Der „Stein an Stein“-Skandal hat Franz Pircher menschlich schwer mitgenommen. Vom mächtigen Brunecker Wirtschaftsberater, SEL-Aufsichtsratspräsident und Durnwalder-Freund ist nicht mehr viel übrig geblieben. Pircher ist seitdem abgetaucht und er möchte das auch bleiben.
Genau das war dann auch der rote Faden in seiner Zeugenaussage. Es ging Franz Pircher einzig und allein darum, seine Rolle kleinzureden. Von seinem im Gerichtssaal anwesenden Anwalt Alessandro Melchionda vorbereitet und per Blickkontakt geführt, erzählt Franz Pircher seine Version der Geschichte.
Immer wieder entstehen dabei nach den Fragen von Oberstaatsanwalt Guido Rispoli längere Pausen. Dann blickt Pircher zu seinem Anwalt. Der Bologneser Strafrechtsprofessor nickt und sein Klient redet weiter. Als es für Pircher eng wird, prescht Melchionda vor und erinnert energisch daran, dass diese oder jene Frage nicht zulässig sei. „Sonst muss ich meinem Mandaten raten, nicht weiter auszusagen“, droht er offen. SEL-Anwalt Giacomo Gualtieri kommentiert das sarkastisch: „Das wäre für ihn auf jeden Fall besser“.
Denn Pirchers Schilderungen erinnern oft mehr an Grimms Märchen als an die Realität. Stimmt Pirchers Version, so gibt es nur eine Schlussfolgerung: Hier wurde einem gänzlich unschuldigen Menschen ganz böse mitgespielt.
Schade, dass nicht alle Märchen aber ein so glückliches Ende haben.

Ich nicht!

Franz Pircher redet an diesem Vormittag zwar viel, er sagt aber wenig. Immer wieder flüchtet sich der Wirtschaftsberater in verbale Ausreden oder in ein „Ich weiß es nicht“. Franz Pircher war nahe dran im Zeugenstand zu behaupten, dass er die „Stein an Stein Italia GmbH“ gar nicht kenne. Er sagt das auch, muss dann aber wieder zurückrudern.
Pirchers Version: Bei der Entscheidung im SEL-Verwaltungsrat zum Nicht-Ankauf des Mittewalder Kleinkraftwerks habe er keine Rolle gespielt, erst sieben Monate später sei Rudi Stocker an ihn herangetreten mit dem Angebot in das Kraftwerk zu investieren. „Damals habe ich zum ersten Mal von der Stein an Stein gehört“, behauptet Franz Pircher.
Genau in diesem Punkt steigert sich Pircher dann in eine fast wahnwitzige Version hinein. Am Kraftwerk sei die Osttiroler „Energie Verwaltungs- und Beteiligungs-Gmbh“ (EVB) beteiligt gewesen, die zwar mit seinem Kapital gegründet worden war, mit der er aber persönlich nichts zu tun hatte. Hatten wir Ähnliches nichts bereits von Rudi Stocker gehört?
Die EVB hat im August 2007 zwar 30 Prozent an der „Stein an Stein Italia Gmbh“ erworben, doch damit habe er nicht das Geringste zu tun. Verwalter sei der Lienzer Steuerberater Martin Kofler gewesen. „Ich wusste nicht einmal, wo dieses Kraftwerk war“, sagt Pircher wörtlich.

Absolute Transparenz?

„Ich habe nichts zu verbergen“, sagt Franz Pircher an diesem Vormittag gleich mehrmals und rühmt sich damit, dass alle Vorgänge „absolut transparent“ abgelaufen seien. So habe er die 20.000 Euro zur Gründung der EVB nicht nur in der Steuererklärung angegeben, sondern die Überweisung auch dem „Ufficio Italiano dei Cambi“ (UCI) gemeldet.
Die EVB sei zudem keineswegs für die Stein-an-Stein-Beteiligung gegründet worden, so stellte es Franz Pircher jedenfalls am Montag dar. Demnach hätte er schon seit längerem mit Osttiroler Bürgermeistern (Martin Kofler war jahrelang ÖVP-Bürgermeister von Heinfelds) über gemeinsame Süd-Osttiroler-Wirtschaftsinitiativen geredet. Dabei sei auch einiges umgesetzt worden. Genau dafür sei dann auch die EVB gegründet worden. Das ganze klang fast schon wie ein patriotischer, gemeinnütziger Akt, um übergeordnete, transnationale Tiroler Interessen zu vertreten.

„Die EVB wurde lange vor dem Engagement in der 'Stein an Stein Gmbh' gegründet“, sagt später auch Pirchers Anwalt Alessandro Melchionda zu den Journalisten. Schade, dass die Wirklichkeit etwas anderes sagt: Die EVB wurde am 10. Juli 2007 in Innsbruck gegründet und keine sieben Wochen später, am 31. August 2007 kauft sie 30 Prozent der „Stein an Stein Italia GmbH“.
Franz Pircher bestreitet vor Gericht, dass die EVB ihm gehöre. „Kofler ist der Verwalter“, sagt er aus. Als der Staatsanwalt ihn auf das Treuhänder-Verhältnis mit Kofler anspricht (fiducario), ergeht sich der Wirtschaftsberater in einer Art wirtschaftsphilosophischer Abhandlung: „Jeder Investor muss Vertrauen in die Verwalter einer Gesellschaft haben“.
Schade, dass auch hier die Realität eine andere Sprache spricht. Die Beamten der Finanzwache haben im Computer des Osttiroler Wirtschaftsberaters Martin Kofler einen Treuhandvertrag, abgeschlossen zwischen Kofler und Franz Pircher, beschlagnahmt. Dort heißt es:

Herr Mag. Martin Kofler erklärt hiermit, diesen Geschäftsanteil an der „Energie Verwaltungs-und Beteiligungs-GmbH“ nicht auf eigene Rechnung erworben zu haben, sondern als Treuhänder des Herrn Dr. Franz Pircher, der ihm dazu den Betrag von € 20.500,00 (zwanzigtausendfünfhundert Euro) zur Verfügung gestellt hat. Franz Pircher tut das ganze im Zeugenstand auf seine Weise ab: „Das war ein Vorschlag von Kofler, den ich aber nicht unterschrieben habe“.

Böse Zeitungen

Noch skurriler wird es aber, als es um die Bankbürgschaft von 250.000 Euro geht, die Franz Pircher im Sommer 2011 für die „Stein an Stein Italia GmbH“ aufgenommen hat. „Ich habe niemals eine Bankbürgschaft für die 'Stein an Stein Italia Gmbh' aufgenommen, das sind alles Falschmeldungen und Lügen der Zeitungen“, echauffiert sich der ehemalige SEL-Aufsichtsratspräsident im Zeugenstand.
Aber auch hier sieht die Realität etwas anders aus. Im Sommer 2011 wurde die Bürgschaft zuerst von der Sparkasse und dann von der Raiffeisenbank vorbereitet und Franz Pircher zur Unterschrift vorgelegt.
Der Wirtschaftsberater kam aber nicht mehr dazu, das Schriftstück zu unterschreiben. Weil die Carabinierisondereinheit ROS bei einer Bürodurchsuchung die Unterlagen in seiner Aktentasche beschlagnahmte und sich darin auch die unterschriftsreife Bankbürgschaft befand.
Das ist der andere Teil der Wahrheit

Der Prozesskalender

Nach der Anhörung von Franz Pircher bleibt nur mehr eine Zeugin der Anklage: Petra Windt. Die Wiener Unternehmerin wird am 6. Juni vor dem Bozner Landesgericht gehört. „Erst nach dieser Aussage, wird mein Mandant entscheiden, ob er als Angeklagter in diesem Prozess reden wird oder nicht“, erklärte Rainer-Anwalt Carlo Bertacchi am Montag.
Sicher ist: Die Verteidigung wird 18 Personen in den Zeugenstand rufen. Sie sollen am 27. und am 30. Juni angehört werden.

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Alfonse Zanardi Mon, 04/14/2014 - 17:50

Diese Prozessberichte sind wundervoll!
Ich warte schon gespannt auf die Aussage der Wiener Pflaster-Mitzi.
Man brauch sich nur die Website der "Kraftwerksbesitzerin" ansehen um zu wissen dass sie niemals aus eigenen Stücken ins Energiegeschäft eingestiegen ist: http://www.steinanstein.com/

Mon, 04/14/2014 - 17:50 Permalink