Politics | Kurz Besuch

Worum es wirklich auch geht...

... und warum Kurz und seine Regierung kein Vorbild für Südtirol sind.
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Birgit Nössing, Sebastian Kurz
Foto: Oliver Oppitz

Die gestrige Besuchsshow von Bundeskanzler Kurz sollte der SVP den nötigen Schwung für den Intensivwahlkampf der nächsten Wochen geben. Was erwartungsgemäß natürlich nicht zur Sprache kam, waren die tiefen Einschnitte in der Sozialpolitik und im Arbeitsrecht, die derzeit unter der türkis-blauen Regierung in Österreich vorgenommen werden. Während die Marketingstrategie der österreichischen Regierung jene ist, möglichst viel über Flüchtlinge, Migrant*innen und Ausländer*innen zu reden und damit vom Sozialabbau abzulenken, treffen diese Einschnitte auch viele Österreicher*innen, nicht zuletzt innerhalb der sozial schwächeren FPÖ-Wähler*innenschichten.

Die zahlreichen Beispiele für die tiefen Einschnitte in der Sozialpolitik, im Arbeitsrecht sowie in der Tradition der Sozialpartnerschaft zeigen, in welche Richtung sich der Sozialstaat Österreich entwickelt. Geredet wird darüber wenig. Lieber wird mit anderen Themen abgelenkt.

Beispiel Mindestsicherung: Bereits die auf Länderebene eingeführten Verschärfungen im Bereich der Mindestsicherung haben auch viele Österreicher*innen in eine zunehmende Verarmungsspirale und oft auch in Wohnungslosigkeit mit den bekannten Auswirkungen getrieben. Besonders starke Benachteiligungen zeigen sich für Kinder aus armen Familien. Das bedeutet negative Auswirkungen auf deren Bildungs- und Zukunftschancen. Mit der bundesweiten Neuauflage der Mindestsicherung durch die Regierung Kurz kommt es für viele Mindestsicherungsbezieher*innen zu weiteren Verschlechterungen. Diese betreffen vor allem kinderreiche Familien, EU-Ausländer*innen mit einer Ansässigkeit unter fünf Jahren, Asylberechtigte sowie alleinstehende Mindestpensionist*innen, die auf Aufstockung angewiesen sind. Damit Asylberechtigten und anderen berechtigten Ausländer*innen nicht der volle Betrag der Mindestsicherung ausbezahlt werden muss, wird für diese Zielgruppen ein Betrag von 300 Euro als so genannter Arbeitsqualifikationsbonus ausgewiesen und zusätzlichen Bedingungen unterworfen (u. a. Nachweis ausreichender Kenntnisse in Deutsch (B1-Niveau) oder Englisch (C1-Niveau)). Gleichzeitig kürzt die Regierung Kurz (ehemaliger Staatssekretär für Integration!) bei Deutschkursen. Vom Zynismus der Regierung zeugt die Aussage von Ministerin Hartinger-Klein, es sei durchaus möglich bei Deckung der Wohnkosten von 150 Euro im Monat zu leben. Die bundesweite Neuauflage der Mindestsicherung erfolgt außerdem weitgehend ohne Einbindung von Interessenvertretungen, Hilfsorganisationen und Sozialpartnern.

Doch es geht bei weitem nicht nur um die Mindestsicherung. Der Kurs der Kurz Regierung zeigt sich auch in den Bereichen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsmarktpolitik.

Beschäftigungsbonus und die Aktion 20.000, ein Förderprogramm für ältere Arbeitslose, wurden umgehend eingestellt. Während diese Maßnahmen von der Opposition kritisiert und von Expert*innen unterschiedlich beurteilt wurden, liebäugelte die neue Regierung bereits mit Reformen im Stil von Hartz IV. Die Pläne beinhalten eine Systemumstellung beim Arbeitslosengeld sowie die Abschaffung der Notstandshilfe, was das schnelle Absinken auf Mindestsicherungsniveau nach befristetem Bezug des Arbeitslosengeldes zur Folge hätte. Gleichzeitig ist bereits für 2019 eine massive Budgetkürzung beim AMS vorgesehen. Diese bedroht besonders die intensiveren Qualifikationsmaßnahmen wie überbetriebliche Lehrausbildungen oder Facharbeiter*innen-Intensivkurse (bei gleichzeitigem Facharbeiter*innenmangel!). Auch Arbeitsplätze beim AMS könnten von den Einsparungen betroffen sein. In Sachen Arbeitsmarktpolitik setzt die Regierung außerdem auf umfassende Arbeitszeitflexibilisierung. Mit dem 1. September 2018 ist das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten, das eine mögliche Arbeitszeit von 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden in der Woche sowie keine Überstunden-Zuschläge in der Gleitzeit vorsieht. Mit diesem Gesetz erfüllt die Regierung in erster Linie die Wünsche von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer. Das Gesetz wurde von der Regierungsmehrheit ohne Begutachtungsphase und ohne Beteiligung der Arbeitnehmer*innenvertretungen durchgesetzt.

Einschnitte betreffen auch auch den Bereich der Familienförderung.

Der groß angekündigte Familienbonus, ein Steuerabsetzbetrag in der Höhe von maximal 1.500 Euro, ist so angelegt, dass de facto lediglich Arbeitnehmer*innen mit einem Monatseinkommen ab 1.260 Euro brutto überhaupt etwas davon spüren. Zwar wurde als Reaktion auf entsprechende Kritik im Familienbonus Plus für Alleinerzieher*innen und Alleinverdiener*innen zumindest ein so genannter Kindermehrbetrag im Ausmaß von 250 Euro pro Kind und Jahr vorgesehen, dieser Mindestbetrag soll allerdings nicht an Alleinerzieher*innen fließen, die elf Monate oder mehr Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung oder Grundversorgung beziehen. Das heißt unterm Strich, dass gerade bei jenen Kindern, die am meisten von Armut betroffen sind, von dieser Art der Familienförderung überhaupt nichts ankommt. Für Kinder im EU/EWR-Raum oder der Schweiz wird der Familienbonus (ebenso wie die Familienbeihilfe) indexiert und an das Preisniveau des Wohnsitzstaates angepasst. Für Kinder in Drittstaaten, also außerhalb des EU/EWR-Raumes oder der Schweiz, gibt es keinen Familienbonus. Die gleichen Regeln gelten für den Alleinerzieher*innenabsetzbetrag, den Alleinverdiener*innenabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag.

Bei der Familienbeihilfe hat vor kurzem eine plötzliche und ohne Vorwarnung eingetretene Änderung der Rechtsauslegung durch das Bundeskanzleramt dazu geführt, dass die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen wurde. Das heißt, dass Tausende Menschen mit Behinderung über 18 Jahren 380 Euro im Monat weniger zur Verfügung haben. Für viele stellt dieser Betrag einen wesentlichen Teil ihres Einkommens und eine wichtige Grundlage für ein selbstbestimmteres Leben dar. Auch Menschen mit Behinderung unter 18 Jahren, die unter der Woche in einer Einrichtung leben, sind betroffen.

Durch einen Erlass der Familienministerin Bogner-Strauß wurde außerdem vor kurzem das Kinderbetreuungsgeld für Notpflegefamilien gestrichen.

Eine von der Regierung geplante massive Kürzung der Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen (30 Mio. Euro pro Jahr bei gleichzeitiger Arbeitsflexibilisierung mit möglichem 12-Stunden-Tag!) konnte nur durch den Protest der Länder und des Städtebundes verhindert werden.

Doch es gibt noch weitere Bauspiele. Bundeskanzler Kurz hat bereits angekündigt, dass die geplante Reform der Sozialversicherung mit der geplanten Kassenfusion gegebenenfalls auch ohne Einigung der Sozialpartner durchgeführt wird. Von der Allgemeinen Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) verlangt die Regierung deutlich weniger auszugeben, damit Unternehmen weniger Unfallversicherung zahlen müssen. Die AUVA musste unter Androhung ihrer Zerschlagung einen entsprechenden Sparplan beschließen. Bei einem Jahresbudget von etwa 1,4 Mrd. Euro, wovon alleine etwa 600 Mio. Euro für Rentenzahlungen gebunden sind, muss die AUVA laut dem Beschluss in Zukunft jährlich ca. 430 Millionen Euro einsparen. Kritiker*innen befürchten Spitalschließungen, privatisierte Unfall-Krankenhäuser sowie schlechtere Kollektivverträge für neue Mitarbeiter*innen.

Unter der Regierung Kurz werden massiver Sozialstaatsabbau und schwere Eingriffe im Bereich der Arbeitnehmer*innenrechte vorangetrieben. Die entsprechenden Vorgangsweisen wiegen umso schwerer, weil sie die Tradition der sozialpartnerschaftlichen Verhandlung in den wichtigen Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zunehmend aushöhlen. Gleichzeitig beschließt die Regierung Steuererleichterungen für wohlhabende Familien, Hoteleigentümer*innen, Immobilieninvestor*innen und Großkonzerne. Diesbezüglich scheint die SVP keine Meinung zu haben. Auch ihr Arbeitnehmer*innenflügel nicht. Zumindest keine hörbare.