Wir haben alles, was wir dafür brauchen
engagierten/aktiven PartnerInnen des Südtirols Netzwerkes für Nachhaltigkeit, zu berichten. Dann kam einiges dazwischen: Eine karitative Privatinitiative auf Facebook der sich 20.000 SüdtirolerInnen anschlossen und dabei schon im Titel (#zomholtn) und später in der Ausübung einen großen Teil hilfsbedürftiger, in Südtirol lebender Menschen, ausschließt. Dann ein Artikel in unserer Landeszeitung über eine Südtiroler Bankbeamte mit tunesischen Wurzeln welcher den klingenden Titel „Dunkle Heidi…“ trug und weiter im Text wird über das nicht-typische Südtiroler Gesicht, informiert. Und zu guter Letzt die äußerts fragwürdige Reaktion auf ein Rap Video jugendlicher Musiker mit Migrationshintergrund. Es fällt schwer, über gelingende Integration zu sprechen, wenn uns Rassismus noch immer wie Brot serviert wird.
„Rassismus ist das Märchen über angeborene Eigenschaften, die Annahme, dass wir von Natur aus verschieden seien. Es braucht nur einen bestimmten Kontext, die passende Stimmung und Verkettung von Ereignissen – schon trägt Rassismus nicht mehr nur am rechten Rand Früchte, sondern wuchert überall. Ein blöder Witz, ein heimlicher Gedanke, ein unüberlegtes Vorurteil – es stammt alles aus der gleichen Geschichte, aus der gleichen historischen Wurzel. Und diese treibt und keimt gerade ordentlich.
Längst sind Dinge wieder salonfähig geworden, die vor ein paar Jahren noch verpönt schienen.“
Schreibt Alice Hasters in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und die 17 SDGs wird klar, dass es kaum ein Ziel gibt, das ohne Kampf gegen dieses epochale Ungetüm unserer Gesellschaft, realisiert werden kann. Und Rassismus beschränkt sich keineswegs auf eine kleine bösartige Randgruppe – Rassismus ist schon so lange in unserer Geschichte, Kultur und unserer Sprache verankert, dass wir gar nicht anderes können, als rassistische Denkmuster in uns zu entwickeln – er ist in unserem System und floriert meist unbeachtet und unbewusst durch unseren Alltag. Es liegt in unserer Verantwortung, gerade im Hinblick auf eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft, uns dieser Herausforderung zu stellen, radikal alle Muster in uns und unserer Umgebung aufzuspüren und neue Spuren zu legen.
Zum rassismuskritischen Denken laden auch die internationalen Aktionswochen gegen Rassismus vom 08. bis 21.03.2021 ein. In Südtirol gibt es eine Vielzahl an Veranstaltungen rund um das Thema und wie jedes Jahr versammelt die OEW alle Organisationen, in diesem Jahr um die 25, und erstellt einen Online -Eventkalender (www.stopracism.it). Die Social-Media-Kampagne „Bist du sicher, dass du nicht rassistisch denkst?“ begleitet die Aktionswochen und wurde von Samia Kaffouf, Studentin der Kommunikationswissenschaften, entworfen. Die Kampagne möchte darauf aufmerksam machen, wie jeder Mensch von Rassismen geprägt ist, egal welchen kulturellen Hintergrund er hat. „Wie schön deine Haare sind, darf ich sie anfassen?“ oder „Aber woher kommst du wirklich?“ oder „Wie gut du schon unsere Sprache sprichst!“ sind Gemeinplätze, die meist keinen bösen Hintergedanken haben und dennoch beim Gegenüber immer wieder die Botschaft vermitteln: „du bist anders“, oder „du gehörst nicht hierher“. „Wir wollten mit der Kampagne, ohne anklagenden Fingerzeig, sensibilisieren, den unbewussten Rassismus demaskieren und einen Dialog eröffnen. Manchmal empfinden Betroffene, gerade jener der 2. Generation, welche hier geboren und aufgewachsen sind, vermeintliche Komplimente und Fragen dieser Art als übergriffig und verletzend, in der Summe werden sie zu seelischem Leid.“ erzählt Samia Kaffouf und wünscht sich mehr offenen, emphatischen Dialog zu diesem Thema: „Gemeinsam, mit Neugier und offenem Geist können wir diesem versteckten Rassismus auf die Schliche kommen und ihn überwinden.“
Adrian Luncke, Mitarbeiter der OEW, wirkend im Bereich „Miteinander und Vielfalt“, gehört als Bundesdeutscher der zweitgrößten Migrationsgruppe in Südtirol an. „Wenn von Ausländern die Rede ist, dann bin, in der Regel, aber nicht ich gemeint.“ Beim Begriff Ausländer, erscheint in vielen Köpfen das Bild von schwarzen Männern und in Medienberichten über Migration werden diese Muster mit den entsprechenden Fotos von schwarzen Menschen im Bahnhofspark gefestigt. Ein Forschungsprojekt der OEW widmet sich eben diesen Stereotypen in unserer medialen Kultur und spürt gemeinsam mit einer Anthropologin die versteckten und auch offensichtlich rassistischen Botschaften auf. Hierüber will sie auch mit Journalist*innen ins Gespräch kommen.
„Medien haben einen großen Einfluss auf uns, es ist wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen, wie Sprache und die Art der Berichterstattung wirken, wenn wir Rassismus dekonstruieren wollen.
Es sind nicht immer direkte Aussagen die rassistisch wirken, sondern oft auch Exklusion durch Negation, das Nicht- Erwähnen und Ausblenden.“ Adrian Luncke hofft, die Arbeit der OEW leiste einen Beitrag zur gesellschaftlichen und strukturellen Veränderung. „Wir gehen mit interaktiven Sensibilisierungsprojekten in die Schulen des Landes. In den Jahren vor Corona Jahren waren es bis zu 400 Besuche im Jahr. Wir lassen z.B. Schüler*Innen die eigene gesellschaftliche Position erfahren und sprechen anschließend darüber. Das kreiert neues Bewusstsein. Auch Begegnung kann, wenn sie richtig konstruiert ist, viel bewirken. Denn neben Wissen und Bewusstsein braucht es Empathie, um zu einem fairen Miteinander zu finden.“ Der kulturelle Austausch „Hallo Ciao Maroc“, bei dem Jugendliche eine Zeit lang in marokkanischen Gastfamilien in Rabat leben, ist hier ein tolles Mittel. „Auch bei Theaterprojekten bringen wir Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zusammen. Durch die Arbeit im Team – in dem jede*r einzelne Mitwirkende wichtig ist – verbunden durch ein gemeinsames Ziel schaffen wir Räume der gleichberechtigten Zusammenkunft. Oft wirken Menschen, die positive Erfahrung des Miteinanders machen, anschließend als Multiplikator*innen in ihrer Umgebung.
So können interkulturelle Theaterprojekte neue Inszenierungen in der Welt schaffen“,
ist sich Adrian Luncke sicher.
Ein weiterer Schritt dem Rassismus auf allen Ebenen entgegen zu wirken, ist hoffentlich die neu eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Landes. Obwohl gesetzlich vorgesehen seit 2011 und mit einem Dekret Durnwalders lanciert, wurde sie schließlich nur aufgrund massiven, zivilgesellschaftlichen Druckes realisiert. Angesiedelt unter dem Südtiroler Landtag und als selbständige Einrichtung verortet im Büro der Volksanwaltschaft, hat sie einen Beirat aus 9 Vertreter*Innen aus den betroffenen Gruppen wie z.B. Senioren, LGBTQ+, religiösen Minderheiten, Personen mit Migrationshintergrund und Anderen. In diesen Tagen wird sie die Türen öffnen, aber bereits ihre Entstehung erzählt eine erwähnenswerte Geschichte von Solidarität und Verbündung verschiedener, betroffener Minderheiten. Die einzelnen Gruppierungen, wenn auch mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen, sind über ihre Schatten gesprungen und haben sich in dem gemeinsamen Ziel formiert. Der Begriff „flexible Solidarität“ stammt von der afroamerikanischen Aktivistin Patricia Hill Collins und umschreibt ein Phänomen, das es auch kleinen Gruppen ermöglicht, stark genug zu sein, um auf struktureller, politischer Ebene etwas bewegen zu können – durch die Verbindung mit anderen Gruppen hin zu einem gemeinsamen Ziel. Statt uns immer wieder im Kleinen mit Gleichgesinnten zu isolieren, gilt es zu lernen Konflikte, unterschiedliche Meinungen und Diversität auszuhalten und uns auf unsere Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zu fokussieren, diese zu stärken und gemeinsam zu agieren. Dieses Beispiel und auch gerade die Flüchtlingspolitik der letzten Jahre hat gezeigt, dass der politische Wille zu einer gelingenden Integration noch viel Luft nach oben hat und Diskriminierung auch von öffentlicher Hand noch zu wenig entgegengesetzt wird.
Ein Spannungsfeld, das auch die MitarbeiterInnen der Südtiroler Caritas sehr gut kennen. Sie sind durch die von der Caritas geführten Flüchtlingsheime und diversen Beratungsstellen innerhalb und außerhalb dieser Strukturen unvermeidlich mit Rassismus konfrontiert und kennen die Herausforderungen, welche Einwanderer*Innen zu bewältigen haben. Mit dem Projekt des Friedenszentrums arbeiten sie auf kultureller Ebene für ein friedliches Miteinander, Völkerverständigung und Gewaltfreiheit.
„Die wirkliche Integration beginnt erst, wenn unsere Heimbewohner*Innen die Struktur verlassen. Selbst Menschen, die es schaffen, Arbeit und Wohnung zu finden und in den Augen unserer Gesellschaft „erfolgreich integriert“ sind, haben oftmals kein soziales Leben, keine Gemeinschaft, der sie sich anschließen können.“
erzählt Marion Rottensteiner, Mitarbeiterin der Caritas im Bereich „Flucht und Migration“. Sie wünscht sich vor allem mehr Offenheit und Humanität in der Bevölkerung: „Integration beginnt nicht mit der Aufnahme in einer Struktur, sondern mit den ersten Begegnungen mit Ortsansässigen. Das kann der Nachbar, der Arbeitgeber, die Eltern in der Klasse der Kinder sein. Jeder von uns kann diese Begegnungen mitgestalten und damit zu einer friedlichen Zukunft beitragen.
Und das ist keine Kunst, wie z.B. zum Mond fliegen. Wir haben alles, was wir dafür benötigen, bereits in uns: Mitgefühl, Neugier und Mut.“
Marion Rottensteiner sieht die Verantwortung nicht nur auf der politischen Ebene, sondern ebenso gesellschaftlich und gibt uns damit Hausaufgaben, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten in die Hand. Ganz im Sinne der afrodeutschen Rassismusaktivistin und Buchautorin Tupoka Ogette:
„Wir alle können nichts für die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Aber jede und jeder kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mitgestalten.“
Ein Beitrag von Evi Kainz für Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit.
Dieser Blog wird von der Autonomen Provinz Bozen und vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.