„Das sollte eine fröhliche Orgie sein“
-
SALTO: Frau Lochmann, sehen Sie „Unschuld“ und „Sex“ als Klammer für Ihre Ausstellung? Sie beginnt ja mit einem Video von Ihnen, als 8-Jährige ’93 beim „Tanz im Mai“…
Cornelia Lochmann: Ich liebe das, weil ich mich eben schon als Kind mit der Deutschen Romantik beschäftigt habe. Von daher sind ja auch von Hölderlin ganz viele Zitate in den Film geschnitten, die ich dafür ausgewählt habe. Aber ich finde den Begriff "Unschuld" und auch den Schuld-Begriff schwierig. Ich sehe vielleicht eher so etwas wie Naivität oder Authentizität in dem Video. Es hat für mich etwas Genuines, ausgesprochen Natürliches.
Bei Ihnen war mit 8 schon eine Hölderlin-Begeisterung da?
Ja, mit 8 haben wir schon angefangen. Wir hatten einen ganz speziellen Deutschlehrer, der eigentlich Künstler war - ein Schauspieler. Da haben wir tatsächlich Hölderlin „studiert“ in der 2. Klasse, Grundschule.
Was ist am anderen Ende der Ausstellung im Raum mit „Sweat“, „Blood“ und „Tears“, sowie der Lichtinstallation um „Von der Wiege bis zur Bahre“ für Sie dargestellt? Es ist ein doch recht erwachsener Raum. Was beginnt da schon beim kleinsten Kind?
Das Leben. Der Raum möchte einfach das Leben darstellen und ich habe dafür im Grunde alle Körperflüssigkeiten abgebildet. Bis auf Eiter vielleicht. Aber Blut, Schweiß, Tränen und auch der kleine Brunnen, das Wasser, oder es könnte für Ejakulat stehen. Es ist ein Springbrunnen, da sprudelt das Wasser heraus und dann ist da noch das Bild. Das Leben zeichnet diesen Bogen, „Von der Wiege bis zur Bahre“.
-
Es findet sich in der Ausstellung vor dem Raum, in dem manche Anstoß an Nacktheit nehmen, oder daran dass ein dünner Schleier vor Ihrem Bild hängt, viel Nacktheit. Wir werden immer wieder aufs nackte Individuum zurückgeworfen. Darf man als Künstlerin nackt sein, Nacktheit zeigen, aber nicht Sex darstellen?
Anscheinend ist da ein Unterschied zwischen Nacktheit und Sex, in Kastelbell. Ich darf das auch nicht verallgemeinern. Wenn man Kunst im öffentlichen Raum macht, dann kann man keine expliziten Sexszenen zeigen. Es kommt schon allein wegen des Jugendschutzes darauf an, wie man das präsentiert. Da ist schon ein Unterschied zwischen Nacktheit und sexuelle Handlungen und beides hat nicht unbedingt miteinander zu tun.
Auf der Gegenseite finden sich verschiedene alptraumhafte Darstellungen von Ihnen in der Ausstellung, die ich - denke ich - als Kind verstörender gefunden hätte als einen biologischen Akt.
Ja, das ist auch so. Es gibt auch diese anderen Bilder, die verstörender sind, wie Sie sagten. In einem Raum sind viele düstere Bilder, durch die in ihnen behandelten Themen Abschied und Trauer, sowie auch den Abschied von gewissen Idealen. Das sind zum Teil auch nicht ganz so leichte Bilder.
Wenn wir kurz noch einmal auf den Sturm im Wasserglas zurückkommen wollen, wir finden auch diverse Anspielungen auf die Madame Bovary von Gustave Flaubert in der Ausstellung… Flaubert hat unter anderem auch gesagt: „Der Autor muss in seinem Werk wie Gott im Weltall sein, überall anwesend und nirgendwo sichtbar.“ Glauben Sie, das regt die Leute so am Schleier auf, dass er eine andere Handschrift hat als jene der Künstlerin? Oder hat das einen anderen Grund, dass man sich darüber aufregen könnte?
Ich glaube, die Leute regen sich darüber auf, weil sie es nicht richtig finden, dass da so eine Zensur verübt worden ist. Das ist eher, was ich in der Presse gelesen habe. Aber ich habe weder bei der Eröffnung, noch ansonsten die Frage bekommen, warum der Schleier da ist oder ob es nicht schöner wäre, ohne Schleier. Für mich wäre das Werk schon besser ohne Schleier, weil man ja auch die Schrift nicht lesen kann, die da in Nachtlichtfarbe geschrieben ist. Ich brauche den Schleier nicht. Ich glaube, die Leute haben sich vor allem daran gestört, dass sie das Bild nicht so wie ich es gedacht hatte, sehen können.
Wie geht es Ihnen mit der Zuschreibung „Pornokunst“? Wo ist für Sie die Grenze zwischen Pornografie und Erotik und in welchem Bereich wollten Sie im letzten Raum eher arbeiten?
Das ist schwer zu sagen, aber mir gefällt die feministische Definition von Pornografie gut, dass man sagt, Pornografie ist es, wenn man sexuelle Handlungen darstellt und einer oder mehrere Teilnehmer erniedrigt werden, wenn es ein Machtgefälle gibt. Das ist nicht positiv konnotieret und ist kein Genuss mehr für die Leute, sondern da ist dann eben auch Zwang. Das Bild, das ich gemalt habe, das sollte eine fröhliche Orgie sein. Ich finde auch, es schaut nicht dramatisch oder erschreckend brutal aus, sondern erotisch.
War für Sie die Verschleierung dann eine Form von Zwang, oder können Sie damit leben?
Ich kann auf jedem Fall mit dem Kompromiss leben und es hat mir nochmal gezeigt, dass ich mehr in die Richtung erotischer Kunst arbeiten will, mit dieser Technik. Aber warum? Es hat mich auch inspiriert. Es hat sich so viel um das Bild gedreht und mich hat auch das Thema Orgie interessiert. Ich habe beim Recherchieren gesehen, es haben schon viele, sehr viele Künstler Orgien gemalt. Für das Bild in der Ausstellung hatte ich auch eine Vorlage, eine kleine Zeichnung. Ich habe mir gedacht, ich könnte auch einfach diese Bilder in meine Kunstsprache übersetzen und daraus eine Serie machen.
Dabei handelt es sich historisch aller Wahrscheinlichkeit nach auch um ein eher von Männern bearbeitetes Thema. Glauben Sie, dass Sie als weibliche Künstlerin einen anderen Blick auf Orgien haben oder ist da per se schon zu viel Kunstgeschichte und zu viel männlicher Blick in den Bildern?
Erotische Zeichnungen haben tatsächlich auch Frauen gemacht. Aber logisch, wenn wir weiter zurückgehen in die Geschichte, dann waren es schon vor allem Männer. Ob mein Blick weiblicher ist, das fände ich ganz schwierig zu sagen… weiblich oder männlich. Ich glaube, wir haben alle Anteile von Weiblichem und Männlichem in uns. Ich kann wirklich nicht sagen, ob ich einen anderen Blick habe im Allgemeinen.
Waren wir schon mal weniger prüde?
Auch die erotische Literatur, etwa in den 20er-Jahren war schon sehr pervers, so etwas kann man heute nicht mehr veröffentlichen. Wir sind jetzt gerade schon in einer sehr politisch korrekten Zeit, was in die Darstellung von Erotik mit einfließt. Das ist so. Man kann nicht mehr alles und das ist halt so.
From the cradle to the graveCornelia Lochmanns Ausstellung kann noch an diesem und am kommenden Sonntag (15. und 23. Juni) von 11 bis 18 Uhr, sowie kommende Woche von Dienstag bis Samstag, jeweils von 14 bis 18 Uhr besucht werden. Auf einem halben dutzend Räume werden verschiedene Techniken von der Künstlerin erprobt, unter anderem auch lackglänzende Oberflächen, die Schwarz und Tiefe auf einen hölzernen Grund zeichnen. Als wesentlich störender als die Nacktheit haben wir bei unserem Besuch der Ausstellung, die teils direkt auf die reflektierenden Oberflächen gerichtete Beleuchtung empfunden.
Nach einem Teil Klaviermusik, Tanz und Hölderlin folgen vier Teile introspektiver, offener und hoch verletzlicher Bilder, die dem Betrachter viel Vertrauen entgegenbringen, bevor der sechste und letzte Ausstellungsraum die Ruhe noch einmal bricht. Beim Betreten des kleinen Raumes mit lauter Musik weist die Aufsichtsperson darauf hin, dass sich durch Stampfen auf den Boden die Bilder an den Wänden kurz ausleuchten lassen. Das Leben hinterlässt Spuren, die man mitunter auch nur im Schwarzlicht sieht. Spannend wie ein guter „Tatort“.