Peripheres im „Bari-centro“
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Dass es die Initiative „Bolzanism“ bereits seit acht Jahren gibt, dürfte nicht jeder mitbekommen haben. In einer bewussten Entscheidung widmet sich die Initiative nämlich nicht dem Zentrum, sondern der Peripherie und auch dem sozialen Wohnbau von WOBI, beziehungsweise IPES.
An der 1995 fertiggestellten Wohnanlage um die Baristraße 3 (Spazio Fuorionda) aus der Feder Oswald Zoeggelers, mit großzügigen Freiflächen und, zugegebenermaßen weniger großzügigem Grün, wurde ab 17 Uhr eine Ausstellungs(wieder)-Eröffnung gefeiert. Ivo Corràs Fotodokumentation „Abitare è vita“ zum Wohnbauinstituts-Wohnen, fand bereits im Centro Trevi in der Bozner Innenstadt vor einem Jahr großen Anklang, Kollege Martin Hanni schilderte seine Eindrücke hier.
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Man blieb bei der Transplantation der Ausstellung dem vom Fotografen Ivo Corrà und Kurator Michele Fucich erarbeiteten Konzept treu, kleinere Neuerungen gibt es aber doch. Bei den in die Ausstellung einführenden Grußworten von Valentina Cramerotti, WOBI Präsidentin Francesca Tosolini und Ivo Corrà, zeigte man sich ausgesprochen froh über den neuen Standort „nel cuore di IPES“. Hier werden die Fotographien, wiederum auf zwei Stockwerken, aber noch knapperem Raum als im Centro-Trevi, weiter verdichtet, etwa zu einer Reihe von Einzel- und Gruppenportraits, die entlang der Treppe ins Obergeschoss angeordnet sind. Die Familientradition aus den USA ist ein Kniff, der - physisch und emotional - Distanz zum Besucher verringert und das Element der Gastfreundlichkeit, das die Ausstellung durchzieht, unterstreicht.
Der bereits mehrfach gestellten Frage, ob es sich um eine Neuauswahl handelt, greift der Fotograf selbst vorweg: Ein einzelnes neues Foto, ein Gruppenfoto am Rasen, hat es in den hinteren Teil des unteren Stockwerks der Ausstellung geschafft, rechts neben den Fotobüchern zum 50-jährigen Bestehen des WOBI, aus dem die Ausstellung ihr Bildmaterial schöpft. Corrà wählte es, weil ihm die „Heterogenität“ emblematisch erschien. Das „Wobi-Universum“ enthalte alles, sowohl in Bezug auf Personen, wie auf Architektur und auch Orte.
„Ich dachte nicht, dass es so weitläufig sein würde.“, berichtet Corrà von den Anfängen seiner Recherche, die ihn von Sulden, über Sterzing, ins Unterland und weiter führte. Auf 112 der 116 Gemeinden Südtirols verteilt, leben in geförderten Wohnanlagen rund 40.000 Personen, so Corrà. Das entspreche der drittgrößten Stadt Südtirols. Einen Einblick in diese Welt kann man in der Baristraße 3 noch bis 22. September, täglich zwischen 16 und 19 Uhr nehmen.
Mit dem Set des vom Norden des Gardasees angereisten DJ-Duos „a mezz-aria“ und Focacce aus dem Forno Vagabondo fürs leibliche Wohl, überbrückte man am frühen Abend angenehm die Zeit bis 19 Uhr. Im Freien hielten es die Zuseher und Gäste des Talks „Dalla tattica alla pratica“ angesichts eines plötzlichen Herbsteinbruchs in diesen Tagen mehr schlecht als recht aus.
Nach Gruß und Vorstellung der beiden Gäste durch Cramerotti, leitete Roberto Gigliotti von der Freien Universität Bozen das Fachgespräch. Fachleute fand man in der Architektin Elena Barthel (Architektin und engagiert für Comunità di Base "le Piagge" in Florenz) und ihres Kollegen Maurizio Cilli (Architekt, Künstler und Kurator für Kunst im öffentlichen Raum aus Turin). Zuvor griff Gigliotti aber noch einmal den eigentlichen Anlass dieser Bolzanism-Days auf: Der temporär gedachte Infopoint der Initiative Bolzanism am Don Bosco Platz segnet das Zeitliche, was dort mit einer „Demolition Party“ gefeiert wird. Um den architektonischen und - oft auch künstlerischen - Weg von Taktik zu Praxis sollte es bei dieser Neuorientierung von Bolzanism ja auch gehen.
Trotz Einladung an jene Zaungäste, die vom Fenster aus zusahen, sich auf einen der Stühle zu setzen, blieb es ein Gespräch unter Architekt:innen, von denen auch die einzigen Publikumsfragen kamen. Am spannendsten dürften für das Publikum, das nicht vom Fach war, jedoch die von den Gästen mitgebrachten Beispiele zur architektonischen Praxis gewesen sein. In der Tasche von Barthel fanden sich Geschirrtücher, die zur Beschaffung von Geldmitteln künstlerisch gestaltet und verkauft wurden, was viel Geld für die von einem anarchischen Priester ins Leben gerufene Basis-Initiative im peripheren Florenzer Stadtviertel generierte. Maurizio dagegen setzte auf Karten und dickes Papier („un flyer di 600 grammi non lo butta nessuno“) in seinem Umfeld, Turin.
Als Architekt tätig wurde Cilli in einer Zeit des Umbruchs: Die Väter seien von der Arbeit in den Fabriken krank gewesen und die Söhne wünschen sich ein anderes Leben, da statt Autoproduktion nur noch Teile gefertigt wurden. Bei seinem Engagement für den Erhalt einer Fabrikhalle aus dem 19. Jahrhundert, lobte Cilli das Radio als Medium, das in den 80er Jahren noch viele Menschen (bis zu 10.000 für einen Protest) mobilisieren konnte. Im Radio sieht er einen Raum der Subkultur, der vom Internet verschluckt wurde.
Die wandelbaren und sich wandelnden Gegebenheiten von Turin machen vielleicht gerade dort eine Draufsicht auf das Territorium spannend: Zu den fluvialen Adern (Turin hat mit vier Flüssen einen mehr als Bozen), wie auch zur Neuausrichtung der Karte für andere Nutzer. Eine „gesüdete“, mit Zeichnungen und Anmerkungen versehene Karte der Stadt, war etwa Ergebnis einer Arbeit mit Asylanwerbern aus Ghana, die grüppchenweise über öffentliche Verkehrsmittel die Stadt erkundeten und für sie wichtige Punkte markierten: Wo lässt sich Geld ins Ursprungsland überweisen? Wo gibt es internationale Zeitungen? Wo Lebensmittel aus der alten Heimat? Und wo ist vielleicht sogar der richtige Ort um als Geflüchteter zu heiraten…
Während man verschiedene Zugänge sucht und auf die Problemstellung der möglichen Gentrifizierung durch den Eingriff eines Architekten nicht wirklich eine Antwort hat, ist man sich bei einer Sache einig: Dass die Arbeit eines Architekten oder einer Architektin im Idealfall eine langsame ist. Elena Barthel bringt es am schönsten auf den Punkt: Es gelte „zu lernen beim Tun, abzuändern während man kann“. Der Dialog von der „Taktik zur Praxis“ soll von der Praxis heute Abend zur Politik führen und auch an einen neuen Ort, an die ehemaligen Semirurali-Wohnungnen in der Cagliaristraße.
Bolzanism Days, 13. bis 15. SeptemberAlle Infos zum Programm finden Sie hier online. Für einige Termine ist eine Anmeldung erforderlich.