Culture | Salto Afternoon

Brisante Ungereimtheiten

Nun liegen sie vor, die österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten zum „Südtirol-Problem“ der 1960er Jahre. Ein Buch mit viel Zündstoff.
Buchvorstellung
Foto: Salto.bz

Der Militärhistoriker Hubert Speckner legt mit dem Buch Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“ seine  Habilitationsschrift vor, eine knapp 800 Seiten starke wissenschaftliche Abhandlung, welche die Zeit zwischen Feuernacht 1961 und dem Vorfall auf der Porzescharte 1969 genau untersucht. Das Buch bringt neue Dokumente ans Tageslicht, Akten, die bisher von den Historikern „noch nicht eingesehen“ wurden.

Bereits 2013 sorgte Speckner mit dem Buch Zwischen Porze und Roßkarspitz… für Aufsehen, in dem er die Vorfälle der Nacht vom 25.Juni 1967 neu bewertet. War es ein Terroranschlag? War es kein Terroranschlag? Tatsache ist, es kamen vier Carabinieri ums Leben, einer wurde schwer verletzt. Heimatbund und Südtiroler Freiheit waren 2013 sofort zur Stelle und verleibten den Militärhistoriker in ihr politisches Denkbild ein. Speckner betonte bei der Pressekonferenz zur Buchvorstellung am heutigen Vormittag: „Bei mir steckt keine Ideologie dahinter. Ich arbeite nur mit Originalakten. Ich habe eben die Möglichkeit im Staatsarchiv zu sitzen. Und das ist der wesentliche Kern der Arbeit“.
Dennoch stellt sich die Frage, weshalb Speckner doch sehr eng mit dem rechtskonservativen Journalisten Reinhart Olt zusammenarbeitet. Olt ist, wie Speckner, der italienischen Sprache nicht mächtig und hat sich - kleines Detail am Rande - durch seine Übersetzung der sardischen Stadt Alghero mit "Algerien" bei Historikern nicht wirklich einen guten Namen gemacht. Olt publizert manchmal mit den Pseudonymen Reynke de Vos oder Herrolt vom Odenwald, wenn er für politisch umstrittene Plattformen schreibt.

Bei der Pressekonferenz ging Speckner kurz auf den Vorfall Porzescharte ein: „So wie die Sache allgemein dargestellt wird, stimmt sie sicher nicht.“ Er erwähnte drei weitere Vorfälle, etwa jenen von Egon Mayr, vom 26. Dezember 1955. Mayr war ein österreichischer Bahnbeamter, besuchte über die Weihnachtsfeiertage seine Freundin in Gröden und hatte bei seiner Abreise am Stefanstag Kopien der Auslandsösterreicher-Zeitung Austria bei sich. In der in Chicago erscheinenden Zeitung - die Mayr in den Händen hat - steht geschrieben, dass der Fall Südtirol vor die UNO gehöre, eine Kampfansage. Mayr entledigt sich seiner Austria-Kopien am Bahnhof in Brixen, wird beobachtet und dann am Brenner verhaftet.
Ein zweiter Fall: In der Nacht von 12. auf 13. September 1965 kam es zu einer Schießerei am Reschenpass. Aufgrund der außenpolitischen Verwicklungen forschte Speckner in den Akten der österreichischen Staatspolizei: „An diesem Tag gab es ein großes Fest in der Bar Manuela. Es wurde viel Alkohol getrunken. Zornige Alpini verließen nach Mitternacht die Bar Manuela und kurze Zeit später fielen Schüsse gegen die Kaserne, gegen fünf Uhr früh Handgranaten.“ Ob es den Vorfall gegeben hat? Die Presse, die am darauffolgenden Tag im Oberen Vinschgau auftaucht, erfährt nichts davon. Zudem gab es keine Beweise. Im eben erschienenen Buch des Bumsers Siegfried Steger, schreibt dieser, die Pusterer seien bei dem Vorfall in Reschen dabei gewesen, allerdings dürfte Steger – so Speckner – den Vorfall mit einer Geschichte verwechseln, die sich am 27. August 1966, also ein Jahr später, ebenfalls am Reschenpass zugetragen hat. Hier steht nun Meinung gegen Meinung. Wer hat sich geirrt, Staatspolizei oder Steger?
Der letzte Fall, den Speckner im Pressegespräch aufgreift, hat sich am 23. Mai 1966 am Pfitscherjoch zugetragen, bei welchem der Finanzer Bruno Bolognesi aus Ferrara ums Leben kam. Die italienischen Tatort-Fotos, die eigenartiger Weise auch in Österreich vorliegen, sprechen laut Speckner eine klare Sprache: „Hier handelt es sich um eine Gasexplosion, wie auf der Steinalm."

Das ist nur ein Teil der Geschichte, jener aus den österreichischen Archiven.

„Das Schönste wäre,“ sagte Speckner am Schluss seines Pressetermins, „wenn sich nun wirklich Zeithistoriker oder Studenten nach Rom aufmachten, um dort die italienischen Akten einzusehen.“ In Italien gibt es - wie in Österreich - eine Archivsperre von 50 Jahren. 
Das Buch wird heute, 14. Dezember, um 18 Uhr in Bozen (Franziskanertaverne, Franziskanergasse 7) vorgestellt.