Environment | Klimawandel

Muss die Kuh weg?

Unter diesem etwas provokanten Titel fand vorgestern in der Eurac Research eine Info-Veranstaltung statt. Das Fazit? Die Kuh muss nicht weg!
Milchkuh
Foto: (c) unsplash
Eines trat bei der Veranstaltung zum Thema Zukunft der Viehwirtschaft, die am Montagabend (16. Jänner) von der Plattform Scientists for Future Südtirol veranstaltet und von rund 70 Personen online und im Seminarraum der EURAC verfolgt wurde, mehr als deutlich zutage: Die urbane Bevölkerung hat sich von der bäuerlichen Welt und der landwirtschaftlichen Produktionsweise mittlerweile dermaßen weit entfernt, dass in den breiten Bevölkerungsschichten kaum noch Wissen über die Haltung von Nutztieren, Milch- und Viehwirtschaft vorhanden sind. Die Kenntnisse über die landwirtschaftlichen Tätigkeiten wurden von Meinungen, Verallgemeinerungen und Gefühlsstimmungen – erzeugt mittels Image prägender Werbekampagnen – verdrängt. Nicht überraschend ist es daher, dass ein großer Teil der städtischen Bevölkerung sich wundert, weshalb die Milchkühe überwiegend in Ställen gehalten werden und nicht wie es in der schönen Werbung gezeigt wird – auf den Weiden und Almen. Somit lautet ein Fazit: Die Bauern müssen anfangen, Aufklärungsarbeit zu leisten und dürfen „Das-schöne-Geschichten-Erzählen“ nicht der Produktion und dem Handel überlassen.
 
 
 
Ein erster Schritt in diese Richtung wurde vorgestern getan. Als Referent konnte die Plattform den Praktiker und Agrarwissenschaftler der Universität Bozen Thomas Zanon gewinnen. Wie die Sprecherin der S4F Ruth Heidingsfelder, erklärte, handle es sich beim Thema Viehwirtschaft um ein Thema, das alle angehe und gleichermaßen betrifft: vom Produzenten bis zum Konsumenten. 
„Ich möchte in meinem Vortrag eine Lanze für die Landwirtschaft brechen und die Fakten aufzeigen“, erklärte Zanon und fügt mit Verweis auf den etwas provokanten Titel der Veranstaltung hinzu: „Ich will Ihnen mit diesem Vortrag das Gegenteil beweisen!“ Leider sei man mit Vorurteilen und Vorwürfen nach dem Motto „Die Nutztierhaltung ist der schlimmste Klimasünder überhaupt“ und emotional gesteuerten Diskussionen konfrontiert. Ziel sei es deshalb, Fakten basiert die Themenbereiche und Fragestellungen Punkt für Punkt abzuarbeiten.
 

Klimakiller Kuh?

 
Mittels grafisch aufbereiteter Daten erklärte der Agrarwissenschaftler, wie hoch der CO2-Fußabdruck in der Nutztierhaltung ist. Je nach Nutztierart ist der Wert unterschiedlich. Der Grund, weshalb der Wert bei den Rindern im Vergleich zu den Monogastriern (Geflügel, Puten) höher ist, ist in der Tatsache begründet, dass es sich beim Rind um einen Wiederkäuer handelt, der zwangsläufig aufgrund seiner Physiologie durch die Aufnahme von Rohfasern Treibhausgase wie Methan, CO2 und Lachgas produziert. Hinsichtlich der CO2-Werte gibt es aber auch innerhalb der Nutzungsform bei Rindern einen Unterschied: Das Milchvieh schneidet wesentlich günstiger ab als das Mastvieh, „weil die Milchkuh in der Lage ist, sehr effizient Lebensmittel zu produzieren“. Somit sei Milch das mit Abstand effizienteste tierische Produkt. Das Rind dürfe deshalb nicht auf den CO2-Abdruck reduziert bzw. als „Methangas-Bombe“ abgestraft werden, erklärte Zanon und betonte: „Das Rind ist weit mehr: Es ist Teil eines Kreislaufes, in welchem der Wiederkäuer nicht nur CO2 emittiert, sondern durch die Weidenutzung, dieses wieder dem Grünland zurückführt.“
 
 
 
Das Rind hat im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelt, Rohfasern, die für den Menschen nicht nutzbar sind, zu verwerten. Im Pansen entsteht durch die Fermentation Methan, das in die Atmosphäre gelangt. Dieses Treibhausgas wird durch die Sonneneinstrahlung zu CO2 und H2O abgebaut, welches von der Pflanze aufgenommen wird. „Dieser zentrale Prozess hat das Leben auf unserem Planeten erst ermöglicht“, so Zanon. Das CO2 wiederum wird im Boden eingelagert und trägt zur Produktion von Biomasse bei. Im Rahmen einer Grundfutter basierten Produktionsweise ist das Rind somit Teil eines Kreislaufes. „Überspitzt formuliert stellt das Rind als Teil eines solchen Kreislaufes nicht einen Klimasünder dar, sondern ist sogar ein Klimaschützer“, erklärte der Agrarwissenschaftler und betonte, dass die eigentlichen Klimasünder die Menschen seien. 40 Prozent der Erdoberfläche kann nur als Grünland genutzt werden, sprich als Weidefläche für Wiederkäuer. Auch in Südtirol besteht der Großteil der agrarischen Fläche wie beispielsweise Almen aus Grünland, wo nur Weidewirtschaft möglich ist.
 

Warum ist das Rind in Ungnade gefallen?

 
Vor dem Hintergrund der Intensivierung der Landwirtschaft wurde das Rind Richtung Hochleistung gezüchtet – weg von der Standort gebundenen Landwirtschaft hin zur ganzjährigen Stallhaltung. Während 1950 die durchschnittliche Milchleistung noch bei 3.000 Liter je Laktation lag, beträgt sie 70 Jahre später 8.000 Liter – eine gewaltige Steigerung, die auf die Haltung, Fütterung und Zucht zurückzuführen ist. Konnten die Milchrinder ursprünglich beinahe ausschließlich mit Grundfutter gefüttert werden, benötigen sie nun – um die Hochleistung erbringen zu können – Ergänzungsfuttermittel beispielsweise auf Getreidebasis.
 
 
Wenn man es im Betrieb schafft, so autark wie möglich zu wirtschaften, ist man langfristig gesehen krisenresistenter.
 
 
Auf die Frage, wie die Landwirtschaft in Südtirol nachhaltiger bzw. auch resilienter gestaltet werden kann, erklärte Zanon, dass das Ziel wieder in einer vermehrt Standort gebundenen Fütterung liegen müsse. In einigen Produktionsschienen wie beispielsweise Heumilch wird dieses Konzept bereits umgesetzt. Zudem hat eine Studie auf dem Versuchsbauernhof in Dietenheim ergeben, dass eine standortgebundene Landwirtschaft wesentlich resilienter gegenüber Fluktuationen ist. „Wenn man es im Betrieb schafft, so autark wie möglich zu wirtschaften, ist man langfristig gesehen krisenresistenter“, so Zanon.
 

Brauchen wir Kulturlandschaft?

 

Wie Zanon erklärte, sei er letztens mit Fragen konfrontiert worden wie „Brauchen wir Kulturlandschaft?“ oder „Warum hören wir mit der Viehwirtschaft im Berggebiet nicht auf und überlassen alles der Natur?“ „Wir haben in unseren verschiedenen Berechnungen gesehen, dass eine Grundfutter basierte Haltung, die primär vom Standort abhängig ist, förderlich für die Biodiversität ist“, so der Agrarwissenschaftler, der in diesem Zusammenhang eine Langzeitstudie, die im österreichischen Ennstal, durchgeführt wurde, vorstellte. In dieser Studie wurden die verschiedenen Nutzungsformen, wie Weidehaltung durch Schaf und Rind, Schnittnutzung, Nutzungsverzicht sowie Rekultivierung nach fünfjährigem Nutzungsverzicht durch Burenziegen, miteinander hinsichtlich der Biodiversität verglichen. Überraschenderweise waren die Schafweiden die artenreichsten Flächen gefolgt von den Kuhweiden.
 
 
 
„Am schlechtesten hat jene Fläche abgeschnitten, die nicht genutzt wurde“, erklärte Zanon. Der Grund dafür liegt in der zunehmenden Verbuschung, dem Verschwinden der verschiedenen Gräser und Kräuter bis hin zur Bewaldung. Ein gutes Management und eine gezielte Weideführung kann damit nicht nur die Biodiversität fördern, sondern auch Erosionen vorbeugen, da das Wurzelwachstum aufgrund der Beweidung angeregt wird.
 

Was ist zu tun?

 
Neben einer Standort basierten Wirtschaftsform, möglichst wenig Zukauf von Futtermitteln, Futtermittelzusätzen, durch welche die Methangasproduktion reduziert wird, sowie züchterisch veränderte Rassen, die sich durch wenig Methanemissionen auszeichnen, spielt auch die Haltung und das Management bzw. eine optimierte Düngung und das Weidemanagement eine entscheidende Rolle hinsichtlich einer nachhaltigen Landwirtschaft. Aber auch der Konsument muss in die Pflicht genommen werden, erklärte Zanon und brachte dafür ein Beispiel für eine CO2-Fußabdruckrechnung: Während der Konsum von einem Liter Kuhmilch 3,2 kg CO2 verursacht, sind es beim Verzehr von einem kg Rindfleisch bereits 14,34 CO2. Dagegen werden bei einem Flug von Verona nach Mallorca 409 kg COin die Atmosphäre ausgestoßen. Fazit: Man kann zweieinhalb Jahre lang Milch trinken, um auf den gleichen Wert zu kommen. „Die Viehwirtschaft produziert CO2, da braucht man nichts schönzureden, aber diese Tatsache muss im Gesamtkontext gesehen werden“, erklärte der Agrarwissenschaftler.