Society | Muttersprachenschule für Zuwanderer

Biodiversität bei uns Menschen

Ich habe ein umfassendes Ökologieverständnis: für mich gehören die Menschen genauso zum Öko-System, wie Tiere und Pflanzen. So wie diese in ihrer Einmaligkeit, Einzigartigkeit, Vielfalt und Diversität zu hegen und pflegen sowie zu schützen sind, gilt für mich dasselbe auch für die Menschen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Lega Uniti
Foto: Salto.bz

Die Voraussetzung für das Wachsen und Gedeihen von Pflanzen sind die Wurzeln, der richtige Standort, die besonderen Bedingungen wie Sonne, Schatten, Dünger, Wasser, usw. Wir wissen, die einen mögen mehr das eine, die anderen das andere. Manche mögen viel Sonne, manche nur Schatten. Die einen mögen fette Böden, die anderen Magerwiesen usw. Wir berücksichtigen alles, um die Biodiversität zu erhalten. Oft errichten wir dafür sogar geschützte Biotope.

Jedem das Seine?

Bei den Menschen verstehen wir es ganz anders: Wir wollen, dass alle maximal gedüngt sind, immer viel Wasser und vor allem einen Platz in der Sonne haben. So argumentieren wir, wenn es um Andere, um Zuwanderer, um die Bunten in der Blumenwiese geht. Auch Menschen brauchen in all ihrer Buntheit verschiedene Bedingungen, wenn sie gut wachsen, sich gut entwickeln, sich eingebettet und wohl fühlen sollen. Die Menschen jeglicher Hautfarbe und Rasse haben wie wir ihre Wurzeln, das sind für mich die Sprache, die Lebensart, das Wertesystem, die Traditionen und ihrer Kultur.
Ich habe mir erlaubt, auf einem Blog die Meinung zu vertreten, dass der Durnwalder-Vorschlag, eine Lad. Schule für die Ausländer zu errichten, auch eine Chance beinhalte, den Zuwanderer-Kindern das Erlernen ihrer Muttersprache zu gewährleisten. Ich wurde dafür mit einigen Dislikes abgestraft und erhielt dafür die rote Laterne. Als ich meinen Vorschlag in einem eigenen Blog noch genauer ausformulierte, erhielt ich zwar 3 Herzelen, aber keinen Kommentar.

Stop werdet ihr sagen, bei Biodiversität meinen wir nicht die Neophyten. Nun wenn wir von pflanzlichen Neophyten reden, denken wir an giftige Pflanzen, oder solchen, die alles überwuchern und dadurch das Überleben von angestammten Pflanzen gefährden. Einverstanden, aber bei den Menschen sehe ich diese Gefahr nicht. Außerdem sind eine Vielzahl der Pflanzen die wir auf Äckern, im Gemüse- und Obstgarten kultivieren, sowie die meisten unserer Zimmer-Pflanzen im Grunde Neophyten: angefangen von Kartoffel, Mais, Tomaten, über die meisten Gewürzpflanzen bis zu den Zier- und Parkgewächsen. Wir zählen sie inzwischen alle zu den unseren und schützenswerten Pflanzen.

Für alle dasselbe Wertesystem?

Anders bei den zugezogenen Menschen: wir möchten alle überdüngen, mit Wasser ertränken und ihnen vermitteln, das ist das Beste für euch, so werden ihr uns am schnellsten gleich. Deswegen sollen sie auch unsere Sprache/n lernen und nicht ihre, auf ihre Eigenheiten, ihre Kultur verzichten, usw. Sie sollen sich integrieren, und das so schnell als möglich, wir wollen sie assimilieren (uns gleich machen) und inkludieren (eingliedern, einbinden) – kann aber auch heißen vereinnahmen. Das ist mE die Gefahr in unserem Überidealismus und Gutmensch-sein-wollen: wir fragen sie nicht, was sie brauchen, noch überlegen wir, was ihrer Entwicklung gut tut. Brauchen sie den gleichen Wohlstand wie wir – der für sie ja ein Luxus ist? Müssen sie alles gleich beanspruchen können, wie wir, die wir diesen Wohlstand geschaffen und ein uns soziales Netzwerk  und Absicherungssystem  aufgebaut haben? Ich sage nein. Sicher gibt es überall Parasiten, die alles haben wollen, aber die meisten trauen sich das gar nicht zu erwarten, geschweige denn zu fordern. Ihnen genügt eine Grundversorgung, sie müssen keinen Wohlstand, keinen Luxus  haben. Außer sie erarbeiten ihn sich selbst. Und das war bei uns auch so: Wir sind vor 50, 60 Jahren am gleichen Punkt gestartet. Auch wir waren anfangs mit wenig zufrieden.

Es braucht seine Zeit

Als dann in den 70-er und 80-er Jahren mit dem Wohlstand auch die Probleme massiv auftauchten (Drogen schon in den Mittelschulen am Lande, Kleinkriminalität, Null-Bock-Stimmung) war man der Meinung, der Reichtum kam zu schnell, das alles hat die Seele, die länger braucht, die Gesellschaft nicht verkraftet. Man entdeckte wieder die Langsamkeit, bestimmte Werte, zurück zur Natur; es gab viele Aussteiger. Glaubt ihr, bei den Eingewanderten ist das anders? Ich meine, sie brauchen Zeit, müssen sich zuerst in ihrer Sprache, ihrer Kultur festigen, standfest werden, bevor sie sich auf uns einlassen können/müssen, uns annähern, uns anpassen, unsere Werte kennen lernen und z. T. annehmen,  ohne Risiko, dabei ihre Identität, ihre Kultur zu verlieren. Ich habe einige kennen gelernt, die dem Alkohol verfallen, in die Psychose geflüchtete sind; von Kriminalität diskutieren fast täglich,  usw.. Ebenso sehe ich das im materiellen Sinne. Ich kenne viele Zuwanderer aus verschiedenen Ländern und Kontinenten und könnte viele Geschichten darüber erzählen, wofür hier nicht genügend Platz ist. (Vielleicht eigener Blog)

Ich glaube deswegen – wenn es auch die Verfassung anscheinend anders will – Italien soll in erster Linie die Flüchtlinge menschenwürdig behandeln und sie mit dem Notwendigsten versorgen. Sobald sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben, brauchen sie eine Bleibe und das Notwendigste, auch ärztliche Versorgung. Dann brauchen sie Hilfe beim Erlernen ihrer Muttersprache und in der Folge beim Erlernen der Landessprache/n. Ebenso brauchen sie Hilfe beim Verstehen, wie unser Gesellschaftssystem läuft.

Aus- und Rückwanderung berücksichtigen

Hier eine Klammer auf: Alle gehen davon aus, dass sie, wenn sie schon einmal hier sind, auch hier bleiben werden und dann ihre Sprache und Kultur vergessen können. Sehen wir unsere Realität: Viele Südtiroler sind im Rahmen der Option ausgewandert. Viele sind auch wieder zurück gekommen, sobald es die Verhältnisse erlaubten (Rücksiedler). Am Ende des Krieges und danach sind Menschen aus meinem Dorf nach Argentinien, der damaligen Schweiz Südamerikas, ausgewandert. Einige blieben. Eine Familie kam mit Kind und Kegel Mitte der Fünfziger-Jahre wieder zurück. Drei Brüder verschiedener Jahrgänge gingen mit mir in die erste Klasse VS. Sie mussten alle in der Ersten anfangen, denn in Argentinien hatten sie nur Spanisch gelernt. Ebenso kamen bei späteren Auswanderer-Wellen immer einige wieder zurück. Warum schließen wir aus, dass einige Migranten auch wieder in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn sich die Bedingungen dort verbessert haben? Oder wollen wir, dass es den Kindern unserer Immigranten so ergeht, wie den jungen Türken in Deutschland? Sie reden Türken-Deutsch, nicht richtig deutsch und nicht richtig türkisch, und das meist auf niederem Schulniveau, haben  kaum Berufsausbildungen. Und so passiert es ihnen, dass – jetzt wo die türkische Wirtschaft floriert – sie nicht einmal dort hinziehen können, um der Arbeitslosigkeit zu entfliehen, denn sie können nicht richtig türkisch, das nur mündlich und nur die Umganssprache ihrer Eltern und Nachbarn - und werden dort auch nicht mehr als Türken anerkannt.
Zurück zur den Zuwanderern bei uns: Sobald sie hier eine Arbeit haben, müssen sie gerecht behandelt und bezahlt werden, sodass sie sich, wenn es ihnen wichtig ist, einen bestimmten Wohlstand und evtl. auch ein kleines Vermögen erarbeiten oder erwirtschaften können. Sie brauchen dabei keine Privilegien. Sie müssen mit der Zeit lernen, ihr eigenes Leben im Einklang mit unseren Bestimmungen, Regeln und Gesetzen zu gestalten und sonst die Konsequenzen zu tragen.

 

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Benno Kusstatscher Fri, 06/14/2013 - 12:48

Ich muss Dir nicht überall zustimmen, Sepp, um Dir für diesen Beitrag zu danken. "Menschenwürdig behandeln", wie Du sagst, und vielleicht noch eine faire Chance oben drauf. Wir sollten alle diese schönen Begriffe, die Du verwendest (Langsamkeit, Identität, Erwartungen, Arbeit, Gerechtigkeit, Fleiß, Rücksiedler, Gutmensch, Wohlstand, Psychose, ...) kräftig weiter durcheinanderschütteln und immer bedenken, dass Verantwortung und Weisheit auf beiden Seiten liegen und dass wir - und den Sager von Dir finde ich am schönsten - ruhig individuell fragen sollten, was denn gebraucht wird.
Auch möchte ich dazufügen, dass viele "Auffällige" nicht als solche zu uns kommen, sondern hier bei uns zu solchen werden. Diese Wechselwirkung und diese Schnitte vom Kuchen, die wir da abgeben, müssen wir nicht gleich "Psychose" nennen, aber wir dürfen sie ruhig weiter in den Vordergrund unserer Betrachtungen ziehen.

Fri, 06/14/2013 - 12:48 Permalink
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no name Fri, 06/14/2013 - 13:02

In reply to by Benno Kusstatscher

Ich meine ein Augenmerk müsste auch auf das sogenannte Phänomen der zweiten/ dritten Generation gelenkt werden. Hab mal gehört, dass die Konflikte sich hier auch deshalb häufen, weil die Kinder sozusagen zwischen den Eltern und der neuen Kultur vermitteln (deren Sprache meistens nur sie beherrschen) und dadurch auch in Loyalitätskonflikte und Identitätskrisen geraten.

Fri, 06/14/2013 - 13:02 Permalink