Cinema | SALTO Weekend

Ein Abend mit Taylor Swift

Ein Konzertfilm auf Disney+ kann als Ersatz für teure Konzertkarten dienen. Und als Lehrstunde in Sachen Taylor Swift - auch für Banausen.
Taylor Swift bei einem Konzert
Foto: Disney+
  • Es war ein Experiment. Den Namen Taylor Swift kannte ich natürlich, auch ihr Gesicht, ja sogar manche ihrer Lieder, zwar nicht beim Namen, aber durch unbewusstes Hören im Vorübergehen. Ihre Hits laufen auf den Radiosendern rauf und runter, die ich zwar nicht aktiv höre, die aber dennoch immer irgendwo dudeln, sei es im Friseursalon, im Supermarkt, am Bahnhof oder auf der Toilette eines Einkaufszentrums. Was ich bei all dem nicht verstand, war der enorme Hype, den es um die US-amerikanische Musikerin und Sängerin gibt. Warum ausgerechnet sie in den letzten Jahren zum größten lebenden Star ihrer Branche heranwuchs und heute enormen Einfluss ausübt. Auf die Industrie, ihre Zeitgenoss*innen, und natürlich die unzähligen Fans. Letztere stürmen zu den Konzerten und sorgen dafür, dass die sofort ausverkauft sind. Bei einem Taylor-Konzert dabei zu sein, das wärs, dachte ich mir. Einmal diese Stimmung erleben, auch wenn ich mit der eigentlichen Musik nicht viel anfangen kann. So viel sei gesagt, auf einem echten Konzert war ich nicht. Doch um den Bogen zum Kino zu schlagen, und zum durchaus spannenden Genre des Konzertfilms - es gibt eine Alternative.

  • Taylor und Disney – eine perfekte Heirat

    Disney+ hat sich in den letzten Jahren als ein Streaming-Dienst hervorgetan, der immer wieder interessante Werke aus der Welt der Musik zu Tage fördert. Zuletzt die Wiederaufführung von Let it be, die bereits auf SALTO besprochen wurde. The Eras Tour heißt der Konzertfilm von Taylor Swifts aktueller Stadiontour, die sie rund um die Welt führt. Era, also Ära – es gibt mehrere im Werk der Künstlerin. Im Grunde ist für sie jedes einzelne Album seit 2006 eine eigene Ära, und nach denen unterteilt sich auch das Konzert, das im Übrigen ein wenig Sitzfleisch erfordert. Dreieinhalb Stunden dauert es, auch in der Heimkino-Fassung. Die fängt Swift und ihre Bühnenperformance natürlich wesentlich besser ein, als es im Stadion sitzend möglich wäre. Ganz nah dran ist die Kamera, die perfekt durchinszeniert über die Bühne rast, schwebt, selten einmal stillsteht. Die Zeitreise durch zehn Alben ist abwechslungsreich, wenngleich für mich als Nicht-Swiftie mehr aus inszenatorischer Sicht. Die Bühne verwandelt sich immer wieder, die Atmosphäre wechselt je nach Album, die Kostüme teils nach schon einem Lied. Musikalisch höre ich viel vom Gleichen. Wenn ich da ignorant bin, mögen mir Fans das verzeihen – nur einzelne Lieder wie das hörbar von Bob Dylan inspirierte Folklied „Betty“ können mich begeistern, so sehr, dass ich es auch in den Tagen danach immer wieder anschaltete. Und während ich den Film schaue, beobachte ich auch die Fans im Publikum, die immer wieder eingeblendet werden. Über die teils blinde Fan-Liebe gibt es bereits gute Reportagen und Dokus, auch bei diesem Konzert wirkt das Publikum wie eine homogene Masse, die aber vor allem Kraft aus der Erfahrung zieht.

  • Foto: Disney+
  • Eine von uns

    Nach dem Ende der dreieinhalb Stunden bin ich ehrlichgesagt geplättet. Das war viel, denke ich mir. Meine Ohren klingeln, auch wenn nicht viel hängengeblieben ist. Shake it off, das geht mir nicht aus den Ohren. Ich glaube, Swift funktioniert global, aber vor allem im Westen deshalb so gut, weil sie wie eine von uns wirkt. Die Geschichten in ihren Liedern sind oft alltäglich, erzählen von Liebe und Trennung. Ihr Auftreten ist außerdem, abgesehen von den schillernden Bühnenkostümen, vergleichsweise gewöhnlich. Ich denke, ihr wird eine gewisse Authentizität zugeschrieben, die sie von anderen Künstler*innen aus der Entertainment-Branche unterscheidet. Sie wirkt, zumindest von außen, nicht abgehoben. The Eras Tour war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Wer sich dem Phänomen Swift zumindest ein wenig annähernd möchte, kann das auf Disney+ tun. Bloß etwas Geduld sollte mitgebracht werden, Offenheit schadet auch nicht. Am Ende bleibt bei mir noch immer die Ratlosigkeit ob der Faszination um Taylor Swift. Gleichzeitig empfinde ich aber auch großen Respekt vor ihrer künstlerischen Leistung, völlig egal, wie gleich und generisch sie in meinen tauben Ohren klingt.

  • (c) Disney+

Taylor Swift könnte oder kann Einfluss haben oder nehmen auf die Wahlen in den USA, wenn sie sich äussert. Das bleibt fraglich, weil sie viele fans verlieren könnte, wenn sie sich gegen Trump ausspricht

Sun, 06/16/2024 - 16:07 Permalink