Arnos Time Tunnel
Harald Schmidt, der große Satiriker und Late-Night-Talker im Ruhestand hat während einer Podiumsdiskussion der Bertelsmann Group im Jahre 2002 seinem Kollegen Günther Jauch und dem Grass-Biografen Michael Jürgs humorvoll erklärt, mit welchen beiden Arten von Reaktionen man rechnen muss, wenn man mittels Satire andere durch den Kakao gezogen hat:
„IKEA z. B. war jedes Mal extrem cool und hat immer, nachdem sie Thema bei uns waren, angerufen und gefragt, ob sie nicht eine Kassette haben können, um sie ihren Mitarbeitern zu zeigen. Firmen, die jedoch den Insolvenzverwalter schon mit im Urlaub haben (gemeint war damals der Münchner Handtaschenhersteller MCM), lassen fünfzigseitig New Yorker Anwaltskanzleien schreiben: ‚Wir sind die Besten und wenn Sie noch einmal behaupten, unsere Koffer kommen mit Beulen vom Band, dann fordern wir lebenslänglich‘."
Fünfzig Seiten Juristendeutsch werden es mit Sicherheit nicht werden, die den Aktivisten des Umweltinstituts München e.V. wohl demnächst ins Haus flattern werden, denn derzeit ist das Plakat im Untergeschoss des Stachus‘ sowieso nicht mehr zu sehen. Angeblich liegt eine rechtliche Androhung gegen den Kölner Außenwerbungs-Dienstleister Ströer vor, was der Grund dafür sein könnte, dass sich die angemietete Plakatwand nicht mehr dreht und deshalb nur noch statisch die Werbung einer Fastfood-Kette dauerhaft sichtbar ist.
Lisa Maria Gasser: Gestopptes Plakat
Man fühlt sich ins Jahr 1986 zurückkatapultiert, als sich der Bayerische Rundfunk aus dem laufenden (!) ARD-Abendprogramm ausblendete, um eine unbequeme Ausstrahlung von Dieter Hildebrandts Kabarettsendung „Scheibenwischer“ zu verhindern. Lisa Fitz sollte dort im Text „Der verstrahlte Großvater“ die Geschehnisse der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl satirisch aufarbeiten. Dem damaligen Fernsehdirektor des BR passte dieser Text jedoch überhaupt nicht und so sahen die Zuschauer in Bayern knapp eine Stunde lang nur eine schwarze Mattscheibe, sofern sie die ARD als Kanal auswählten. Zensur von höchster Ebene also, wie man sie sich heute eigentlich nur noch in totalitären Staaten wie Nordkorea vorstellen kann, oder eben in Südtirol.
In jenen ereignisreichen Tagen Anfang Mai 1986 wurde auch das Umweltinstitut München e.V. als Reaktion auf den Super-GAU im sowjetischen Kernkraftwerk gegründet. Karl Bär, der heutige Kopf des UIM war damals noch ein Säugling, gerade ein gutes Jahr alt. Möglicherweise haben ihm seine Eltern irgendwann einmal erzählt, dass Zensur und Repression in Bayern auch einer anderen Künstlergruppe widerfahren ist: den Gebrüdern Well von der Biermös Blosn, die u. a. mit ihrem Engagement im Widerstand zur Errichtung einer nuklearen Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf den Bayerischen Rundfunk veranlasst hat, die Kabarettgruppe mit einem Sendeboykott zu belegen.
Wenn man sich diese Geschehnisse von damals heute -nach gut dreißig Jahren- wieder einmal ins Gedächtnis ruft, dann kommt man sich irgendwie fast so vor, als würde man seinem Nachwuchs vom Weltkriegs-Schützengraben erzählen, so weit ist das alles schon weg und so verblasst sind schon die Erinnerungen daran. Umso kurioser, ja nahezu anachronistisch mutet es nun an, wenn man hört und liest, dass es den Münchner Umweltaktivisten im Jahre 2017 in Südtirol nun ähnlich ergeht, wie den bayerischen Freigeistern in den Achtzigern: Man versucht sie behördlich einzuschüchtern und zieht ihnen erst einmal den Stecker.
Die bayerische Spezl-Wirtschaft unter Franz-Josef Strauß hat sich viele Jahre lang die Obrigkeitshörigkeit und das Duckmäusertum von großen Teilen der Bevölkerung zu Nutze gemacht, um ein bedenkliches Machtvakuum zu generieren, wie man es heute leider in ähnlicher Form noch in Südtirol vorfindet. Dieses Vakuum beginnt sich glücklicherweise mehr und mehr aufzulösen, auch dank solcher Aktionen wie der des UIM.
Man kann nur hoffen, dass sie sich nicht entmutigen lassen vom ebenso lähmenden wie überkommenen „System Südtirol“ und ihren Weg genauso beharrlich und konsequent gehen, wie ihre Vorfahren seinerzeit in Bayern. Die Geschichte bietet in jedem Fall eine Mut machende Orientierungshilfe, denn alle oben genannten Künstler sind mittlerweile rehabilitiert und genießen sowohl im Volk -als auch beim Staat- höchstes Ansehen.
Man braucht halt nur Geduld und einen langen Atem!
Und bei alledem kann man den Südtiroler Grünen die Frage wirklich nicht ersparen, weshalb diese Aktionen eigentlich nicht von denen kommen, denn das ist doch schließlich deren Kernthema? Fehlt’s denn schlicht an Kreativität oder ist die Angst vor der Kanzlei Brandstätter möglicherweise einfach nur zu groß?
Und um auf Harald Schmidt zurück zu kommen:
Arno Kompatscher sollte jetzt Grandezza beweisen und die Firma Ströer veranlassen, das Pestizidtirolplakat umgehend wieder sichtbar werden zu lassen, denn eigentlich sollte er doch auch eher cooler Schwede sein als hysterische MCM-Tussi. Und in dreißig Jahren schmunzeln wir sowieso alle gemeinsam über die Geschehnisse vom August 2017.
So wie jetzt über den 22. Mai 1986, als in Bayern die Mattscheiben schwarz blieben.