Society | 30 Jahre aut

„Architektur geht alle was an“

Das Tiroler Architekturhaus „aut“ wird 30 Jahre alt. Ein Gespräch mit Leiter Arno Ritter
zu den vergangenen Jahren und ob so ein Projekt in Südtirol funktionieren könnte
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Aut vom ZBH
Foto: B&R

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

architektur und tirol“, der volle Name des „aut“ lässt bereits die Grundidee hinter dem Verein erahnen. Seit seiner Gründung im Jahre 1993 hat es sich das aut zum Ziel gesetzt, zentraler Ansprechpartner für Architekturthemen in Tirol zu sein und es allen zu ermöglichen, sich mit Gebäuden und der Gestaltung unseres Lebensraumes zu beschäftigen. Anhand von Vorträgen, Ausstellungen, vor-Ort-Besuchen von aktuellen Projekten, Publikationen usw. bietet das aut die Gelegenheit, in verschiedenste Aspekte der Gestaltung einzutauchen und auch mitzureden. Verantwortlich für das aut ist Arno Ritter. Der gebürtige Wiener hat die Leitung des Tiroler Architekturhauses 1995 übernommen und seitdem maßgeblich zu dessen Ausbau und Bekanntheitsgrad beigetragen. Ein Gespräch mit Arno Ritter, um die 30 Jahre Revue passieren zu lassen und einige Fragen zur Zukunft zu stellen.

Salto.bz: Wie sind Sie zur Rolle als Leiter des aut gekommen?

Arno Ritter: Studiert habe ich eigentlich Publizistik, Geschichte und Philosophie in Wien. Durch verschiedene Lebenszufälle bin ich zuerst in die Fotografie bzw. Kunst und dann in die Architektur geschlittert. Ich bin im Gebiet der Architektur eigentlich ein Quereinsteiger. Für die Biografie des aut war das meiner Meinung nach aber ein positiver Faktor: Ich bin selbst nicht architektonisch tätig, sondern nehme eine vermittelnde Position ein, indem ich versuche, wichtige Themen und unterschiedliche Haltungen für Interessierte anzubieten. Das ist glaube ich das Wesentliche dieser Funktion, man ist Vermittler und Übersetzer.

Wieso ist das Vermitteln der ausgestellten Architektur so wichtig?

Es gibt ja nicht nur die eine Wahrheit, sondern unterschiedliche Haltungen und verschiedene Lösungsansätze. Unser Ziel ist es, zwischen diesen Meinungen zu vermitteln und dadurch auch Austausch und Diskussionen anzuregen. Es geht um eine kollektive Sprachbildung, darum, wie man differenziert über Gestaltungsfragen reden kann. Das ist ein zentrales Ziel unserer Veranstaltungen: Wir wollen Interessierte sprach- und diskussionsfähiger machen und ihnen so zu einer wahrnehmungskritischeren Haltung verhelfen.

Was wird im aut gezeigt?

Das aut ist für mich primär ein Sozialraum, in dem es um Themen der Gestaltung geht. Wir behandeln also nicht nur Architektur, sondern unterschiedliche Aspekte der Gestaltung unserer Umwelt. Wir sind ein Ort der Diskussion über unseren Lebensraum, in dem unterschiedliche Haltungen und Persönlichkeiten zu Gestaltungsfragen eingeladen werden, um Antworten und Lösungsansätze anzubieten oder Möglichkeitsräume zu eröffnen – und das bei freiem Eintritt.

"Wir bieten allen die Gelegenheit, sich mit der Gestaltung unserer Umwelt auseinanderzusetzen" - Arno Ritter

30 Jahre aut – wie hat alles begonnen?

Die Idee der Gründer war es, nach dem abgeschlossenen Architekturstudium weiterhin einen Ort für einen inhaltlichen Austausch zu haben. Der typische Karriereweg eines Architekten besagt, dass man nach dem Studium in einem Architekturbüro arbeitet oder selbst eines gründet, zu den Mitstudierenden oder anderen Architekten aber oft keinen Kontakt mehr hat. Das Soziotop „Universität“, der Ort, an dem man diskutiert, politisiert und sich gegenseitig animiert, geht verloren. So haben sich etwa zwanzig Architekten zusammengeschlossen und das aut mit dem Ziel gegründet, einen Raum für Diskussionen über die Architektur vor Ort zu schaffen und gleichzeitig die Rahmenbedingungen wie die öffentliche Wahrnehmung zu verändern.

Wie ist es weitergegangen?

1994 hat es im April die erste Veranstaltung gegeben, Gast war Friedrich Achleitner, der „österreichische Papst“ der Architekturkritik. Danach hat man – im positiven Sinn – relativ naiv begonnen, Ausstellungen, Vorträge usw. zu organisieren. 1995 bin ich dann als Leiter des aut dazugekommen.

Was sind Ihrer Meinung nach die großen Eckpunkte in den 30 Jahren des aut?

In meinen ersten zehn Jahren habe ich mich vor allem an die Mentalität des Ortes und an die speziellen Themen im Land herangetastet. Es war damals auch von essenzieller Bedeutung, ein Netzwerk mit engagierten Personen aufzubauen, um gemeinsam für die Baukultur und ihre Bedeutung einzutreten. Der wohl wichtigste Schritt war dann unsere Übersiedelung in das „Adambräu“ im Jahr 2005, in dem wir bis heute residieren.

Das Adambräu?

Der Umzug in das Adambräu war ein Quantensprung für uns. Erstens ist das Adambräu eine Ikone der Moderne, zweitens hatten wir plötzlich viel mehr Platz zur Verfügung. Die Räume im Adambräu haben eine gewisse Atmosphäre und spezielle Bedingungen, die man nutzen muss. Die Räume boten uns neue Möglichkeiten: So können wir etwa die Öffnungen der ehemaligen Kessel, also die eingesetzten Holzpolen herausnehmen und Räume vertikal verbinden. Diese eigentlich ursprünglich nicht angedachte Flexibilität hat uns bei Ausstellungskonzepten neue Möglichkeiten eröffnet.

Inwiefern haben Sie sich auf der Netzwerk-Ebene in den 30 Jahren weiterentwickelt?

Wenn man so lange in dieser Position ist wie ich, baut man sich mit der Zeit ein über die Landesgrenzen hinausgehendes Netzwerk auf. Ich kann heute Personen einladen, bei denen ich mich vor 20 Jahren nie getraut hätte, anzurufen. Aufgrund der speziellen Räume, aber auch der kontinuierlichen Tätigkeit haben wir an Bekanntheitsgrad gewonnen, was uns natürlich zu Gute kommt.

Was hat sich in den 30 Jahren des aut geändert?

Man ist Teil der Diskussion über Gestaltungsthemen in Tirol geworden. Wir werden von der Politik und der Verwaltung immer wieder in Diskussionen eingebunden, wir können auch Vorschläge einbringen, d.h. wir haben eine gewisse Stimme erhalten. 50% meiner Arbeit wird in unseren Programmen sichtbar, die man besuchen kann, die anderen 50% gehen in Hintergrund- bzw. Netzwerkarbeit auf. Ein für mich wichtiges Projekt ist das inzwischen selbstständige „bilding“, das von Monika Abendstein geleitet wird.

Was ist das für ein Projekt?

Monika Abendstein hat im aut jahrelang daran gearbeitet, unsere Themen auch Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen. Im aut waren die Möglichkeiten für sie jedoch räumlich begrenzt. So haben wir 2013 relativ naiv beschlossen – damals noch ohne Grundstück und ohne Geld – ein Gebäude zu errichten, seit 2015 steht das „bilding“ im Rapoldi-Park. Dort können Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 19 Jahren mit der Unterstützung von Architekten, Designern, Filmemachern, Grafikern und anderen Künstlern abseits der Schule ihre Kreativität ausleben. Für die Architektur des Gebäudes haben wir einige Preise gewonnen, aber das Wesentliche ist nicht die Form, sondern der Inhalt.

"Für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ist kreatives Arbeiten essenziell" - Arno Ritter

Was ist das Besondere am Inhalt des bilding?

Wir bieten den Kindern einen Raum der Kreativität ohne Leistungsdruck an, da wir der Überzeugung sind, dass kreatives Denken für die Bewältigung der Zukunftsfragen essenziell sein wird. Das Programm wird abseits der Schule, ohne Noten oder Bewertungen, angeboten, was sehr wichtig ist. Wenn man als Kind in die Schule kommt, hat man auf eine Frage noch viele Antworten und ist kreativ, wenn man aber die Schule nach der Matura verlässt, hat man auf eine Frage nur mehr eine Antwort und die steht im Schulbuch. Mittlerweile nutzen über 200 Kinder pro Woche das kostenlose Programm. Es gibt zwar Museen oder anderer Orte, in denen es eigens für Kinder vorbereitete Programme gibt, aber nicht in der kreativen Bandbreite des "bilding".

Die aktuellen Probleme der Welt lassen auch die Architektur nicht kalt, wie reagiert das aut darauf?

Seit Jahren stellen wir uns die Frage, wie wir in Zukunft mit der Gestaltung unserer Umwelt umgehen sollen. Wir wissen, dass die alten Strategien und Methoden uns in das aktuelle Desaster geführt haben, von der Klimakrise über Ressourcenknappheit bis zu den prekären Lebensbedingungen vieler Menschen. Wir versuchen daher, unseren Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit zu richten, angefangen vom Bodenverbrauch, über die intelligente Ressourcennutzung bis zur Transformation von Bestandsobjekten. Diese Bereiche thematisieren wir in Vorträgen und Ausstellungen.

Was würde Tirol ohne dem aut fehlen?

Ich drehe die Frage um: Ein unausgesprochenes Ziel des aut ist, dass es nicht mehr benötigt wird. Im Idealfall hätten sich die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen und qualitativen Umgang mit unserem Lebensraum so verändert, dass man die vielen Fehler, die momentan noch begangen werden, nicht mehr macht. Aber wir sind ein gemeinnütziger Verein mit begrenzten Ressourcen, haben keine Entscheidungskompetenzen. Unser Budget im Jahr beläuft sich auf 400.000 Euro und damit müssen wir alles bezahlen, von den Gehältern bis zu Strom und Wasser, d.h. wir haben eine begrenzte „Kraft“. Aber im Idealfall gehen unsere Besucher nach Hause und haben etwas gelernt. Das Spannende an der Architektur ist ja, dass Architektur alle betrifft.

Inwiefern?

Bauten definieren Räume und vor allem Zwischenräume, diese definieren den Alltag von Menschen. D.h., bei Architektur geht um die Gestaltung von Lebensqualität. Denn der öffentliche Raum ist der Zwischenraum für viele, dieser ist jedoch leider in der Diskussion sowohl öffentlich als auch privat ziemlich verloren gegangen.

Was genau macht den Zwischenraum so wichtig?

In Tirol sind nur 12,4% der Landesfläche dauerhaft besiedelbar, in Südtirol sind die Zahlen wahrscheinlich ähnlich. Diese begrenzte Fläche nimmt viele Funktionen ein und damit entstehen auch Interessenskonflikte, d.h. es existieren Straßen, Industrie- und Gewerbebetriebe, wir produzieren Lebensmittel und verbringen darin die Freizeit. Dieser Lebensraum ist eine begrenzte Ressource, mit der wir bewusst umgehen und die unterschiedlichen Interessen abwägen müssen.

Was ist die aktuelle Lage in Südtirol?

Südtirol hat in den letzten Jahren einen unglaublichen Aufschwung in der Architektur erlebt, da gibt es sehr viele gute Architekten über das ganze Land verstreut. Auch die Tourismusbranche hat erkannt, dass moderne Architektur in Südtirol ein Thema ist, daraus entstehen Bauten vom Weinkeller bis zu Hotels und Schutzhütten. Südtirol hat eine spannende Architekturgeschichte, die von drei Kulturen und Sprachen geprägt ist, aber politisch und gesellschaftlich recht komplex war und immer noch ist.

In Südtirol gibt es noch kein Haus der Architektur, Diskussion gab und gibt es aber. Inwiefern wäre so ein Projekt möglich und sinnvoll?

Ich kenne die Diskussion in Südtirol seit sicher 20 Jahren, es gab schon einige Anläufe für eine Gründung, aber bislang ist sie nicht verwirklicht worden. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber einer von „oben“ verordneten Institution. Man muss, meiner Meinung nach, zuerst überlegen, welche Aufgabe ein „Südtiroler Haus der Architektur“ übernehmen will, wie es sich im Land positionieren kann und welche Organisationsform es erhalten soll. Prinzipiell fände ich es gut, wenn etwas entsteht, das aus einer „zivilgesellschaftlichen“ Kraft gespeist wird.

Von unten herauf wie das aut in Innsbruck?

Ja, wir sind ein gemeinnütziger Verein und unser Budget wird zu ca. 60 % von Bund, Land und Stadt getragen. Die restliche Mittel kommen von Mitgliedsbeiträgen und Sponsoren, d.h. wir sind relativ unabhängig von politischer Einflussnahme. So können wir uns auch öffentlich gegenüber politischen Fehlentwicklungen positionieren, ohne dass wir um unsere Existenz bangen müssen. Unabhängig zu sein ist wichtig, vor allem in der Architektur, da sie per se politisch ist. Es geht nicht nur um schöne Fassaden oder Häuser für Vermögende, es geht in der Architektur um die Gestaltung unseres Lebensraumes und damit um einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der nicht immer verstanden, gewollt oder zugelassen wird. Es wird nicht nur für die reiche Gesellschaft gebaut, sondern für alle.

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Josef Fulterer Sat, 04/29/2023 - 06:34

Was unsere Großväter und Väter (... ich bin 85) mit ihren begrenzten Mitteln gebaut und für Einrichtung, auch für Festtags-Kleidung "investiert haben," wurde für die Kinder und deren Kinder, sehr sorgfältig und gut überlegt investiert.
Mittlerweile wird von den Architekten, der Möbel- und Bekleidungs-Industrie zwar "von groß Nachhaltigkeit gefaselt," aber fast nur Ramsch mit der eigenen Duftmarke "produziert," der "vor der Abschreibezeit (... am Längsten bei Gebäuden 30 Jahre)" in den Containern von Santini landet.
Die Mittel dafür holt man sich bei der Bank und die "vom NEO-LIBERALEN DIKTAT erzwungenen Wirtschaftsweise," mit der geforderten wirtschaftlichen jährlichen hoch%igen Steigerung produzierten Inflation, lässt die Rückzahlung schon nach wenigen Jahren "zu Peanuts schrumpfen."

Sat, 04/29/2023 - 06:34 Permalink