Society | Formiche - Ameisen

Die Vermittlerin

Die Welt von Simonetta Stringari bleibt bunt wie der faire Handel. Sie behält das Ruder ihres Lebens in der Hand, obwohl Multiple Sklerose es ihr zunehmend erschwert.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
simonetta_stringari.jpg
Foto: Maria Lobis

Mitleid spürt Simonetta Stringari sofort und lehnt es ab. Ihren batteriebetriebenen Fahrstuhl dreht sie im Bozner Café geschickt um und sucht den Weg ins Freie.

Sie war 44 Jahre alt, als ihr 2001 beim G8-Gipfel in Genua schlecht wurde. Danach geschah es immer öfters, dass sie beim Gehen stolperte, an Stufen hängenblieb oder hinfiel. Sie führte es auf Ungeschicklichkeit zurück. In der Neurologie des Bozner Krankenhauses schlossen die Ärzte der Reihe nach Krankheiten aus, Multiple Sklerose (MS) blieb. Der Schlag kam mitten im Leben. Sie wollte es weiterführen wie bisher - eine Illussion. Die heute 60-Jährige ist Mutter eines 34-jährigen Sohnes und einer 31-jährigen Tochter.

Jahrelang war Simonetta Stringari der Südtiroler Kopf des Netzwerkes Lilliput. Mit Gleichgesinnten stellte sie sich italienweit der Globalisierung entgegen. Wie Lilliput den Riesen Gulliver aufhalten konnte, wollten sie wirtschaftliche Tyrannen stoppen. Nur eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung könne Frieden fördern und Flucht aufhalten, waren die Aktivisten überzeugt. Mit Lilliput war Simonetta auch beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua, der bis heute für ausufernde Gewalt, für sich hochschaukelnde Aggressionen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften steht. Simonetta Stringari erinnert sich mit Schaudern daran. Drei Busse waren aus Südtirol angereist. Die Mitfahrenden kamen zwar gesund nach Hause, doch die Erinnerung an Gewaltexzesse bleibt.

Auch wenn MS ihr Denken und Handeln seither bestimmt: Ihren Einsatz für Gerechtigkeit und Frauenrechte verstärkte sie, die Fähigkeit zu vermitteln setzte die Soziologin noch öfters ein, eine Inspirierende bleibt sie.

Schule, Post und Umwelt

Nach der Lehrerbildungsanstalt hatte Simonetta Stringari einige Monate an Südtiroler Grundschulen unterrichtet: Die Arbeit mit Kindern begeisterte sie. Sie gewann einen Wettbewerb bei der Post und bevorzugte die fixe Arbeitsstelle. Elf Jahre lang blieb sie dort: In jener Zeit inskribierte sie an der Universität Trient in Soziologie. Nach der Zeit als Postbeamte widmete sich die zweifache Mutter neuen – ihr wichtigen – Themen: Sie bot Umwelterziehung in Grund- und Mittelschulen an. Die fortschreitende Krankheit zwang sie zum Aufgeben. Ein Angebot zum Italienischunterricht für nichtbegleitete minderjährige Flüchtlinge kam gerade recht. Sechs Jahre widmete sie sich dieser Aufgabe. Vor mehr als zehn Jahren absolvierte sie außerdem einen Masterstudiengang in interkultureller Kommunikation und Konfliktmediation.

2006 wurde sie in den Vorstand der Bozner Genossenschaft „Le Formiche – die Ameisen“ berufen und war drei Jahre lang deren Präsidentin. Sie ging die Aufgabe mit Enthusiasmus an, knüpfte Netzwerke und suchte die Zusammenarbeit mit Partnern, unter anderem mit der oew-Organisation für Eine solidarische Welt. Simonettas Mediationsgeschick war hilfreich, ihre Zweisprachigkeit auch. Sie beteiligte sich am Aufbau des Netzwerkes der Südtiroler Weltläden – mit dem Ziel, die Präsenz des fairen Handels in der Öffentlichkeit zu verstärken. Die Weiterbildung von Freiwilligen in den Weltläden war ihr immer wichtig, die Ursprünge der Fair-Trade-Academy gehen auf sie zurück.

Jetzt, da sie mehr Zeit für Physiotherapie und Training braucht und oft müde ist, hat sie weniger Kraft für das freiwillige Engagement: Jeden Montagnachmittag arbeitet sie im Fair-Trade-Shop der Ameisen in der Bozner Romstraße mit und übersetzt für das Netzwerk der Weltläden außerdem deutsche Texte ins Italienische. Sie denkt in großen Zusammenhängen und Zeitspannen. Den fairen Handel zu forcieren bleibt ihr Herzensanliegen.

Simonetta Stringari mag die Menschen und die Menschen mögen sie. Selbstmitleid wegen Multiple Sklerose hat sie aus ihrem Leben verbannt. Mitgefühl akzeptiert sie.

(Maria Lobis)