Der zweite Stein

Es ist 17.12 Uhr als Richter Stefan Tappeiner das Urteil verliest. Das Ganze dauert keine zwei Minuten.
Maximilian Rainer und Michl Laimer werden wegen Amtsmissbrauchs jeweils zu einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Klaus Stocker und Franz Pircher freigesprochen. Alle Ansprüche der Nebenkläger Eisackwerke GmbH werden vom Gericht abgelehnt.
Im Schwurgerichtssaal sind nur zwei der Angeklagten anwesend. Klaus Stocker und Michl Laimer. Man sieht beiden die Reaktion auf das Urteil an. Ex-Landesrat Michl Laimer ist mitgenommen, trägt den Richterspruch aber mit Würde. Ebenso sieht man wie bei Klaus Stocker in diesem Moment eine Last von den Schultern fällt. Aber auch der ehemalige SEL-Präsident hat den Stil nicht offen zu jubilieren. „Ich hoffe, dass Sie über unsere Mandanten endlich auch etwas Gutes schreiben“, wird wenig später Stockers Anwalt Vincenzo Adamo zu den Journalisten sagen.
Als Carlo Bertacchi seinen Mandanten Maximilian Rainer telefonisch vom Schuldspruch informiert, hat der Bozner Starverteidiger den Gesichtsausdruck eines Bestattungsunternehmers.
Die Stimmung im Gerichtssaal ist fast so, als gebe es nur Verlierer.
21 Monate hatte des Verfahren gedauert. Im sogenannten „Stein an Stein 2“-Prozess sitzen Maximilian Rainer, Michl Laimer, Klaus Stocker und Franz Pircher auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Quartett Amtsmissbrauch und Beihilfe dazu vor. Es geht im Verfahren um die Manipulationen des Wassernutzungsplans zum Vorteil der Stein an Stein Italia GmbH.
Am 14. November 2014 geht die Erstverhandlung über die Bühne. Der Kern des Verfahrens war der sogenannte Wassernutzungsplan (WNP). Der Wassernutzungsplan oder auch Gewässernutzungsplan ist eine Art Gesamtplan zur Nutzung der öffentlichen Gewässer in Südtirol. Der Plan ist naturgemäß ein Kompromiss zwischen den Begehrlichkeiten der Strombetreiber und den Bedürfnissen der Landwirtschaft, der Umweltschützer und der Fischereiverantwortlichen.
Der Wassernutzungsplan fällt in das Aufgabengebiet von Landesrat Michl Laimer. Die Anklage konnte im Prozess aber anhand des sichergestellten Datenverkehrs und von eindeutigen Dokumenten stichhaltig beweisen, dass der Landesplan jahrelang immer wieder zwischen der SEL und dem Büro Laimer hin und her ging. Maximilian Rainer modellierte dabei das Gesetzesinstrument des Landes nach eigenen Befindlichkeiten mehrmals um.
Tatort Eisack: Wassernutzungsplan den Privatinteressen angepasst.
Im jetzt abgeschlossenen Verfahren geht es um die Unterschutzstellung des Eisack zwischen Sterzing und Franzensfeste. Im ursprünglichen WNP sollte der gesamten Eisack zwischen der Einmündung des Pfitscher Bachs und dem Stausee von Franzensfeste unter Schutz gestellt werden.
Die „Stein an Stein GmbH“ wollte aber unbedingt ihr Mittewalder Kleinkraftwerk erweitern. Im Sommer 2008 reicht das Unternehmen beim Land ein Erweiterungsprojekt ein. Hier wird aber plötzlich der Wassernutzungsplan zum Problem. Denn genau dieser Flussabschnitt soll für neue Stromableitungen unter Schutz gestellt werden. Die geplanten Erweiterungen hätten sich die privaten Kraftwerksbetreiber damit abschminken müssen.
Im Prozess gelang es der Staatsanwaltschaft lückenlos nachweisen, dass das Duo Rainer/Laimer den Wassernutzungsplan zu Gunsten der Stein an Stein GmbH abgeändert hat.
Der Königsbeweis war vor Gericht vorgelegtes Dokument, das die Ermittler von der SEL bekommen haben: Es sind die originalen Seiten 59 und 60 aus dem ursprünglichen Wassernutzungsplan. Darauf ist die Passage zur Unterschutzstellung des Eisacks „bis zum Stausee von Franzensfeste“ mit rotem Filzstift durchgestrichen und handschriftlich jene Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinkraftwerken am Eisack eingefügt, die es für die Stein-an-Stein-Italia braucht. Die Handschrift ist jene von Maximilian Rainer.
Der ehemalige SEL-Generaldirektor gibt auch zu, dass er diese Änderungen geschrieben hat, doch er dreht im Prozess die Verantwortlichkeiten um. Seine Version: Landesrat Michl Laimer hätte ihm diese Passage telefonisch diktiert.
Das UrteilMan wird also noch eineinhalb Jahre warten müssen. Bis man weiß, ob das Glas nach diesem Urteil halbvoll oder halbleer ist.
Das Schwurgericht dürfte dieser Verteidigungslinie nicht gefolgt sein. Das zeigt die Verurteilung von Michl Laimer und Maximilian Rainer.
Das Verfahren ist damit aber keineswegs abgeschlossen. Sowohl Staatsanwalt Giancarlo Bramante, wie auch der Anwalt der Nebenkläger Beniamino Migliucci haben bereits angekündigt gegen das Urteil zu berufen. Am Freitag Abend erklärten auch die Verteidiger der beiden Verurteilten, dass man gegen den Schuldspruch Berufung einlegen wird.
Man wird also noch eineinhalb Jahre warten müssen. Bis man weiß, ob das Glas nach diesem Urteil halbvoll oder halbleer ist.