Culture | Salto Afternoon

Unaussprechliches zur Sprache bringen

„Missionen der Schönheit - Holofernesmomente“, Tanz trifft auf Texte von Sibylle Berg, sorgt für Brüche. Im TidA zeigt man radikale Perspektiven der Weiblichkeit.
Missionen der Schönheit
Foto: Theater in der Altstadt
Drei Schauspielerinnen (Christina Khuen, Sabine Ladurner und Johanna Porcheddu), zwei Tänzerinnen (Anastasia Kostner und Francesca Ziviani), ein starker und internationaler weiblicher Soundtrack und Möglichkeiten der Anonymisierung (Ausstattung: Zita Pichler) sind das gesamte Inventar mit welchem sich Regisseurin und Choreographin Martina Marini dem Text von Berg stellt. Anfangs mit meditativer Langsamkeit, an der Grenze zwischen Performance und Tanz kommen die fünf Frauen durch den Bühnenraum aus der sich lichtenden Finsternis aufs Publikum zu, den Blick streng nach vorne gerichtet. Wortlos sackt man zusammen, fängt sich immer wieder auf und mit einer Beschleunigung des Geschehens gehen die einfachen Gesten zu tänzerischen über. Aus dem Fallen wird eine Umarmung, die erst ein Halten, dann ein Zusammenhalten, noch später ein Aushalten der Nähe und Dichte wird.
Aus der Mitte der fünf verstrickten Körpern löst sich der der ersten Sprecherin, Sabine Ladurner und eine anfänglich komische Szene, die später zur Formel wird, spielt sich ab: Eine Mütze wird ihr beim Sprechen über den Kopf, bis unter die Nase gezogen, wir sollen in Folge noch weniger von den Schauspielerinnen sehen, welche in acht Monologen der „Judit“ (deuterokanonisches Bibel-Kenntnisse braucht es nicht) ihre Stimme, kreativ verhüllt aber nicht ihr Gesicht leihen. Dadurch wird ihre Erzählung parabelhafter, entfernt sich vom Persönlichen, klagt mehr systemisch an als „Einzelschicksale“ zu berichten. Vom ersten Satz an geht es um Geschlechterproblematiken: „Vielleicht wollte ich schon immer ein Junge sein.“, wobei es der Umgang mit diesem Wunsch ist, der zu recht problematisiert wird, nicht das Thema der Transsexualität an und für sich.
Dass das Stück als für unter 16-Jährige ungeeignet erklärt wird, hat gute Gründe. Es sei im folgenden, weiß auf weiß geschrieben Absatz eine dementsprechende Triggerwarnung zu den Themen des Stückes ausgesprochen. Wer mit der fiktionalen Bearbeitung sensibler Themen Probleme hat, mag den Text markieren, um gegebenenfalls mit Vorwarnungen ins Stück zu gehen oder den Abend auszulassen.
Im Stück finden wir Gewalt im familiären Umfeld, Magersucht, Schönheitswahn, Sexsucht, Vergewaltigung, Folter, toxische Beziehungen, Depression und am Ende auch Mord thematisiert.
Da das Stück nicht wirklich hoffnungsvoll endet - wenngleich für viele komisch, mir schien dass aber vor allem den Männern bei der Schlussszene das Lachen im Halse stecken blieb - und Katharsis im klassischen Sinn eine stark individuelle Erfahrung ist, kann ein solcher Abend auch retraumatisierend sein.
Den Schauspielerinnen ist es in in ihrer Textarbeit dennoch gelungen, auch ohne Mimik Figuren greifbar zu machen und das Risiko allzu nüchtern oder sachlich zu sein zu umgehen. Mal klingt das nach Österreich, mal nach Tirol, im vielleicht intensivsten Moment des Abends spricht Johanna Porcheddu - das Gesicht in der Armbeuge - italienisch. Distanz schafft man durch diese sprachliche Abwechslung keine und auch eine Ringstruktur, da im vorletzten Statement Christina Khuen aus anderer Perspektive an den Anfang des Stückes zurückkehrt, hat nichts von Abschluss, sondern mehr von Ausweglosigkeit.
Dabei ist die Sprache Sibylle Bergs, welche im Stück oft nackt und bloß daherkommt, eine zentrale Provokation, die auf den ersten Blick grobe Pauschalisierungen (ein Klassiker: „die Männer“) und sprachliche Feinheiten gleichermaßen enthält. In letzteren legt die Autorin den Figuren eigene Worte in den Mund, in ersteren ist es die Rolle und nicht die Autorin, welche spricht. Eine Gratwanderung.
 
 
Der Tanz läuft teilweise parallel als Bruch zum gegenwärtigen Geschehen, teilweise als Atempause und Trenner ab, er versinnbildlicht die rohe Kraft, welche es zum Überleben braucht, die aus den Texten eher implizit hervorgeht, teils selbstzerstörerisch ist und sich oft aus Gruppe oder Zweisamkeit speist. Besonders intensiv sind dabei jene Momente in welchen Kostner und Ziviani einander gewollt nicht perfekt spiegeln und ein Bewegungsablauf den anderen in seiner Entschlossenheit ansteckt, näher an sich zieht. Die Gesten sind trügerisch leichte, welche für einfache aber kraftvolle Gesten auch die Schauspielerinnen in den Tanzkörper mit aufnehmen. Eine Bollywood-Nummer die Khuen aus der Depression abholen soll wirkt dabei fast zynisch und man kann sich fragen, was das Frauenbild der indischen Traumfabrik im Stück zu suchen hat. Es bietet keine einfachen Perspektiven sondern widersprüchliche und komplexe Pluralität lautet eine mögliche Antwort. Das Bewegungsvokabular ist dabei nicht nur auf einer Mission der Schönheit, sondern auch, ich erlaube mir den Anglizismus, auf einer des Empowerments: Zum Teil sind es schöne Gesten, zum Teil aber auch kämpferische: Schläge, Tritte, Schreie und Spucke gegen patriarchale Unglücksmuster.
Gewalt ist auch weiblich und auch das kann, am Ende, Feminismus bedeuten.