Politics | Syrien

Wettlauf im Staatsterror

IS-Chef Al-Baghdadi wird derzeit mit einem Gemisch aus Schadenfreude und Neid auf Al Jazeera die Entwicklungen im Westen Syriens mitverfolgen.
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Ihm laufen inzwischen Russland, die Türkei und Saudi Arabien mit ganz anderer Munition den Rang ab. Ganz zu schweigen vom Assad-Regime, das in fünf Jahren Krieg gegen sein Volk 250.000 Opfer in Kauf genommen hat, die letzten gestern durch das gezielte Bombardement einer Klinik der Ärzte ohne Grenzen in Idlib.

Dass Putins Russland nicht zögert, dem Verbündeten Assad den Weg zur Wiederbesetzung seines Landes freizubomben, war zu erwarten. Nachdem es Assad allein mit russischem Material und Technikern nicht geschafft hat, müssen die Russen jetzt im Tiefflug selbst dran. Dass Putin vor Blutbädern an der Zivilbevölkerung nicht zurückschreckt, hat er schon in zwei Tschetschenien-Kriegen gezeigt. Dass er Rebellen ganz nach strategischem Kalkül einmal unterstützt (Ukraine), dann wieder bekämpft (Syrien), Gebiete eines anderen Staats annektiert (Krim) oder wieder unter die Herrschaft der Regierung bringt (Syrien) passt zur ganz wertfreien Außenpolitik dieses Landes. Wird er von westlichen Staaten für die Syrien-Intervention kritisiert, kann er auf den Irak- und Afghanistaneinsatz des Westens verweisen. Nur peinlich, wenn US-Kerry und Putins Sekundant Lawrow sich in München die Hand reichen zum Zeichen des Einverständnisses, dass Russland die Schlächterei noch eine Woche fortsetzen darf. Diese Peinlichkeit wird nur mehr übertroffen von Seehofers Besuch bei Putin, der ihm durch seine Bombardements die syrischen Flüchtlinge geradezu in „Live-Schaltung“ nach Bayern treibt.

Peinlich für den Westen allerdings auch die katastrophale Politik des NATO-Mitglieds Türkei. Erdogan begnügt sich nicht mehr damit, kurdische Jugendliche in den Städten der Südosttürkei zu Hunderten zu massakrieren, sondern beschießt seit einigen Tagen auch die Kurden Syriens. Diese haben sich erfolgreich gegen den IS gewendet und kämpfen für Autonomie innerhalb Syriens. Während Assad Aleppo platt bombardieren lässt und 70.000 Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei warten, findet Erdogan nichts wichtiger, als eine weitere Front zu eröffnen.

Peinlich schließlich auch Angela Merkel, die sich gestern – fünf Jahre nach dem Beginn der Rebellion und des Bürgerkriegs in Syrien – erstmals für eine Flugverbotszone ausgesprochen hat. Damit geht die Kanzlerin auf einen Vorschlag der Türkei ein, den Deutschland und die westlichen Länder stets abgelehnt hatten. Amerikanische, französische, britische und deutsche Kampfjets sind in Syrien längst im Anti-Terror-Einsatz gegen den IS und finden schon kaum mehr Ziele. Nur für den weit massiveren Bombenterror der Russen im Auftrag Assads erklären sie sich für nicht zuständig. Statt Ursachen anzugehen kreuzt die NATO-Streitmacht in der Ägäis, um syrische Flüchtlinge abzuschrecken.

UN-Sicherheitsratsmitglied Russland zerstört Kliniken in einem fremden Land, UN-Sicherheitsratsmitglied USA hat mit seinem Einmarsch im Irak 2003 das ganze Schlamassel in Nahost Gang gesetzt, die UN-Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien werden sich mit der EU einige Monate nach der erfolgreichen Wiederbesetzung der befreiten Gebiete durch Assad-Truppen darauf einigen, dass es eine Flugverbotszone braucht und einen entsprechend frommen Appell verabschieden. Man erinnere sich: die EU ist Friedensnobelpreisträgerin. Saudi Arabien verübt derweil mit amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Waffen Massaker an Zivilisten im Yemen. Kein Wunder, dass sogar Al-Baghdadi denken wird: irgendetwas stimmt hier nicht an der gängigen Definition von Terror.