Stefan Zweigs „Hauptbuch“

-
„Ich sah blass den Rauch aufsteigen und dachte an die Meraner Golfpromenade, wo ich vor zwei Monaten gesessen und in den sprühenden Wasserfall hinabgesehen hatte.“ So lautet eine leider fehlerhafte Textpassage aus der Erzählung Phantastische Nacht, die Stefan Zweig (1881–1942) verfasste. Über Jahrzehnte hinweg wurde nämlich mit dieser Erzählung ein Fehler weitergetragen, der wohl auf einen Lektor einer späteren Ausgabe nach dem Tod Zweigs zurückgeht – denn in Meran gibt es keine Golfpromenade, an die sich Stefan Zweig hätte erinnern können. Vielmehr existiert dort bis heute eine Gilfpromenade. Sie wurde 1880 erbaut und nach der Gilfklamm in der Passerschlucht benannt. Zweig muss sich hier gerne aufgehalten haben, wenn er – wie überliefert – nicht nur einmal in der Kurstadt Meran zu Gast war. Seine Phantastische Nacht wurde im Juni 1922 erstmals in der Zeitschrift Die Neue Rundschau veröffentlicht belegen Experten – auch eindeutig mit der richtigen Bezeichnung: Gilfpromenade!
Manchmal kann es eben passieren, dass eine kleine Schlamperei aus einem i ein o macht – und die neu geschaffene Worthülse auf Weltreise geht. Genaue Erkenntnisse darüber, wie und in welchen Übersetzungen das Golf anstelle des Gilf übernommen wurde, gibt es zu dieser Zweig-Erzählung aus Meran bislang nicht. Was es jedoch gibt, ist eine präzise Übersicht über sein Werk im internationalen Vergleich – erstellt von ihm selbst.
Der Weltbürger unternahm unzählige Reisen und zeigte stets eine große Faszination für das Fremde und Unbekannte.
-
"Phantastische Nacht" und "Amok": Beide sind aus dem fernen Jahr 1922. Erstere Erzählung stammt aus Meran. Stefan Zweig war mehrmals im "Schloss Labers" zu Gast. Foto: SALTO
Die aktuelle Ausstellung Stefan Zweig - Weltautor rückt Zweigs sogenanntes „Hauptbuch“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um ein besonderes, wenn auch nicht primär "literarisches" Werk. In diesem Hauptbuch, einem von Zweig eigens entworfenen Kontorbuch, dokumentierte er seine zahlreichen Übersetzungen und Bearbeitungen. Die vorgedruckten Spalten wurden mit Informationen zu Sprache, Verlag, Auflage, Übersetzer, Bezahlung und Autorisation ausgefüllt. Zwischen 1932 und 1937 entstand so auf 77 beschriebenen Blättern ein einzigartiges Verzeichnis, das nicht nur seine akribische Arbeitsweise, sondern auch seinen weltweiten Erfolg dokumentiert. Für Verfilmungen gab es eine eigene Rubrik.
Nach einer kurzen „Kriegseuphorie“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Stefan Zweig zum überzeugten Pazifisten. Er hielt sich von jeglicher Politik fern und setzte seine Hoffnungen auf die Kultur – insbesondere auf die Weltliteratur als universales Medium der Völkerverständigung über nationale Grenzen hinweg. Auch das zeigt die Ausstellung. Außerdem: Viel Europa und Humanismus.
Der vielreisende Zweig war bekannt für sein psychologisches Einfühlungsvermögen und seine Fähigkeit, spannende Geschichten zu erzählen – oft mit historischen Persönlichkeiten im Zentrum, die durch ihn wieder lebendig wurden.
Blick in die Wanderausstellung: Zahlreiche historische Dokumente und feine Zitate. Wie z. B. "Es muss einer den Frieden beginnen, wie einer den Krieg" (Stefan Zweig, Jeremias, 1917) Foto: SALTODer Weltbürger unternahm unzählige Reisen und zeigte stets eine große Faszination für das Fremde und Unbekannte. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und der Autor rund um den Globus gelesen. Die Ausstellung zeigt dies anhand vieler Beispiele – unter anderem auch durch die Novelle Der Amokläufer, die ebenfalls 1922 erschien – im gleichen Jahr wie die Veröffentlichung der Passage zur Gilfpromenade.
Bereits 2015 wurde im Waltherhaus der Autor der Schachnovelle mit einer Ausstellung gewürdigt. Unter dem Titel „Wir brauchen einen ganz anderen Mut!“ – Abschied von Europa widmete sich die von Peter Karlhuber gestaltete Schau den letzten Lebensjahren des Autors und dem tragischen Tod. Die Wanderausstellung Stefan Zweig - Weltautor (u.a. vom Literaturmuseum in Wien und der Österreichischen Nationalbibliothek getragen) ist noch bis einschließlich 17. April geöffnet und bietet neben den etwas verloren im Raum platzierten Stellwänden glücklicherweise zahlreiche interessante Postkarten, Dokumente und ein Video, das einen guten Überblick über Leben und Werk vermittelt.TippZu einer Lesung mit anschließendem Gespräch lädt das Kulturinstitut am heutigen Montag, den 14. April 2025, um 19 Uhr. Der bekannte Charakterdarsteller Edgar Selge stellt seinen Debütroman Hast du uns endlich gefunden vor (Moderation: Katia De Gennaro). Bereits am Samstag war Selge bei den Bozner Filmfestspielen mit dem Film Marianengraben zu Gast. Ein kurzer Besuch der Ausstellung Stefan Zweig – Weltautor im Vorfeld der Lesung ist selbstverständlich möglich und willkommen.
More articles on this topic
Culture | Salto WeekendDie Kunst um das Buch
Culture | Ausstellung"Wir brauchen einen ganz anderen Mut!"
Culture | Salto Weekendsalti letterari #23
ACHTUNG!
Meinungsvielfalt in Gefahr!
Wenn wir die Anforderungen der Medienförderung akzeptieren würden, könntest du die Kommentare ohne
Registrierung nicht sehen.