Ernsthafter Humor
Dan und Lia Perjovschi kommen beide aus Hermannstadt in Siebenbürgen. Aus Rumänien. Ihre Arbeiten haben sie dort, aber auch in vielen internationalen Ausstellungen gezeigt. Im Rahmen des Journalismusfestival in Innsbruck eröffnete das Künstler*innenduo die von Ivana Marjanović kuratierte Ausstellung Fragments of Humanity im Innsbrucker Kunstraum, in welcher die beiden ihre „künstlerischen Praktiken“ zeigen und dem Publikum „verschiedene Sichtweisen auf die Gesellschaft“ bieten. Während Lia Perjovschi „dekonstruiert, wie wir sehen“, ist Dan Perjovschi derjenige, der die Gesellschaft kommentiert und dazu eine „fortlaufende Chronik der Menschheit“ produziert. Die beiden gehören zu den international renommiertesten und einflussreichsten künstlerischen Stimmen in Europa.
„Ja, Bozen kenne ich“, erinnerte sich Dan Perjovschi am vergangenen Freitag und erzählte bruchstückhaft über eine Gruppenausstellung in Bozen. Vor über zehn Jahren war Dan eingeladen und zeichnete mitunter auf die roten Wände des Eurac-Gebäudes. „Auch der Rahmen, in dem er im multiethnisch geprägten Bozen ausstellte, war maßgeschneidert“, berichtete damals die Allgemeine Deutsche Zeitung in seiner Geburtsstadt Hermannstadt über das damals erste(!) und einzige(!) von der EU geförderte Kulturprojekt in Südtirol. Dabei ist Perjovschi selbst so etwas, wie eine Zeitung. In Hermannstadt führt er nämlich seit 2010 seine eigene Zeitung, die sogenannte Horizontale Zeitung. Es handelt sich um eine rund 30 Meter lange Wand, die er fortlaufend bereichert, bemalt und aktualisiert.
Auf der documenta fifteen 2022 in Kassel veröffentlichte Perjovschi mit Berichten zu Kultur, Politik, Gesellschaft und Sport eine Sondernummer seiner Horizontalen Zeitung. Sie konnte auf dem Boden eines Platzes am ehemaligen Kasseler Hauptbahnhof gelesen werden. Außerdem verwandelte Perjovschi die Säulen der Fassade des Fridericianums in Kolumnen (lat. Columna, Säule), die somit ebenfalls Teil (s)einer Zeitschrift wurden.
Mit einem Friedenspanzer war der Künstler, ebenfalls 2022, im Rahmen der Gruppenausstellung Turning Pain Into Power (kuratiert von Judith Waldmann) bei Kunst Meran als Gast mit im Boot.
„Ausgebildet als Maler*innen und seit den 1980er Jahren als experimentelle Künstler*innen tätig, kämpfen Dan und Lia seit mehr als dreißig Jahren um Autonomie, künstlerische Würde und um Kunst als politische Praxis“, schreibt die Kuratorin Ivana Marjanović: „In den Tagen des totalitären Ceaușescu-Regimes, als sie studierten und als Künstler*innen begannen, war es eine enorme Herausforderung, diesen Idealen zu folgen. In der Zwischenzeit waren sie in ihrem Leben, ihrer künstlerischen Laufbahn und ihrem Aktivismus mit anderen Herausforderungen konfrontiert.“
In ihrer Kunst analysieren die beiden Welterleben und schaffen alternative, kritische Ansichten über die Menschheit. Während Dan ausgiebig mit „dem Medium der Zeichnung arbeitet und oft humorvolle minimalistische Figurationen oder kurze politische Zeichnungstexte schafft“, experimentiert Lia mit verschiedenen künstlerischen Mitteln, macht Performance, Zeichnung, Textilskulptur und Installation. Aber auch Malerei (die sie einst studiert hat).
In der aktuellen Ausstellung Fragments of Humanity denken die Künstlerin und der Künstler vor allem über (wiederkehrende und aktuelle) Fragen nach:
- Wohin gehen wir als Gemeinschaft von Menschen, die einen Krieg nach dem anderen, ein System von Gewalt und Unterdrückung nach dem anderen produzieren, und auch wenn die Nachrichten schlecht sind, was können wir noch tun?
- Was können wir mit Kunst und durch Kunst tun?
- Welche Rolle spielte Kunst während der globalen Pandemie, und welche spielt sie in der Debatte über den Klimawandel?
Dan und Lia Perjovschi schlagen dazu ihre Visionen vor, die von ihrem jeweiligen persönlichen Universum in den lokalen und globalen Kontext führen. Sie schaffen die Räume dazu, die sie als großes Puzzle gestaltet, aus verschiedenen kleinen Elementen ausstaffieren.
Zum ersten Mal zeigen Lia und Dan Perjovschi eine Serie von Postkarten, die Dan Perjovschi an Lia aus jeder Stadt geschickt hat, die er seit dem Jahr 2008 bereiste und in der er ausgestellt hat. Die Postcards to Lia tragen zu dem bei, was er eine „ununterbrochene Chronik der Menschheit“ nennt die er wie seine Wandzeitung immer wieder aufs Neue erstellt. Die Arbeit verweist auch, so die Kuratorin „auf eine einst sehr wichtige alternative globale Kunstbewegung, nämlich die Mail Art.“ Diese Form „war entscheidend für die Anfänge von Dan und Lias künstlerischer Tätigkeit während des totalitären kommunistischen Regimes, als rumänische Bürger*innen isoliert waren und Reisen nicht möglich waren.“
Hatten beide bereits im Jahr 2006 in einer von Stefan Bidner kuratierten Ausstellung im Innsbrucker Kunstraum ausgestellt und ihre Projekte unabhängig voneinander, getrennt gezeigt, so bilden sie diesmal eine dialogische Ausstellung. Was sie waren, weiterhin sind und wohl bleiben werden: politisch und gesellschaftskritisch.