Chance für anders?
„Dieses Gesetz regelt den Schutz und die Aufwertung der Landschaft, die Raumentwicklung und die Einschränkung des Bodenverbrauchs:“: Wer sich Artikel 1 des Entwurfs für das neue Gesetz für Raum und Landschaft zu Gemüte führt, kann sich ungefähr vorstellen, wie vielfältig die Wortmeldungen sind, wenn Unternehmer und Umweltschützer, Politiker, Verwalter und Verbandsfunktionäre zusammenkommen, um über seine Auswirkungen und Zielsetzung zu diskutieren. So geschehen am Montag Nachmittag in der Bozner Salewa, in die das Kuratorium für technische Kulturgüter zu einem „Positionsgespräch“ lud. Nach der diesjährigen Kampagne des Kuratoriums gegen den Flächenfrass und jener gegen den Abbruch historischer Bausubstanz vor vier Jahren widmete Organisatorin Wittfrida Mitterer den gestrigen Nachmittag der Frage, inwiefern das Regelwerk, das demnächst von der Landesregierung verabschiedet werden soll, tatsächlich eine Chance zur Eindämmung des Flächenverbrauchs im Land ist.
Dass es eine solche dringend braucht, hatte vor vier Jahren bereits der Südtiroler Bauernbund mit einer Auftragsstudie des Institutes Apollis aufgezeigt. Täglich wird in Südtirol die Fläche eines Fußballfelds verbaut, war damals gewarnt worden; in den vier Jahrzehnten seit 1986 sei im Land vier Mal so viel Fläche verbaut worden wie in seiner gesamten Vergangenheit. Diesbezüglich wurde in der jüngeren Vergangenheit zwar deutlich hergebremst, unterstrich Urbanistik-Landesrat Richard Theiner. Lag der jährliche Flächenverbrauch zum Beginn der Nuller Jahre tatsächlich noch bei rund 270 bis 280 Hektar, reduziert er sich in den Jahren zwischen 2012 und 2015 auf knapp 200 Hektar, um 2016 gar rapide auf 31 Hektar zu sinken.
Doch in einer Provinz, in der nur 5,5 Prozent der Fläche besiedelbar sind und bereits 1,8 Prozent davon verbaut sind, müsse die Eindämmung des Flächenverbrauchs eines der elementarsten Ziele überhaupt sein, unterstrich der Landesrat. Noch dazu, da sich die Bautätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr von den Auffüllzonen über die Erweiterungszonen ins landwirtschaftliche Grün verlegt hat.
Innen flexibel, außen penibel
Die effizientere Nutzung von Bestehendem, insbesondere über ein strenges Leerstandsmanagement, und das neue Instrument der Siedlungsgrenze, mit dem zwischen besiedelten Gebieten und freier Landschaft unterschieden wird, sind zwei Vehikel, mit der diese Entwicklung wieder korrigiert werden soll. Herzstück ist dabei laut Theiner auch die aktive Rolle der Gemeinden. Statt wie bisher vor allem auf Anfragen von Privaten zu reagieren, sollen sie der Landesregierung künftig auf Basis detaillierter Erhebungen über die bisherige Flächennutzung und Leerstände vorschlagen, wie sich ihre Gemeinde in den kommenden Jahrzehnten weiterentwickeln soll. Das neue Instrument Gemeindeentwicklungsprogramm, mit dem die Siedlungsgrenzen festgelegt werden, könnte dabei laut Theiner auch in Südtirol wahr werden lassen, was er beispielsweise in Bayern erlebt hat: Eine Bürgermeisterin, die ihn auf seine Frage, wie lange die Zuweisung von Gewerbeland in ihrer Gemeinde brauche, antwortete: einen Tag.
Eine Antwort, die Südtiroler Unternehmern nur ein bitteres Lächeln entlockt. Sechs Jahre habe er auf die Zuweisung des Grundes für das heutige Salewa-Headquarter gewartet, meinte etwa der Hausherr der Veranstaltung Heiner Oberrauch. Franz Staffler brauchte insgesamt gar 18 Jahre, um sein Hotel Greif „dort hinzustellen, wo es heute ist“, wie er erklärte. Kehrseiten des immer noch mit Stolz betrachteten Erbes von Alfons Benedikter, der die Entwicklung der Raumordnung mit seinen – wie Sohn Rudi am Montag erinnerte - Ende der 60er-Jahre aus den USA importierten Grundsätzen bis heute prägt.
„Innen flexibel, außen penibel“, beschreibt der heutige Urbanistik-Landesrat dagegen gerne die Ausrichtung, unter der die nun geplante Kursänderung stattfinden soll. Sprich: vereinfachte Verfahren und vor allem mehr Bewegungsspielraum innerhalb der Siedlungsgrenzen, dafür umso strengerer Schutz der freien Landschaft außerhalb. „Schön wär’s“, kommentierte Rudi Benedikter diese Versprechen am Montag Nachmittag, „bei manchen dieser Bestimmungen ist man innen wie außen hauptsächlich flexibel.“ Ein konkretes Beispiel, das er dafür brachte? Die strenge Einschränkung des Bodenverbrauchs außerhalb der Siedlungsgrenzen wird in Artikel 17 des Gesetzesvorschlages für die Landwirtschaft wieder relativiert.
Prellbock der Nation
Ein wenig Bewegungsspielraum brauche die Landwirtschaft eben auch, konterte Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler. Der bekam an diesem Tag allerdings weit weniger Fett ab als sein Pendant im HGV. Vor allem der wachsende Gästezustrom der vergangenen beiden Jahre, den Südtirol in Zeiten von Terror und politischer Instabilität auch seinem Status als sichere Destination zu verdanken hat, führe dazu, dass man derzeit eben der „Prellbock der Nation sei, der ständig im Kreuzfeuer steht“, wie HGV-Präsident Manfred Pinzger meinte. Wirkliches Kreuzfeuer gab es in der Salewa zwar keines – dennoch wurden die Reibflächen deutlich, die auch innerhalb der Branche hinsichtlich der Weiterentwicklung von Südtirols wichtigem Standbein bestehen. „Bereits in den Dreißiger Jahren hatte Luis Trenker davor gewarnt, dass es im Grödner Tal angesichts der touristischen Entwicklung eng werden könnte“, sagt beispielswiese der gebürtige Grödner Architekt Joachim Moroder. „Mittlerweile hat man dort die Landschaft vor allem durch den Tourismus buchstäblich zerstört.“ Auch Heinrich Dorfers Tourismusdorf „Quellenhof“ wurde mit einer Projektion an die Wand als Symbolbild für „Immer größer, immer schneller“ an die Wand projiziert. Warum hat ausgerechnet die Tourismuswirtschaft, die genau von der wunderbaren Südtiroler Landschaft oder dem kulturellen Erbe alter Bauernhöfe lebt, so starke Berührungsängste mit Ökologie und Landschaftsschutz, fragte auch ein Branchenmitglied wie der Innichner Hotelier Franz Ladinser vom Hotel Grauer Bär. Und: „Wie viel bekommt ein Gast des Quellenhofs überhaupt noch von Südtirols Landschaft mit, wenn innerhalb der Struktur alle Bedürfnisse abgedeckt werden?“
„Die Touristiker zerstören überhaupt nichts“, konterte der HGV-Präsident. Gröden sei eben Gröden und der Quellenhof eine gut funktionierende Ausnahme in Südtirols Tourismuswirtschaft. Er mute sich in jedem Fall kein Urteil darüber zu, ob in Gröden die Grenzen des Erträglichen überschritten wurden. „Doch Sie als Grödner hätten es ja verhindern können, wenn Sie der Meinung sind, schließlich ist jede Gemeinde selbst für ihre Entwicklung zuständig“, antworte er Moroder. Pinzgers wichtigster Appell an diesem Nachmittag: „Scheren wir Südtirol nicht über einen Kamm“. Denn es gäbe Gebiete, in denen vor allem neue Betriebe tatsächlich nichts mehr zu suchen hätten, in anderen wie dem hinteren Martelltal wären sie dagegen höchst willkommen. Generell zufrieden sei der HGV deshalb auch mit dem nun vorliegenden Entwurf, der die Möglichkeiten einer quantitativen und qualitativen Erweiterung für bestehende Betriebe weiterhin ermögliche und die Zulassung neuer Strukturen an erschwerte Bedingungen wie das Vorliegen besonders innovativer oder nachhaltiger Betriebskonzepte knüpfe.
Vorprogrammierte Zielkonfikte?
Die Zusammenführung von 134 Artikeln des heutigen Landesraumordnungsgesetz und 26 im Landschaftsschutzgesetz in 104 Artikel des aktuellen Entwurfs wird generell als einer der großen Schritte dieser Reform gesehen. Doch ergeben sich daraus nicht automatisch Konflikte innerhalb des Gesetzes, das beispielsweise die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit aller Sektoren genauso zu seinen Zielen zählt wie den Schutz und die Aufwertung der Landschaft und der naturräumlichen Ressourcen? Ja, antwortet darauf ein Rudi Benedikter, der sich deshalb im Gesetz eine Prioritätensetzung statt ein Nebeneinander der insgesamt elf Ziele wünscht, die in Artikel 2 des Gesetzesentwurfes aufgezählt werden. Dass der Landschaftsschutz dabei Vorrang haben müsse, gebiete schon die Verfassung, so der Rechtsanwalt. „Landschaftsschutz und eine Särkung der Wirtschaft sind per se kein Widerspruch“, konterte dagegen der Unternehmer Franz Staffler. „Beides hat eine Berechtigung und beides muss einen Platz haben können.“ Dort, wo es tatsächlich Widersprüche gäbe, müssten diese von Fall zu Fall mit einer vernünftigen Beurteilung gelöst werden, forderte der Bozner Hotelier und Unternehmer. „Doch wir können heute nicht Entwicklungen der nächsten 20 bis 30 Jahre vorhersehen und schon vorab alles verhindern.“
Gewisse Probleme mit einer solch langfristigen Landschaftsplanung sieht auch ein Gemeindevertreter wie der Freienfelder Bürgermeister Peter Faistnauer. Denn heute reagiere die Gemeinde beispielsweise auf die Nachfrage eines Handwerkers, der aufgrund seiner Entwicklung mehr Grund braucht und um eine Bauleitplanänderung anfragt. „Ich kann mir noch schwer vorstellen, wie wir dann ohne eine solche Initiative von Seiten den Wirtschaftstreibenenden sagen sollen, hier weisen wir eine Handwerkerzone oder Tourismuszone aus“, so Faistnauer. Die entsprechende Kompetenz der Gemeindeverwalter, die für die Beantwortung solcher Fragen künftig eine Kommission für Raum und Landschaft zur Seiten haben sollen, in der alle involvierten Fachleute vertreten sind, wird in vielen Fällen noch zu schulen sein, räumte auch Urbanistiklandesrat Theiner ein. Er versprach, dass sich auch das Land bei diesem Prozess begleitend einbringen werde. Dass eine solche Dezentralisierung der Kompetenzen bei der Raumplanung auch zu noch mehr „Freunderlwirtschaft“ führen könnte, wie der Vorsitzende des Dachverband für Natur und Umweltschutz Klauspeter Dissinger befürchtet, wies Faistnauer in der Diskussion in jedem Fall entschieden zurück.
So unterschiedlich die Positionen in manchen Bereichen auch sein mögen. „Im Großen und Ganzen gibt es schon viel Konsens“, zog Unternehmer Heiner Oberrauch einen Schlussstrich über den Austausch in seinem Haus. Vor allem der partezipative Prozess, in dem der Entwurf in den vergangenen Jahren erarbeitet worden sei, habe die unterschiedlichen Interessen teilweise näher aneinander gebraucht. In einem Punkt kam laut Landesrat Theiner tatsächich von allen Beteiligten eine einhellige Rückmeldung: Einer Zersiedlung, wie sie bei der Veranstaltung mit einem Luftbild von Eppan veranschaulicht wurde, solle künftig Einhalt geboten werden. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit der gemeinsame Nenner, den Heiner Oberrauch nannte: „Wir haben eine riesige gemeinsame Verantwortung“, meinte er, „unseren Enkeln so viel freie Fläche zu hinterlassen, dass auch sie noch bauen können.“