Politics | Rosatellum II

Parteienmacht vor Wählerfreiheit

Das neue Wahlrecht kommt fast einer Abschaffung des Rechts auf die Abgabe von Vorzugsstimmen gleich, maßgeschneidert für größere Parteien, zum Schaden der Wahlfreiheit.
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Die von PD, Forza Italia, NCD und Lega Nord vorgestern in der Kammer abgesegnete Wahlrechtsreform ist keine demokratische Großtat. Nachdem das Porcellum und das Italicum 2015 und 2017 teilweise für verfassungswidrig erklärt wurden, hätte das Parlament eigentlich ein faires, bürgerfreundliches Wahlrecht schaffen müssen. Stattdessen wird das Recht der Wählerschaft, ihre politischen Vertreter auszusuchen, wieder in hohem Maß eingeschränkt. Fast zwei Drittel der Abgeordneten (399) und Senatoren werden künftig über „blockierte Listen“ gewählt, die von den Parteizentralen vorgegeben werden. Das restliche Drittel der Parlamentarier wird in 231 Wahlkreisen direkt gewählt, wobei die Parteien Listenverbindungen eingehen können. Man wird wieder taktische Wahlbündnisse schaffen, die sich nach dem Wahltag wieder in Luft auflösen oder einige Lockvogellisten mit Parlamentssitzen bedienen. Blockierte Liste heißt: keine Vorzugsstimme, also keine Personenauswahl bei zwei Dritteln der Sitze. Mit dem Einheitsvotum für Direktkandidaten und den nach Proporzsystem zu vergebenden Sitzen, gilt dann die Devise: „Prendere o lasciare“. Eine in anderen Ländern Europas ziemlich unbekannte Regelung.

Überdies wird die Wählerschaft gezwungen, dieselbe Partei oder Listenverbindung zu wählen, zu welcher der direkt gewählte Kandidat gehört. Es wird also keine Zweitstimme nach bundesdeutschem Muster geben, kein Panaschieren. Die Wahl eines direktgewählten Kandidaten geht automatisch auf das Konto der Parteien beim proportionalen Anteil der Sitze (399 in der Kammer). Somit werden die größeren Parteien und mächtigeren Listenverbindungen privilegiert, die bei den Direktwahl-Wahlkreisen abräumen. Kein Wunder, dass die SVP von diesem Wahlrecht sehr angetan ist. Das neue Wahlrecht schafft die Vorzugsstimmen nahezu ab. Das geht zu Lasten der kleineren Parteien und des M5S, im Gegensatz zur Behauptung von Gerhard Mumelter, der auf RAI Südtirol beklagt hatte, dass die Streichung des verfassungswidrigen Mehrheitsbonus Italien wieder unregierbar machen werde.

Eigentlich geht es bei einer demokratischen Wahl auch um die freie Wahl der politischen Vertreter, die halbwegs die Anliegen und Überzeugungen der einzelnen Wähler entsprechen. Die Parteien fühlen sich in normalen Demokratien immer noch bemüßigt, eine gewissen Bandbreite an Männern und Frauen aufzubieten, die dem Wähler eine gewissen Wahlfreiheit lässt. Die Möglichkeit oder gar das Recht auf Vorzugsstimme ist eines der wenigen Mittel in der Hand der Wähler, die Zusammensetzung des Parlaments zu beeinflussen. Fehlt das Recht auf Vorzugsstimme, stellen die Parteizentralen das Parlament nach Gutdünken zusammen. Mit dem Rosatellum II werden die Wähler kaum Chancen auf Auswahl haben. Bestes Beispiel die SVP, die die Parlamentarier im internen Geklüngel auskartet und dann den Wählern vorsetzt. Die gewählten Parlamentarier werden es den Parteibossen zu danken haben, die sie an der jeweiligen sicher Listenplatz gesetzt haben. Der Stabilität der Parteienmacht mag das schon dienlich sein, der demokratischen Wahlfreiheit der Bürger, ihre Vertreter nach Persönlichkeit, Erwartungen, Programmen „vorzuziehen“ sicher nicht.

Nebenbei: dass die Regierung beim Wahlrecht, einer klassischen Zuständigkeit des Parlament, die Vertrauensfrage stellt, scheint geradezu verfassungswidrig zu sein, denn Art. 72, Absatz 4 Verf. besagt: „Das normale Verfahren der Überprüfung und unmittelbaren Annahme durch die Kammer wird immer bei Gesetzesvorlagen angewandt, die Verfassung und Wahlen..…betreffen.“

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Martin Daniel Sun, 10/15/2017 - 10:39

Diese Analyse kann man in Allem teilen. Politikverdrossenheit u. Wut auf die Eliten werden so nur befeuert. Mal sehn, ob es eine Trotzreaktion und viele Proteststimmen für die 5stelle geben wird. Das Wahlrecht ist unglaublich wichtig für eine Demokratie, aber wie man auch in den Foren sehen kann, kratzt es keinen. Während Sezession und Migration die Diskussion beherrschen und eine allgemeine Hysterie befeuern, festigen andere auf Jahre hinweg mit technischen Finessen ihre Macht. In Rom wie in Bozen.

Sun, 10/15/2017 - 10:39 Permalink