Die Diktatur der Minderheiten
Vor wenigen Tagen haben streikende Stahlarbeiter aus Terni die Autobahn zwischen Rom und Florenz vier Stunden blockiert und damit in Latium und Umbrien einen gigantischen Stau verursacht. Es ist nicht damit zu rechnen, daß sie dafür zur Verantwortung gezogen werden. Auch das Bodenpersonal des Flughafens Fiumicino, das letzthin ohne Vorankündigung die Verladung von mehreren tausend Gepäckstücken verweigerte, wird wohl ungeschoren davonkommen.
Italien hat sich stets den Exzessen kleiner Minderheiten gefügt oder sie sogar mit Sympathie begleitet. Über Jahre blockierten Frächter und Fluglotsen den Verkehr, um ihre Forderungen durchzusetzen. In den Stadien des Landes geben militante Hooligans den Ton an und können sogar den Abbruch der Spiele erzwingen. Vor zwei Wochen blieb Italiens berühmteste Ausgrabungsstätte Pompeij zum wiederholten Mal wegen einer Gewerkschaftsversammlung geschlossen. Über tausend vorwiegend ausländische Besucher mußten unverrichteter Dinge abziehen. Daß Museen wegen spontaner Streiks geschlossen bleiben, gehört schon zum touristischen Alltag.
Doch jetzt hat der berühmteste Dirigent des Landes ein deutliches Zeichen gesetzt: Riccardo Muti hat sein Amt an der römischen Oper niedergelegt. Seine Entscheidung ist unwiderruflich. Muti war nicht bereit, sich den seit Jahren sattsam bekannten Exzessen zu beugen, die eine
Reihe von Kleingewerkschaften an der Opera di Roma inszenierten. So ließen zwei Dutzend Musiker die Aufführungen in den Caracalla-Thermen platzen und boykottierten die Tournee nach Japan. Das von Konkurs bedrohte Opernhaus regierte drastisch: Chor und Orchester wurden entlassen und sollen nun unter neuen Arbeitsbedingungen wieder aufgenommen werden.
Auch im teuersten und ineffizientesten Parlament Europas toben sich die Minderheiten aus. Zehn Senatoren können ein Verfassungsgesetz
mit 7000 Abänderungsanträgen blockieren, andere klettern auf das Dach des Palazzo Montecitorio oder attackieren den Senatspräsidenten
mit Wurfgeschossen aller Art. Eine kleine und überbezahlte Clique mächtiger Ministerialbeamter kann Gesetze aushebeln, indem sie den Erlaß von Durchführungsbestimmungen verhindern oder verzögern. Für Gesetze der Regierungen Monti und Letta sind noch 420 solcher Bestimmungen ausständig, doch in 189 Fällen ist der Termin dafür bereits verfallen. Millionen Bürger haben gegenüber dieser Entwicklung
resigniert. Akzeptieren widerspruchslos, daß Sprayer Häuser und Denkmäler verunzieren und öffentliche Einrichtungen beschädigen.
Dagegen, so der bekannte Corriere-Leitartikler Ernesto Galli Della Loggia, bedürfe es eines Erwachens: "C´é bisogno di segnali e di una svolta dal basso." Der Ton ist freilich eher pessimistisch:" Una sempre maggiore parte degli italiani non riesce piú a credere di far parte di una comunitá retta da regole fatte rispettare da un´autoritá vera. Non riesce piú a credere che esista uno stato.
Hmm... hier werden alle in
Hmm... hier werden alle in einen Topf geworfen: kann man wirklich streikende Stahlarbeiter mit Hooligans oder Ministerialbeamten vergleichen? Nein, wer aus Existenzängsten protestiert kann nicht mit Gaunern (egal ob mit Schlagstock oder Krawatte) verglichen werden.