“Schiffe versenken”
Was bedeutet Freiheit? Allen ist uns in dieser Zeit der Quarantäne schmerzlich bewusst geworden, was es bedeutet, sie nicht mehr zu haben. Schätzen wir unsere Privilegien von sicheren Arbeitsplätzen oder Bewegungs- und Reisefreiheiten eigentlich genug? Kennen wir ihren wahren Wert? Tausende Menschen auf dieser Welt befinden sich tagtäglich in solch einer Situation, ganz unabhängig von Corona. Aaron Kerschbaumer hat entschieden darüber ein Lied zu schreiben. Sein Song „Schiffe versenken“ erzählt von den Erlebnissen und Gedanken eines Menschen, der die beschwerliche Flucht übers Meer riskiert.
salto.bz: Hallo Aaron, dein neuer Song ist sehr berührend, beschreibt er doch die Dinge aus der Sichtweise eines Flüchtlings, der die Reise auf dem Mittelmeer durchmacht. Wie ist der Song entstanden?
Aaron Kerschbaumer: Ich beschäftige mich jetzt schon länger mit diesem Thema. Eigentlich wollte ich immer schon mal meine Gedanken und meine Meinung zu der Flüchtlingskrise auf eine bestimmte Art und Weise äußern, hatte jedoch nie den Mut dazu, weil die Flüchtlingspolitik ein sehr großes und umfangreiches Thema ist. Zudem ist es der erste Song von mir, bei dem ich nicht etwas über mich besinge, sondern die Geschichte eines Flüchtenden. Daher musste ich mich vorher wahnsinnig informieren und habe auch recherchiert. Nach der ersten Woche in Quarantäne habe ich gemerkt wie es sich anfühlt plötzlich aller Freiheiten entrissen zu werden und habe mich daher entschlossen diesen Song zu schreiben, um den Leuten und mir selbst aufzuzeigen, wie gut es uns geht im Vergleich zu anderen Menschen auf der Welt. Im Text gibt es eine Zeile, auf die ich besonders stolz bin und die den Song zusammenfasst. „Und er sitzt immer noch allein und fragt sich schon die ganze Zeit, ob das Leben die Geschichten nur für bessere Leute schreibt“. Ich würde sagen, der Song ist ein Statement von mir und meinen Gedanken. Und ich wünsche mir, dass die Menschen sich immer im Hinterkopf behalten, dass es Personen gibt, die nicht so viel Glück, Freiheit oder Frieden haben.
Nach der ersten Woche in Quarantäne habe ich gemerkt wie es sich anfühlt plötzlich aller Freiheiten entrissen zu werden und habe mich daher entschlossen diesen Song zu schreiben, um den Leuten und mir selbst aufzuzeigen, wie gut es uns geht im Vergleich zu anderen Menschen auf der Welt.
In Zeiten von Corona ist das Video „self-made“ entstanden...
Ganz genau. Für mich war der ganze Schaffensprozess vom Song sehr spannend. Da ich mit niemandem Kontakt haben durfte, ist der komplette Song zuhause in meinem Zimmer innerhalb von drei Wochen geschrieben und aufgenommen worden. Auch das Video habe ich selbst gedreht. Ich wollte das Musikvideo generell klein halten, weil ich das Gefühl hatte, das dieser Song nicht ein typischer Song ist, sondern viel mehr eine Geschichte, die ich erzähle. Und deshalb war es mir wichtig, dass ich immer direkt in die Kamera bzw. in die Augen der Zuschauer schauen kann, während ich singe. Es waren drei intensive Wochen, aber ich bin froh, dass alles super funktioniert hat.
Ich würde sagen, der Song ist ein Statement von mir und meinen Gedanken. Und ich wünsche mir, dass die Menschen sich immer im Hinterkopf behalten, dass es Personen gibt, die nicht so viel Glück, Freiheit oder Frieden haben.
Das Flüchtlingsthema ist immer noch hochaktuell. Eine der Textzeilen im Song geht so: „Und die Schiffe versinken im Meer, wo man sie nie mehr wieder sieht. Und die Leute, die stehen am Strand und feiern das ganze als wär es ein Sieg." Wo ist deiner Meinung nach die Menschlichkeit hin?
Ich hatte das auch das Gefühl, dass die Menschlichkeit verloren gegangen ist. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten Kommentare im Internet gelesen die menschenfeindlicher nicht sein hätten können. Aber ich muss sagen und ich war selbst erstaunt, dass der Song gut angekommen ist. Vor allem viele junge Leute haben mir geschrieben, dass es gut ist was ich getan habe und dass sie gleich denken wie ich. Und da habe ich gemerkt, dass die Menschlichkeit nicht verschwunden ist und nicht verschwinden wird. Liebe ist stärker als Hass.
„Jetzt ist er einer von 10.000, die im Meer zugrunde gehen. Und trotzdem machen wir nichts anderes, als ihm beim Sterben zuzusehen.“ Die Meinungen gehen auseinander, ob, wie, wo und auf welche Weise ihnen geholfen werden kann. Was ist deine persönliche Meinung dazu?
Ich bin sicherlich kein Experte auf diesem Gebiet und möchte mich mit diesem Thema auch viel mehr auseinander setzen in Zukunft. Aber wenn ich höre, dass Staaten darüber streiten, wer wen aufnimmt oder gar Schiffen die Einfahrt in einen Hafen verweigern, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Es ertrinken Menschen im Mittelmeer und trotzdem gibt es immer noch Personen denen das egal ist bzw. die es sogar belächeln. Ich bin auch der Meinung, dass wir alle gleich sind. Egal welche Kultur, Hautfarbe oder Religion. Und ich bin der Meinung, dass kein Staat oder kein Land auf dieser Welt das Recht hat zu bestimmen wo jemand bleiben kann oder nicht. Momentan stecken ca. 25.000 Flüchtlinge auf Lesbos im Flüchtlingscamp Moria auf engsten Raum fest ohne sauberes Trinkwasser. Ich würde mir wünschen, dass die Welt ein Zuhause für alle wird.
Das Lied schließt mit der Textzeile „Und dabei hat das kein Mensch verdient.“ Gibt es für Flüchtlinge noch so etwas wie Hoffnung auf dieser Welt?
Ja, gibt es und ich bin wahnsinnig froh, dass es noch Leute gibt die Flüchtende unterstützen durch beispielsweise irgendwelchen Organisationen oder Vereinigungen. Außerdem war ich positiv überrascht über die Reaktion auf den Song. Wie oben bereits gesagt, gibt es so viele Leute, die auch helfen wollen bzw. es schon tun.
Bei unserem letzten Gespräch vor ein bisschen über einem Jahr, hattest du uns verraten, dass du zurzeit Sozialpädagogik studierst. Wie läuft’s?
Genau, ich studiere dort immer noch. Ich habe jetzt noch (hoffentlich) ein Jahr. Momentan arbeite ich noch nicht in diesem Bereich, jedoch wird es sicherlich was in dieser Richtung werden.
Und wie ist es mit dem Schauspielen bei dir weitergegangen?
Bis vor Corona sehr gut. Ich durfte mittlerweile bei verschiedenen Theaterproduktionen mitwirken. Heuer hätte ich bei sechs Produktionen mitgespielt. Bis jetzt hat’s leider nur eine geschafft. Alle anderen wurden auf bestimmte Zeit verschoben. Aber ich freue mich schon darauf, wenn das mit Corona alles rum ist und wir wieder Theater spielen oder ins Theater gehen können.
Hauptziel ist und bleibt jedoch weiterhin die Musik?
Ehrlich gesagt, weiß ich es noch nicht. Musik wird immer der größte Bestandteil meines Lebens bleiben. Es vergeht kein Tag wo ich nicht Musik mache. Aber ich habe in den letzten Jahren meine Liebe für das Theater entdeckt. Das schöne ist, dass man diese beiden Dinge perfekt zusammen verbinden kann. Aber wo es mich hintreiben wird, weiß ich leider noch nicht. Ich bin aber generell eine Person, die nicht alles genau durchplant. Ich werde jedenfalls mehr Songs wieder schreiben und auch releasen. Und ich kann’s kaum erwarten diese dann live zu performen.
Im Text gibt es eine Zeile, auf die ich besonders stolz bin und die den Song zusammenfasst. „Und er sitzt immer noch allein und fragt sich schon die ganze Zeit, ob das Leben die Geschichten nur für bessere Leute schreibt“.