„Allen!“

-
SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?
Maria Piok: Ich fürchte, es war Der Struwwelpeter, den ich – wohl nicht ganz im Sinne des Autors – mit großer Sympathie für die kleinen Übeltäter und Übeltäterinnen gelesen habe. Vielleicht kommt von daher mein Interesse für das Abgründige in der Literatur, für schwarzen Humor und Groteske; meine Liebe für die Tiger Lillies (die aus dem Shockheaded Peter eine grandiose Junk-Oper gemacht haben), für Zappelphilippe, für unangepasste Langhaarige und Spaziergänge im Regen.
Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?
„die sterne: prächtig | deiner: 43 geworden | ach anich: es ist aus | großer wagen kleiner wagen fahren beide vor dich zu holen | und du: steigst in den kleinen ein“ – der Schluss von Barbara Hundeggers [anich.atmosphären.atlas] (der so schön und so traurig ist, wie es nur die allerbesten Kinofilme sind).
Weil das meiste viel komplizierter ist, als es die rechte Politik behauptet...
-
Maria Piok bei der Arbeit: Ein literarischer Abend mit Martin Fritz vor wenigen Jahren. Foto: Carmen Sulzenbacher
Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?
Den Kleinen Prinzen mag ich nicht so – schon gar nicht den altklugen Fuchs. Das mit dem Zähmen ist mir irgendwie suspekt.
Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?
Man wächst irgendwo am Land auf, langweilt sich und wünscht den zwideren Nachbarn den Tod. Man bringt sie also (Katharsis und Heimzahlung zugleich) in einem Buch um – damit aber die Nachbarn das Buch auch lesen und den Racheakt bald im Fernsehen sehen können, dürfen Sprache und Geschichte nicht zu kompliziert sein.
Kriege sind Fehlschläge – daher: Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus...
Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?Allen! Menschen, die mir Bücher empfehlen, meinen es hoffentlich gut mit mir (und wollen dann vielleicht nachher bei einem Bier mit mir über das Buch streiten, was auch etwas sehr Schönes ist).
Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?
Kriege sind Fehlschläge – daher: Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus – damit jene, die auf der Insel stranden, nicht traurig sind, weil sie eh nicht mehr zu diesen grauslichen Menschen zurückwollen.
Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?
Man kann fast alles auf dem E-Book-Reader lesen, wenn man mag (oder Bettgenossinnen und -genossen nicht mit Lampenlicht aufwecken will) – Hauptsache man liest. Nur bei Pop-up-Büchern – zum Beispiel mit dem Struwwelpeter-Pop-up-Buch – wird’s schwierig.
Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?
Joseph Oberhollenzers Prantner oder Die Erfindung der Vergangenheit, damit wir nicht alles glauben, was uns erzählt wird, und damit wir ja nicht glauben, dass wir alles verstehen können. Weil das meiste viel komplizierter ist, als es die rechte Politik behauptet, weil sich Wahrheiten je nach Perspektive verschieben – und weil es zu allem eine Fußnote gibt.
More articles on this topic
Culture | Bibliophile Fragen„Das ist Musik!“
Culture | Bibliophile Fragen„Sie wollen Namen hören“
Culture | Bibliophile Fragen„Vertrauensvoll und freudig“