Auswirkungen des Codiv/19 auf die EU
Herr Ebner, wie, glauben Sie, wird die Corona-Krise unsere Arbeitswelt verändern?
Diese Krise wird sicherlich den Weg in eine digitale Arbeitswelt beschleunigen. Die Produktionsformen werden sich verändern und auch die Arbeit. Homeoffice und Smart Working werden in Zukunft weiter ausgebaut werden. Die Arbeitslosigkeit wird ein Problem sein und die Frage der Umverteilung der Arbeit durch eine Arbeitszeitverkürzung wird sich irgendwann sicherlich stellen.
Wie kann die EU seine Mitglieder dabei zu unterstützen, sich auf diese neue Realität vorzubereiten und anzupassen?
Es gilt vorerst, die Wirtschaftsstruktur aufrecht zu erhalten und die Beschäftigten zu unterstützen. Dazu braucht es Geld. Die Zentralbank hat ein Paket von 750 Milliarden Euro zur Stützung der Liquidität beschlossen. Es braucht aber die Solidarität und neue Instrumente, damit Länder wie Italien und Spanien nicht unter der Zinslast erdrückt werden. Corona-Bonds mit einer gemeinsamen Haftung wären sicherlich eine gute Möglichkeit, die Wirtschaft neu aufzustellen.
Ist die EU in den letzten Wochen ihrer Aufgabe nachgekommen?
Die europäische Zentralbank hat bisher das Schlimmste verhindert. Die Politik war jedoch teilweise abwesend, denn jede Krise wird derzeit zur Überlebensfrage. Die ablehnende Haltung vieler BürgerInnen Europa gegenüber verhindert die notwendige Solidarität. Es fehlen die großen Politiker der Nachkriegszeit, die mit Weitsicht strategische Entscheidungen getroffen haben. Heute lebt man von Umfragen und der kurzfristigen Suche nach dem Konsens der Wähler. Eine politisch geschwächte europäische Führungspolitik wird anscheinend von Populisten und den sozialen Medien vor sich hergetrieben.
Wird die EU gestärkt oder geschwächt aus der Krise hervorgehen?
Man wird sich zusammenraufen müsse, sonst wird Europa in Zukunft bei der Neuordnung der Weltwirtschaft keine Rolle mehr spielen. Es braucht aber eine Lösung ohne Gewinner und Verlierer, die alle Staaten konsequent mittragen. Ein unreflektierter Kompromiss zur Verhinderung von Schlimmeren wird viele Bürger noch weiter von der europäischen Idee entfernen. Ein Europa, dem die Mehrheit der Bürger skeptisch gegenübersteht, hat keine Zukunft.
Was muss die EU also tun?
Sie muss glaubwürdig vermitteln, dass es nicht darum geht, die Interessen der Deutschen, der Holländer, Italiener, Spanier usw. zu schützen, sondern in solidarischer Weise jene der BürgerInnen der europäischen Gemeinschaft. Leider hat man in den letzten Jahren aufgrund der von den „starken“ Ländern verordneten Sparpolitik viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Viele Länder bleiben aus Opportunismus in der EU, nicht aus Überzeugung. Ungarn ist das beste Beispiel hierfür. Subventionen ja, aber ohne Einhaltung der gemeinsamen Regeln.
Welches wird die größte Herausforderung für die Arbeitswelt nach der Corona-Krise sein?
Zu allererst kommt der Schutz der Arbeitsplätze. Wo dies nicht möglich ist, braucht es Aus- und Weiterbildung für eine Wiedereingliederung in die Arbeitswelt, die Stärkung der digitalen Kompetenz und soziale Abfederungsmaßnahmen für jene, die die Arbeit verlieren. Mittelfristig sollte man über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken, um mehr Menschen den Zugang zum Erwerbsleben zu ermöglichen
Hoffnungsvolle Visionäre sagen mehr Sozialstaat voraus, mehr Wertschätzung und Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere „systemrelevanter“ Berufe wie die Pflege oder Lebensmittelbranche. Glauben Sie auch daran?
Ich versuche zumindest, daran zu glauben. Eigentlich sollte uns diese Epidemie etwas lernen. Es braucht einen starken sozialen Staat als Garant. Das öffentliche Gesundheitssystem rettet uns vor der Pandemie und die staatlichen Hilfen für die Wirtschaft und die Arbeit vor dem Zusammenbruch. Der Sozialstaat ist aufzuwerten. Hier muss man investieren. Setzt sich diese Überzeugung, durch wird auch die Rolle der Bediensteten in vielen Bereichen gestärkt.
Manche gehen noch einen Schritt weiter und sagen, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird durch Corona beschleunigt werden. Was ist Ihre Meinung dazu?
Eine klare Antwort fällt mir hier schwer. Ich bin aber überzeugt, dass langfristig mit der digitalen Revolution, sprich Industrie 4.0 und den Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt, das bedingungslose Grundeinkommen ein Thema sein wird. Dies gilt besonders dann, wenn der Staat in der künftigen Arbeitswelt nicht regulierend eingreift. Dies ist auch eine Hauptaufgabe der Gewerkschaft in den nächsten Jahrzehnten. Der Vormarsch der Technologie lässt sich von Covid-19 nicht aufhalten, im Gegenteil, er wird dadurch beschleunigt.
Die EU hat im Moment noch sehr geringe bis kaum Kompetenzen in diesen sozialen Bereichen. Zwar wurde vor einigen Jahren die europäische Säule sozialer Rechte eingeführt, die zu mehr Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz gewährleisten soll, doch blieb sie bisher eher symbolisch. Glauben Sie, die Corona-Krise kann als Katalysator dienen, die soziale Dimension der EU endlich auszubauen?
Schön wäre es und auch notwendig. Aber die Erfahrung der letzten Jahre lässt wenig Positives erhoffen. Es gibt genug „Bremser“ in diesem Bereich und der Abbau der sozialen Rechte war bisher die Strategie der Anhänger einer rigorosen Sparpolitik. Der neue Schuldenberg aufgrund der Krise lässt daher Böses erahnen.
Wie genau kann diese soziale Dimension Europas aussehen und welche Bereiche müssen ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene integriert und verbessert werden?
Es braucht mehr Koordination in Steuerfragen und auch beim Sozialstaat und den Arbeitsrechten. In diesen Bereichen kann jedes Land seit der Gründung der EU frei entscheiden. Die Steueroasen in Europa sind eine Realität, siehe Holland und jedes Land hat eigene Regeln im Sozial- und Arbeitsrecht.
Abschließend noch ein relevantes Thema, das die Arbeit von morgen betreffen wird: Digitalisierung. Glauben Sie, in diesem Bereich wird sich durch die Corona-Krise eine Entwicklung ergeben, die unter anderen Umständen nicht so gelaufen, oder zumindest langsamer vorangeschritten wäre?
Der Weg war vorgezeichnet. Es gab aber bisher viel Skepsis. Die derzeitigen Umstände haben aber z.B. den Weg für die Heimarbeit notgedrungen geöffnet. Auch die Onlinekäufe werden wachsen. Die Corona-Krise hat diese Entwicklungen beschleunigt und es gibt kein Zurück.
Welche Rolle spielt die EU bei der Digitalisierung?
Europa muss gemeinsam investieren und forschen. Es braucht riesige Mittel um mit den anderen Wirtschaftsmächten mitzuhalten. So begeben wir uns vielleicht beim Ausbau der 5G-Netzes in die Hände Chinas, ein Land, das riesige Summen in die Forschung und in die Infrastrukturen (z.B. die Seidenstraße) investiert, um den Kampf für die wirtschaftliche Vormachtstellung zu gewinnen. Kein europäischer Staat allein kann hier mithalten. Und selbst gemeinsam gibt es für die EU keine Garantie, im Kampf zwischen China und den USA nicht zerdrückt zu werden.