Weihnachtszauber im Wohnzimmer-Format
Seit Tagen gehen mir die vehement ausgedrückten Aussagen von Renate Mumelter zu unserem heurigen Bozner Weihnachtszauber nicht aus dem Kopf. Insbesondere die breite mediale Bühne, Zeitung, Radio, sogar Tagesschau, die geboten wird, überrascht, zumal sie obendrein von drei offenen Briefen ergänzt wurde. Begriffe wie Kitsch oder im italienischen Format "la fiera delle oscenità" überschreiten fast auf irritierender Weise die persönliche Meinungsfreiheit. Sämtliche Bemühungen der Organisatoren werden einfach unwiderruflich als negativ abgestempelt und die ausgedrückte Ansicht soll, so mein Empfinden, allgemein gültigen Charakter haben.
Dabei könnte man kurz innehalten und überlegen:
Die Covid-Offensive hat uns gezwungen, auf Vieles zu verzichten, doch bleibt den Menschen und vor allem den Kindern viel mehr übrig als gedacht, um das Menschsein und die Kindheit zu bewahren und sogar, um neue und alte Dimensionen zu entdecken oder wieder zu erleben. Wer den heurigen Weihnachtsgeist für Bozen kurzfristig und unter extrem seltenen Bedingungen geplant und organisiert hat, muss vor allem Folgendes ins Auge gefasst haben: Heuer ist der städtische Weihnachtszauber im Wohnzimmer-Format oder als erweiterte Stube zu konzipieren. Die sonst möglichen Events und Tätigkeiten sind covidbedingt eingeschränkt. Die häusliche Atmosphäre auf die Stadt übertragen und an die frische Luft bringen, ohne Menschenansammlungen zu erzeugen, ist nun Aufgabe der Gemeindeverwaltung. Unsere Stadt ohne Touristenansturm, ohne Menschenansammlungen rund um die komprimierten Weihnachts-Orte der Altstadt, ohne Kaufrausch und ohne selbst-erzeugtem Weihnachtsstress ist für alle etwas Neues. Im Wohnzimmer oder in der Stube herrscht im Dezember eine gewisse Behaglichkeit: Weihnachtsdekoration, Lichteffekte, Weihnachtsklänge, Weihnachtsdüfte und eine Zeit, die dem erzählenden und magischen Element gewidmet wird. Diese Atmosphäre wird auf die Stadt übertragen und führt, wenn man sich entführen lässt, zu einer wohltuenden Entschleunigung.
Dazu braucht es: Dekoration und Lichtspiele: Weihnachtsbäume, Adventskränze, Rentiere, Lichteffekte, statisch und in Bewegung. Sie sorgen für die Atmosphäre und erinnern daran, dass sich doch alles bewegt und in Austausch bleibt, wie Licht und Schatten, Dämmerung und Sonnenaufgang. Klänge ohne Aerosole. Sie entspringen aus den Lautsprechern. Eine Alternative zum Singen und Musizieren live. Sie schaffen es, bei gut ausgewähltem Repertoire und angemessener Lautstärke eine Stimmung zu vermitteln. Und dies, ohne zu bewirken, dass Passanten deshalb die Stimme erheben müssen und somit mehr Aerosole als bei einem Konzert in einem Saal oder in Präsenz ausscheiden. Duft-Streuer – ein origineller Einfall, damit man aus Südtirols Düfte-Reichtum schöpfen und den sonst eher vernachlässigten Geruchsinn aktivieren kann.
Diese Atmosphäre wird auf die Stadt übertragen und führt, wenn man sich entführen lässt, zu einer wohltuenden Entschleunigung
Ein Hexenhaus zur Freude der Kinder. Ein neuer Ort, den man zu Weihnachten aufsuchen kann, wo Staunen, sich "ein bisschen Fürchten" und Rollenspiele-Entfachten alles eins wird. Kinder brauchen Märchen, schrieb Bruno Bettelheim, einer der bedeutendsten Psychologen, der das Kind-Sein gründlich erforschte. Märchen helfen. Symbolik und Fantasie spielen eine wesentliche Rolle beim Bekämpfen der Bösewichte und bei der Auseinandersetzung mit Ängsten. Vielleicht stellen sich Kinder sogar vor, dass die Hexe einen Corona-Besen besitzt, mit dem sie versucht, den Menschen Schlimmes anzutun. Aber zum Glück sind Mami und Papi da und auch die Lehrerin, und der Opa, die sie beschützen und ihnen sagen, wie man die Hexe und ihren Corona-Besen überlisten kann.
Und noch ein Gedanke zum Hexenhaus: Bekanntlich holen Kinder keine Information über die Beschaffenheit oder die Materialien der Spielsachen ein. Burgen, Tretautos und Hexenhäuser sind einfach zum Spielen da. Die Kinder staunen, sie tuscheln, sie lachen. Man braucht nur ein Stündchen am Rathausplatz zu verweilen und sich an den lachenden Gesichtern, die man auch unter dem Mundschutz erahnt, zu ergötzen. Ein kleiner gesunder Erholungsort für die Seele. Natürlich wären echte Lebkuchen auf dem Dach und ein Häuschen aus bestem Holz qualitativ besser als eines aus Styropor. Mal sehen, ob sich für die nächsten Jahre unter den Konditoreien, Bäckereien und Fertighäuser-Unternehmen ein großzügiger Sponsor finden lässt.
Ein Hexenhaus zur Freude der Kinder, ein neuer Ort, den man zu Weihnachten aufsuchen kann, wo Staunen, sich "ein bisschen Fürchten" und Rollenspiele-Entfachten alles eins wird
Der zweite Teil der Kritik besitzt in meinen Augen einen konstruktiveren Charakter. Hier geht es um die Äußerung, dass versäumt wurde, Künstler*innen zu engagieren und die Stadt als Ganzes zu beachten. Hierzu bringe ich noch die letzten zwei Beobachten ein. In den nächsten Jahren und nicht unbedingt nur in der Weihnachtszeit erwarten wir uns sicher alle, dass Künstler*innen vermehrt eingesetzt werden: Musikergruppen, Ensembles, Chöre, Maler*innen, Schauspieler*innen, Bildhauer, Dichter, Buchautor*innen und Sportler*innen und all das, an den verschiedensten Orten unserer Stadt. Es gibt Stadtteile, die viele Bozner gar nicht kennen. Diese verfügen über schöne und nett gestaltete Plätze, Bibliotheken, Kulturzentren, Parkanlagen, Amphitheater usw.
Ein dezentralisierter Christkindlmarkt zum Beispiel wäre eine absolute Neuigkeit. Die bereits vor Covid kaum mehr zu bewältigenden Menschenanstürme könnte man verteilen, den Aufenthalt gemütlicher gestalten und gleichzeitig anderen Stadtvierteln mit ihren Läden, Betrieben und Sehenswürdigkeiten neue Chancen einräumen. Einzelne Künstler kamen aber auch heuer bereits zum Einsatz. Denken wir an die stillen und faszinierenden Grödner Holzfiguren, an die digitalen Advent Events, an die Hersteller der Düfte, an die Musik, die aus den Lautsprechern kommt, an die Floristen und Lichteffekt-Techniker, die an der Verwirklichung der Gestaltung von Plätzen und Gassen mitgewirkt haben und nicht zuletzt an den Styropor-Künstler (oder -Künstlerin), der immerhin ein Hexenhaus verwirklicht hat, das – so oder so – auf jeden Fall viel Aufmerksamkeit erhalten hat, eben, das tun Hexenhäuser nämlich. Ich schließe mit dem Gedanken eines Salto-Lesers ab, der in diesem Kontext die alten Römer zitierte als Ansatz, den man nicht außer Acht lassen darf: "De gustibus non disputandum est."
Ich möchte Renate Mumelter
Ich möchte Renate Mumelter zum Thema in allen Punkten Recht geben! Ihre Kritik an der seelenlosen Verkitschung der Bozner Innenstadt ist mit jeder Silbe stimmig.
Es zeigt sich wieder einmal, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, die kulturelle, künstlerische und religiöse Ausgestaltung des öffentlichen Innenstadtraumes zu Weihnachten gewinnorientierten Würschtlstand-Verkäufern zu überlassen, die NULL Bezug zur Kultur haben.
Ich stelle mir spaßeshalber gerade vor, wie Jesus Christus überraschenderweise nach Bozen kommt und Johanna Ramoser zu einem Rundgang in die City bittet. Da möchte ich aber wirklich nicht in ihrer Haut strecken, wenn sie dem Sohn Gottes, dessen Geburtstag wir nächste Woche feiern, diesen Polyurethan-Schrott etc. erklären muss.
In reply to Ich möchte Renate Mumelter by Harry Dierstein
Jesus Christus würde sich
Jesus Christus würde sich wohl allgemein über das Weihnachtsfest wundern
"... Dazu braucht es:
"... Dazu braucht es: Dekoration und Lichtspiele: Weihnachtsbäume, Adventskränze, Rentiere, Lichteffekte, statisch und in Bewegung..."
Fehlt nur noch Frosty the Snowman und dann wären wir komplett!