Vielstimmiges Mitmachtheater
Es war ein außerordentliches, noch nie dagewesenes Stück Theater, das die Vereinigten Bühnen Bozen am Samstagabend zur Premiere freigaben. Die Bombenjahre der 1950er und 1960er Jahre, Südtiroler Zeitgeschichte, verkörpert, erzählt und dargestellt von über 30 Mitwirkenden, die Musicbanda Franui nicht mitgezählt. Die Osttiroler Musiker gestalteten den ersten und dritten Teil der Aufführung mit sensiblen, lautmalerischen Effekten, wie nur sie es können, ein bisschen Trauermarsch, ein bisschen Tanzboden, dazwischen schelmische Instrumentenkommentare, etwa zu Silvius Magnagos Stimmeinspielungen.
Da saßen die Zuschauer noch als Ganzes im großen Saal und wurden eingeführt in das dreistündige Programm. Mit den Auftritten der Zeitzeugen, Historiker und Politiker, die man später im Rundgang durchs Theater aufsuchen konnte. Der pensionierte Digos-Beamte Vinicio Marcomeni, die Südtiroler Freiheit-Vertreterin Eva Klotz, der ehemalige Kabinettchef Bruno Kreiskys Peter Jankowitsch oder der im Rollstuhl sitzende Ubaldo Bacchiega schilderten ihre Bezüge zu den Bombenjahren und gaben dem Publikum Gelegenenheit zu einem ersten Eintauchen in die Materie, zu einem Ausformulieren aufkommender Fragen.
Gut gestaltet war dieser Teil, spannungsaufbauend auch deshalb, weil man wusste, gleich geht es los mit der Begehung, der Erwanderung der 14 Erzähl-, Frage- und Vortragsstationen. Hinter der Bühne gab es vorher noch die Vorträge des Historikers Rolf Steininger und der Nordtiroler BAS-Zuträger und Attentäter Herlinde und Klaudius Molling. Zwei Konträrst-Meinungen prallten hier aufeinander und leider gab es auch ein Aufeinanderprallen der Akustik, denn nur ein Vorhang trennte die gleichzeitig Sprechenden. Auch dass man den Vortragenden das Zu-Ende-Bringen der letzten Sätze nicht gewährte, war wohl der Nervosität der Veranstalter zuzuschreiben, es hätte den Ablauf jedoch nicht weiter durcheinandergebracht. Mit Steininger und Molling waren die beiden Meinungs-Eckpfeiler der ganzen Veranstaltung gesetzt, hier der Historiker der den Anschlägen der Feuernacht jegliche konstruktive politische Bedeutung abspricht und dort die Schmuggler von Waffen und Sprengstoff, die sich auch an den Attentaten beteiligt hatten und nonchalant über die „alten Zeiten“ plauderten, am Sofa mit Stehlampe.
Dramaturgin Elisabeth Thaler im Gespräch mit Klaudius Molling
Die Begehung aller 14 Stationen, an denen die Zuschauer zuhören, nachfragen und sich ein noch genaueres Bild holen könnten, war allerdings ein utopisches Unterfangen. Besser, man erinnerte sich an dieser Stelle der Fragen, die sich aus dem ersten Teil ergeben hatten und besuchte gezielt diese Akteure, Ubaldo Bacchiega etwa, Peter Jankowitsch oder den Polizisten Vinicio Marcomeni, den Historiker und Journalisten Christoph Franceschini, den überraschend aufgetauchten Sepp Innerhofer, einziger noch lebender Mitgründer der BAS, die beiden Autoren Hans Mayr und Gerhard Mumelter, die sich frühzeitig mit den Personen und Auswirkungen der Feuernacht auseinandergesetzt hatten, oder den Schützenobersten Elmar Thaler in seinem Container am Vorplatz des Theaters. Im Gespräch und in den Erzählungen wurden die Geschichten und Anekdoten wieder hervorgeholt, Geschichte erhielt so „ein Gesicht“ bzw. viele und war durch die personifizierten Darstellungen greifbar, ließ ahnen, was die Betroffenen erfahren mochten, berührte. Durch das lockere Begehen des Theaters – bespielt wurden das Foyer, der erste und zweite Stock sowie der Vorplatz – kamen die Besucher auch miteinander zum Thema ins Gespräch, auch das ein schönes Ergebnis des Mitmachtheaters.
Zum Ende wurden alle wieder in den großen Saal gerufen, den Abschluss widmete Regisseur Alexander Kratzer der Jugend. Wie ist ihr Blick auf diese Zeit, auf diese Geschehnisse und was haben sie uns zu sagen? Es gab etliche bestimmte und politisch festgefügte Aussagen von den jungen Leuten, einige fragend-überlegende, auch hoffnungsfrohe; ein Goodwill-Teil, den es unbedingt gebraucht hat? Denn an Informationen und Erlebnissen hatte es viel gegeben an diesem Theaterabend, das Zusammenbringen allein der Akteure ist den VBB hoch anzurechnen, ein zweites Hingehen schien vielen Besuchern am Ende des Abend opportun.
Die Aufführungen "Bombenjahre" am Bozner Stadttheater sind noch bis 24. Februar zu sehen.