Politics | Selbstbestimmung

Selbstbestimmte Völker Europas

Interview mit Lorenz Puff, Vorstandmitglied der Südtiroler Freiheit im Bezirk Bozen zur EFA-Generalversammlung in Meran

Wie war der Tenor der Veranstaltung in Meran, einigend oder zersetzend für den europäischen Gedanken?

Die EFA (Europäische Freie Allianz)-Generalversammlung mit sechs Europa-Abgeordneten war ein weiterer Schritt Richtung eines „Europa der Regionen“, mit der die interne Erweiterung Europas vorangetrieben wird.

Welches waren die Neuigkeiten in Meran?

Das bahnbrechende Ergebnis war die größtenteils einstimmig gefassten Resolutionen, wie die Förderung der Selbstbestimmung und Unterstützung der Forderungen der EFA-Mitglieder einschließlich jener auf Unabhängigkeit.

Wie groß war das Medieninteresse?

Die Informationskontrolle des Staates und einiger Medien in der Provinz Bozen hatten zwar großes Interesse, aber deren Berichte wurden bewusst auf kleiner Flamme gehalten.

Wird die Süd-Tiroler Freiheit weitere Veranstaltungen dieser Größenordnung bis zu den Landtagswahlen im Herbst organisieren?

Ja, denn diese Generalversammlung war nur der Auftakt und in den nächsten Monaten wird Südtirol weitere international politische Gäste aus ganz Europa zu Gast haben, die die Selbstbestimmungsforderung für Völker in Europa vorantreiben werden.

Der Selbstbestimmungsgedanke Ihrer Partei fußt darauf, dass Sie das entsprechende Menschenrecht der Vereinten Nationen auf ein ganzes Volk übertragen: dieses Volk hat über die Parteipolitik der Sammelpartei jedoch einen anderen Weg gefunden, nämlich den der Autonomen Provinz und das ist immer noch die ausschlaggebende Politik für die Mehrheit der Südtiroler. Wie begegnen Sie diesem Widerspruch?

Die Teilung Tirols und die damit verbundene Annexion Südtirols durch Italien erfolgten gegen die Prinzipien der Vernunft und Rechtschaffenheit, vor allem aber gegen den Willen der Tiroler. Seit jener Zeit hat Südtirol immer wieder um seine Existenz bangen müssen und kann sich auch heute noch nicht der Bewahrung der sprachlich- kulturellen Identität sicher sein. Als Minderheit in einem fremden Staat kann auch die Autonomie unser Volk nicht dauerhaft vor Assimilierung bewahren. Die Durchführung der Volksabstimmung über die politische Zukunft Südtirols ist daher das einzig gerechte Mittel zur Lösung des Südtirolproblems. Die im Moment noch regierende und mit Rom bestens vernetzte Partei in Südtirol wird im Herbst bei den Landtagswahlen ihre Mehrheit verteidigen müssen um Südtirol noch enger an Italien zu binden. Südtirol muss sich von Rom lösen und nach Brüssel schauen.

Eines Ihrer Ziele ist das Referendum zur Abtrennung Südtirols von Italien, das die italienische Verfassung aber gar nicht vorsieht. An welche internationale Institution wenden Sie sich?

Auch die Verfassungen Kataloniens, Belgien, UK sehen solch einen Schritt nicht vor und trotzdem wird Schottland 2014 ein Referendum abhalten. Katalonien, Flandern, Venetien prüfen rechtliche Schritte um ein Referendum zu machen. Bei einer Loslösung erben beide die EU-Mitgliedschaft, Schottland wird automatisch EU-Mitglied.

Nehmen wir an, ein solches Referendum kommt zustande, sollten die Stimmen unabhängig von der jeweiligen Sprachgruppe gezählt werden oder soll die Sprachzugehörigkeit eine Rolle spielen?

Alle in Südtirol geborenen oder mit mindestens 5 Jahre Ansässigkeit, unabhängig von deren Sprachen, Religion und Hautfarbe können beim Referendum mitbestimmen. Wir sind offen für jede technische Diskussion zu diesem Thema.

Das Zusammenleben der drei Sprachgruppen funktioniert mittlerweile gut in Südtirol. In einem hypothetischen Freistaat Südtirol, wie sollten da die Proporz-Systeme greifen, braucht es diese überhaupt?

Die Loslösung Südtirols von Rom muss nicht in einem Freistaat Süd-Tirol enden, es könnte durchaus ein Freistaat Tyrol, Bundesland oder ein Bundestaat nach Schweizer Vorbild werden. In einen Bundesland mit 1,7 Millionen Bürgern würden 40% der Bürger Italienisch sprechen und es würde sicher ein vernünftiger Ausgleich geschaffen.

Nennen Sie mir drei gute Gründe, warum die italienischen Südtiroler die Idee einer Abtrennung von Italien befürworten sollten?

1) Sofort 15% IVA und 12% Mehrwertsteuer/IVA (langfristig) – so wie Luxemburg; 2) Pro-Kopf-Einkommen (Reddito pro capite) 78.907,00 € statt wie jetzt 29.841,00€ in Italien; 3) Entwicklung einer unabhängigen Politik mit weitestreichenden direktdemokratischen Elementen.

Glauben Sie nicht, dass Sie mit diesen immer gleichlautenden Rufen nach einem Freistaat andere Möglichkeiten zur politischen Gestaltungen außer Acht lassen?

Nein, denn in ganz Europa gibt es immer mehr Forderungen nach Freiheit und mehr Unabhängigkeit.

In einem salto.bz-Interview mit Alessandro Bertoldi, Koordinator des PdL der Provinz Bozen zeigt sich dieser einverstanden mit einem Referendum über die Selbstbestimmung. Wie beurteilen Sie diese Haltung?

Ich habe mit vielen Italienern in Bozen gesprochen: Nicht wenige wären offen für einen solchen Weg, für ein unabhängiges Südtirol mit einer starken Hauptstadt Bozen. Und natürlich sind wir gegen ein solches Ansinnen des PdL ganz und gar nicht dagegen.