„Das wird vielen eine Lehre sein“
Mit Natz-Schabs und Freienfeld kommt es in gleich zwei Gemeinden zu Neuwahlen, in denen Bürgerlisten den Bürgermeister stellten. Hat der erste Bürgerlisten-Bürgermeister Südtirols dabei Déjá-vues, Herr Rieder?
Hubert Rieder: Ja, das Ganze kommt mir schon sehr bekannt vor. Vor allem, wenn ich mich an die ersten fünf Jahre meiner 15-jährigen Tätigkeit als Bürgermeister erinnere. Damals, zwischen 1995 und 2000, hatten wir noch keine Mehrheit im Gemeinderat. Da wurde von der SVP-Zentrale in Bozen umgehend die Devise ausgegeben: Das kann doch nicht sein, dass niemand von uns Bürgermeister ist, das wird wohl in ein paar Wochen wieder vorbei sein. Bei uns im Ahrntal ist es damals aber letztendlich nie zu Neuwahlen gekommen, auch wenn wir einige Male nahe dran waren. Ich denke aber nur deshalb, weil man Angst hatte, dass wir dann unsere Position noch weiter gestärkt hätten.
Das haben Sie dann aber dennoch gemacht – bei den Wahlen im Jahr 2000 und 2005 als Ihre Bürgerliste dann auch im Gemeinderat eine Mehrheit hatte.
Und das, obwohl von Seiten der großen Partei für das Ahrntal damals Spezialwahlkämpfe mobilisiert und extra Gelder bereit gestellt worden waren. Aber es war natürlich ein ständiger Kampf. Beispielsweise wurde dann auch immer gepredigt, dass ein Nicht-SVP-Bürgermeister weniger Geld in die Gemeinde bringt, weil er nicht die nötigen Verbindungen zum Land hat. Gestimmt hat das natürlich nicht, denn wir haben immer alle vorgesehenen Finanzierungen erhalten.
Wollen Sie damit sagen, dass die SVP ein schlechter Verlierer ist und Probleme hat, die demokratischen Spielregeln zu akzeptieren?
Das gilt im Grunde für jede Liste. Keine Partei lässt gerne zu, ihre Position zu verlieren, den Bürgermeisterposten abzugeben. All dieses Herumgerede, dass es auf Ortsebene nicht um Parteien, sondern um Personen und Zusammenarbeit gehe, überzeugt mich nicht. Das mag ein Punkt sein. Doch weit wichtiger ist, dass es Parteien und vor allem unserer großen Partei darum geht, regieren zu wollen und die Stellung zu halten. Das wurde ja auch im Mai dieses Jahres klar, als man es bei der SVP fast als Katastrophe erlebte, einige Bürgermeister zu verlieren. 1995, als es bei uns im Ahrntal erstmals passiert, hieß es überhaupt: Wehret den Anfängen! Wenn sich das in einer Gemeinde durchsetzt, kann es auch in anderen interessant werden.
"Mein persönlicher Eindruck ist, dass heute auch in der Bevölkerung der Idealismus verloren gegangen ist. Man wehrt sich nicht mehr, tritt nicht mehr für bestimmte Vorstellungen und Ziele ein. Vielmehr wird hauptsächlich gefragt: Was hilft mir und bei wem habe ich die Gewähr, dass ich meine Anliegen am besten durchbringe."
Doch hat die SVP beispielsweise in Freienfeld nicht auch das Recht zu sagen: Wir haben zwei Drittel der Sitze im Gemeinderat, wir lassen uns nicht vom Bürgermeister herum kommandieren?
Ich kann nicht im Detail beurteilen, was konkret dort vor Ort geschieht. Doch ich finde es auch wichtig, dass ein Bürgermeister vorgeben kann, was in einer Gemeinde passiert. Er führt, er muss den Kopf hinhalten, zum ihm kommen die BürgerInnen wie die Presse. Umso unglücklicher ist unser aktuelles Wahlrecht. Es kann doch nicht sein, dass die Bevölkerung einen Bürgermeister wählt, und der Gemeinderat ihn wieder abwählt. Das ist demokratiepolitisch gesehen höchst problematisch. In anderen Ländern und auch im restlichen Italien hat man solche Probleme gelöst: Wenn ein Bürgermeister die Mehrheit hat, hat auch seine Liste die Mehrheit.
Sie sind dagegen heute im Ahrntal längst nicht mehr Bürgermeister, aber seit Mai wieder Teil der Opposition. Genauer gesagt, der 6-köpfigen Teldra Bürgerliste. Wie viel können Sie nun unter der Volkspartei mitgestalten?
Wir stellen im Ahrntal mit der Bürgerliste ein Drittel der Sitze im Gemeinderat. Rechnet man noch die zwei Mandate der Südtiroler Freiheit dazu, steht es 8:10. Fast wäre es bei den Wahlen im Mai überhaupt zum Patt gekommen. Ein paar Stimmen mehr, und Opposition und Mehrheit hätten gleich viele Mandate gehabt. Dennoch gibt es keinen Ansatz für irgendeine Form der Zusammenarbeit. Also weder eine Gesprächs- oder Diskussionsbereitschaft von Seiten der SVP, keine Zusammenarbeit in den Kommissionen, geschweige denn im Ausschuss. Daran wäre gar nicht zu denken. Dementsprechend ist auch das politische Klima bei uns nicht sehr gut.
Wird damit der Wille der WählerInnen respektiert, die der Opposition im Ahrntal fast 47% der Stimmen geschenkt hat?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass heute auch in der Bevölkerung der Idealismus verloren gegangen ist. Man wehrt sich nicht mehr, tritt nicht mehr für bestimmte Vorstellungen und Ziele ein. Vielmehr wird hauptsächlich gefragt: Was hilft mir und bei wem habe ich die Gewähr, dass ich meine Anliegen am besten durchbringe. Diese Abkehr von der Politik, diese zunehmende Individualisierung schreitet auch bei uns stark voran. Also, was die Mitarbeit der Bevölkerung an der Politik betrifft, machen wir derzeit nicht gerade eine sehr positive Entwicklung mit.
Obwohl überall groß das Schlagwort Partizipation herausposaunt wird?
Es wird groß geredet, aber wenn es dann ins Konkrete geht, passiert nicht viel. Wir wollten zum Beispiel bei uns unter Einbeziehung der Bevölkerung Programme für zwei strukturschwache Gemeinden entwickeln. Doch das Vorhaben wurde von der Mehrheit abgelehnt.
„All dieses Herumgerede, dass es auf Ortsebene nicht um Parteien, sondern um Personen und Zusammenarbeit gehe, überzeugt mich nicht. Das mag ein Punkt sein. Doch weit wichtiger ist, dass es Parteien und vor allem unserer großen Partei darum geht, regieren zu wollen und die Stellung zu halten“
Im Rahmen der letzten Gemeinderatswahlen lautete eine der immer wieder gehörten Forderungen, dass die besten Leute der Gemeinde ihre Kräfte und Ideen zusammenlegen sollen, um eine Gemeinde zu regieren. Ist so etwas bei Ihnen im Ahrntal also nicht möglich?
Wie gesagt; 53 Prozent bestimmen alles. Schade ist dabei auch, dass bestehende Kompetenzen nicht genutzt werden. Um Ihnen nur zwei einfache Beispiele zu nennen: Mein Bruder hat zehn Jahre lang das Gemeindeblatt geleitet und schreibt Bücher. Doch für ihn war nun nicht einmal ein Platz im Redaktionskomitee der Gemeinde. Ich habe mich dagegen ein halbes Leben lang mit Baurecht und Wohnbau beschäftigt. Doch man hat bevorzugt, für die Urbanistik jemanden in den Ausschuss zu holen, der noch nie in seinem bisherigen Leben mit Urbanistik zu tun hatte. Also, vielleicht will die Bevölkerung in den Dörfern tatsächlich weg von den Parteien. Die große Partei will es aber sicherlich nicht. Denn dort sagt man: Wenn uns die BürgerInnen einmal weggehen, sind sie für immer weg.
Sie klingen etwas frustriert. War es ein Fehler noch einmal in die Gemeindepolitik zurückzukehren?
Das ist eine berechtigte Frage. Man hat mich halt um Unterstützung gebeten und weil ich gut gewählt wurde, wollte ich das Mandat wahrnehmen. Es ist auch nicht so, dass ich frustriert bin. Doch natürlich habe ich nun eine andere Rolle. Oppositionsarbeit ist etwas ganz anderes als vorne dran zu sein, es geht um sehr viel schwerfällige Kleinarbeit. Und wir erleben jetzt auch nicht, dass uns die BürgerInnen mit Aufgaben und Anliegen überhäufen. Im Vergleich zu meinen ersten 16 Jahren in der Opposition hat sich da vieles geändert. Damals war der Kontakt zur Bevölkerung schon ganz anders.
Noch einmal zurück zu Natz-Schabs und Freienfeld: Wie wird sich das Verhalten der SVP dort Ihrer Einschätzung nach bei den Wahlen auswirken?
Das wird nun eben spannend werden: Wie handhaben die BürgerInnen in den beiden Gemeinden diese Situation bei der Neuwahl? Die Antwort wird in jedem Fall für viele Seiten eine Lehre sein. Und aufzeigen, ob man diese Linie weiter fahren kann oder vielleicht doch irgendwann weg muss.