Bedingungsloses Grundeinkommen - eine kritische Analyse

Früher war ich ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Heute bin ich gegen die Einführung eines BGE. In diesem Artikel möchte ich erläutern, wieso sich meine Meinung geändert hat. Zusammenfassend kann man meine Position wie folgt festhalten: Ein BGE ist zwar finanzierbar, doch aus ethischer und wirtschaftlicher Sicht zum Scheitern verurteilt.
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Die BGE-Befürworter haben dahin gehend Recht, dass wir aktuell ein ungerechtes (Um-)Verteilungssystem von Wohlstand haben. Das Hauptanliegen der BGEler ist es eigentlich, das ungerechte Umverteilungssystem durch ein gerechteres zu ersetzen. Umverteilung kann vieles bedeuten. Auf diesen Aspekt werde ich später noch eingehen.

Was ist ein BGE?

Salopp ausgedrückt wollen die BGEler, dass der Staat jedem Bürger im Monat einen Fixbetrag überweist, der ausreicht um „Teilhabe“ zu garantieren. Die Finanzierbarkeit wäre dabei anfangs kein Problem.

Ökonomische Aspekte:

Ich denke allerdings einen Schritt weiter und stelle mir die Frage, wie die Finanzierung nach einigen Jahren BGE ausschauen würde. Der Staat muss schließlich jedes Jahr den Betrag einheben, den er seinen Bürgern auszahlt. Also müssen wir ein Steuersystem schaffen, welches einerseits Teilhabe der BGE-Empfänger garantiert aber andererseits genug Geld in die Staatskassen spült, um diese zu füllen. Ich sprach mit einer Aktivistin, die eine wichtige Rolle bei der europaweiten Initiative für ein BGE spielt und sie sagte mir: „Die Lohnnebenkosten sinken, die Mwst. wird nicht erhöht, wir holen uns das Geld von den Reichen und mit einer Finanztransaktionssteuer.“ Ich halte solche Aussagen für naiv. Wäre es möglich, ein oben beschriebenes Besteuerungssystem zu etablieren, so bräuchte es kein BGE. Fakt ist doch, man kann nur den Wohlstand verteilen, der erarbeitet wurde.  Dazu möchte ich einen kleinen Exkurs zum Thema Geld und Inflation machen:
Aus der Größe der Geldmenge und der Größe der Warenmenge ergibt sich der Geldwert. Bleibt die Warenmenge konstant, die nachfrageaktive Geldmenge dehnt sich aber aus (z.B. durch niedrige Zinsen in einem Mindestreservesystem), so steigen zwangsläufig die Preise, was den Wohlstand bei konstanter Produktion senkt, da bei fixen Gehältern weniger gekauft werden kann. Geldmenge und Warenmenge müssen also entweder beide wachsen (Wachstumswahn), um konstante Preise zu garantieren oder beide müssen konstant bleiben.

Was hat das mit BGE zu tun?

Wer seriöse Aussagen zum BGE machen will, muss diese Mechanismen bedenken. Wir können nicht einfach die Notenpresse anwerfen und uns das Geld zur Finanzierung des BGE herbeidrucken, so nach dem Motto: „Es werde Geld!“ Wenn ein BGE finanziert werden soll, so muss es durch die Früchte einer produktiven Gesellschaft erarbeitet werden.

BGE und Löhne:

Die BGEler sagen, durch ein BGE würde der Arbeitnehmer in eine bessere Verhandlungsposition gebracht, da er nicht mehr auf Lohnarbeit angewiesen ist. Folglich stiegen die Löhne (Stichwort Arbeitsleid). Im ersten Moment dachte auch ich, dass dies gut sei. Vor allem im  heutigen Niedriglohnsektor würden dadurch sehr lukrative Verdienstmöglichkeiten entstehen. Doch gerade hier liegt eine der größten Schwächen des BGE: Wenn ich nun als Putzkraft oder als Müllmann mehr verdiene, wo kommt dieses Geld her? Es zahlt derjenige, der meine Dienstleistung in Anspruch nimmt, also entweder der Bürger direkt oder indirekt durch den Staat in Form von Steuern. Dasselbe gilt für den gesamten Dienstleistungssektor aber auch für produktive Gewerbe in Form von Preissteigerungen. Ich befürchte, dass wir durch ein BGE in eine Inflationsspirale gelangen und somit mit dem bedingungslosen Grundeinkommen kein Auskommen mehr haben würden. Ich stellte diese Frage im Rahmen einer Informationsveranstaltung zum BGE und ich wurde lapidar mit: „Ein gerechtes Steuersystem ist wichtig.“, abgespeist. Im Zwiegespräch meinte der Referent dann, in Folge dieser Preissteigerungen müsste man eben das BGE jährlich anheben. Wohin uns die letzte Hyperinflation führte, ist hinlänglich bekannt.

BGE und Produktivität:

Befürworter des BGE glauben, die Produktivität würde steigen, da jeder nun das machen könne, das ihm gefällt. Wie schaut es aber am freien Markt aus? Dort kann sich derjenige über Wasser halten, der etwas gut macht. Gareth Bale ist ein guter Fußballer. So gut, dass Real Madrid bereit war, 100 Millionen Euro für ihn zu bezahlen. Ein Bekannter von mir spielt gerne Computer. Da er aber mit PC-Spielen nicht genug Geld verdienen kann, studiert er Verfahrenstechnik und gehört zu den Besten seines Jahrgangs.
Was ich damit sagen will, ist folgendes: Es ist kein Zufall, dass man in einer Marktwirtschaft nicht immer von dem leben kann, das einem gefällt. Man kann von dem leben, das man gut kann. Wer es schafft, sein Hobby zum Beruf zu machen, hat es optimal getroffen – Gareth Bale gehört dazu. Wenn aber durch ein BGE auf einmal jeder das macht, was ihm Spaß macht, würden wir in Südtirol wohl sehr viele Berufsfußballer sowie Berufswatter haben. Studenten würden sich viel Zeit lassen, während dem Studium Kinder haben (was positiv wäre) und ob man dann mit 40 wirklich anfängt zu arbeiten, ist eine berechtigte Frage. Wenn jemand länger studiert und sich an sein Familienleben gewöhnt hat, kann er dann in den verbleibenden Jahren so produktiv sein, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben? Die Gefahr, dass relativ schnell mehr aus dem System entnommen wird, als eingezahlt wird, ist sehr groß. Sicher würden viele Menschen trotzdem in irgendeiner Form weiter arbeiten. Die Arbeit muss aber auch produktiv sein.

Ethische Aspekte:

BGEler heben sich oft auf ein Podest und glauben, ihr System sei gerechter als das aktuelle und somit zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.
Im BGE-System wird es allerdings nach wie vor Nettozahler und Nettoempfänger geben. Um ein kleines Beispiel zu bringen: Stellen sie sich vor, ihr Nachbar sagt zu Ihnen: „Weißt du was, ich werde nun aufhören zu arbeiten.“ Sie werden das wahrscheinlich zur Kenntnis nehmen und ihm viel Erfolg wünschen. Wenn er sie aber im nächsten Moment darum bittet, Ihnen ein Drittel oder gar die Hälfte Ihres Gehaltes abzugeben, so werden Sie ihm wohl weniger freundlich begegnen und seine Bitte ablehnen. Genau das aber fordern die BGEler. Heute haben wir einen Sozialstaat. Diejenigen, die es am nötigsten haben, werden von uns solidarisch unterstützt. Doch wie wäre es im BGE? Ich sage es ganz ehrlich, würde ich ein BGE bekommen, so würde ich neben meinen Tätigkeiten als Medizinstudent, Anatomietutor, Eishockeyspieler und Vorstandsmitglied einer Kleinpartei wohl noch weitere Studien beginnen und ein Musikinstrument lernen. Zusätzlich ein Handwerk zu erlernen stünde auch weit oben auf meiner Liste, am besten Mechaniker oder Elektriker. Sicher wäre ich dabei aktiv und würde teilweise meinen Beitrag für die Gesellschaft leisten, ich würde aber nach wie vor ein Nettoempfänger bleiben, bis ich dann irgendwann in X Jahren mein Studium abschließe. Übrigens würde auch ich dann wohl öfters watten und Fußball spielen.

BGE als ESM des Individuums:

Viele BGE-Verfechter sagen, man würde die Früchte seiner Arbeit behalten können. Das stimmt aber nicht, denn per Definition kann nur das verteilt werden, das erarbeitet wurde. Das heißt,die Nettozahler erarbeiten ihr eigenes BGE sowie die fehlenden Beträge für das BGE der Nettoempfänger. Da sie das nicht freiwillig machen, sondern durch die „Bedingungslosigkeit“ des BGE dazu gezwungen werden, könnte man das als Sklaverei bezeichnen. Sie wären mein Sklave, da sie mir bedingungslos Geld geben müssen. Hier liegt wieder ein ökonomischer Faktor versteckt:
Wenn ich also arbeite, muss mir IMMER mein BGE abgezogen werden sowie die Fehlbeträge für die Einkommen der Nettoempfänger. Ob die Steuern nun Lohnsteuer, Finanztransaktionssteuer oder Mehrwertssteuer (man gibt den Menschen Geld, das man ihnen sofort wieder abnimmt) heißen, ist egal. Ich muss mir mein eigenes BGE plus das BGE der Nettoempfänger erarbeiten. Das werden einige nicht glauben wollen, doch wenn man darüber nachdenkt, ist es logisch: Nur der erarbeitete Wohlstand kann verteilt werden. Durch ein BGE sinkt der Anreiz zu arbeiten und die Produktivität würde sinken. Dadurch haben wir wieder weniger Wohlstand zu verteilen. Nachhaltigkeitsgurus werden mich nun kritisieren, aber Wohlstand kann nur mit Produktivität einhergehen, denn man kann nur die Felle verteilen, die man bereits hat. Geld für sich ist nichts wert, womit auch ein BGE für sich nichts wert ist.
Von BGE-Kritikern kann man auch oft hören, dass der einzige Unterschied zwischen BGE und Kommunismus der Arbeitszwang sei. Sie befürchten, der Arbeitszwang würde nach einigen fetten Jahren im BGE früher oder später eingeführt werden.

Außerdem löst das nicht das Problem der staatlich garantierten Zinseinkommen der Superreichen. Ich habe kein Problem damit, wenn ein Milliardär sein Geld investiert. Jedoch kann es nicht sein, dass er staatliche Garantien für seine Spekulationen bekommt. Insofern bleibt der staatliche Umverteilungsmechanismus von fleißig nach reich erhalten. Staatlich deshalb, weil die Steuerzahler durch die Banken-Rettungsmechanismen den Investoren bedinungslose Gewinne garantieren. Insofern löst ein BGE das Problem der ungerechten Umverteilung nicht.

Fazit:

Mein Ziel ist es nicht, die Hoffnungen der BGEler auf ein gerechteres System zu zerschlagen. Wir müssen aber tiefergehend diskutieren. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist folgende: Wie können alle Menschen vom technologischen Fortschritt profitieren und was hindert uns daran, schon heute davon zu profitieren? Durch ein BGE brechen wir die Umverteilungsmechanismen nicht wirklich auf, sondern ersetzen sie nur. Wie können wir es schaffen, dass wir auch heute die Berufe ergreifen können, die uns sowohl Spaß machen als auch ein finanzielles Auskommen ermöglichen? Das sind die richtigen Fragen. Ich denke ein BGE bringt uns keine Lösung.

Abschließend möchte ich noch sinngemäß das Zitat anbringen, welches mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ und mich dazu animierte, diesen Artikel zu schreiben. Der Vortragende bei der BGE-Infoveranstaltung in Brixen vom 6. September 2013 sagte: „Wir wollen das BGE umsetzen, wenn man es nicht versucht, sehen wir nie, ob es klappt. Wenn es nicht klappt, ist auch egal, denn schlimmer kann es nicht werden. Außerdem kann man dann im nachhinein ja noch Verbesserungen machen.“ Da muss ich ganz ehrlich sagen: Grundeinkommen, nein danke! Durch die Einführung eines BGE den Kollaps der noch vorhandenen Realwirtschaft zu riskieren, ist kein Kavaliersdelikt! Wenn sich Menschen freiwillig zusammenschließen und unter sich ein BGE-System aufbauen, befürworte ich das, aber bitte ohne mich!