Economy | Landwirtschaft

„Südtiroler Tierwohl“

Italien führt mit „ClassyFarm“ ein neuen Gütesiegel zum Tierwohl ein. Was bedeutet das für Südtirols Bauern? Eine Recherche bei jenen, die die neue Bestimmungen umsetzen.
Kühe
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
Massentierhaltung, Tiertransporte – vor allem von jungen Kälbern – und der Einsatz von Antibiotika sorgen für immer neue Negativ-Schlagzeilen und setzen die Genossenschaften und Landwirte unter enormen Druck. Der Verbraucher fordert Antworten – und zwingt die Produzenten damit zu einem Umdenken. „Tierwohl ist das derzeit alles beherrschende Thema“ sagt auch Christian Plitzner vom Beratungsring Berglandwirtschaft (BRING). Die Konsumenten wollen wissen, wie die Tiere, deren Produkte sie kaufen, leben und vor allem wollen sie eine Garantie, dass es ihnen gut geht.
 Während es in Deutschland und Österreich unzählige verschiedene Gütesiegel gibt, mit denen die biologische Anbauweise oder natürliche Haltungsbedingungen garantiert werden, soll mit SQNBA (sistema qualità nazionale benessere animale) in Italien ein einheitliches nationales Gütesiegel eingeführt werden. Basieren wird das Gütesiegel auf dem „ClassyFarm“-System und einem Fragebogen, der wohl in absehbarer Zeit verpflichtend für alle Nutztier haltenden Betriebe eingeführt wird.
 
 
 
Derzeit ist der ClassyFarm-Fragebogen noch freiwillig - Schweinehalter ausgenommen“, erklärt Plitzner. Um die Südtiroler Landwirte jedoch darauf vorzubereiten, hat der Sennereiverband Südtirol die Initiative „Tierwohl Südtirol“ in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Bozen und dem Beratungsring Berglandwirtschaft (BRING) gestartet. 
Seit Anfang Jänner werden die Milch liefernden Betriebe von MitarbeiterInnen des Sennereiverbandes und des Beratungsringes Berglandwirtschaft besucht und gemeinsam mit dem Betriebsinhaber wird der Fragebogen des Sennereiverbandes, der stark an die Classyfarm-Fragebögen angelehnt ist, ausgefüllt.
Das Gros der rund 100 Fragen dreht sich um das Thema Tierwohl und Tiergesundheit, wie beispielsweise Luft- und Lichtverhältnisse, die Beschaffenheit der Tränken bzw. ob die Tiere genug Wasser und Futter bekommen sowie allgemeine Fragen zur Tiergesundheit. Die Ergebnisse werden anschließend ausgewertet und dienen den Milchhöfen zur Standortbestimmung. Wo steht man? Wo gibt es Schwachstellen? Was kann oder muss nachgebessert werden?
 

 

Deshalb wird die Initiative vom Sennereiverband vor allem als „Projekt zur Optimierung“ gesehen, erklärt Annemarie Kaser, Direktorin des Sennereiverbandes.
Der Fragebogen soll sowohl dem Landwirt als auch für den Konsumenten eine Orientierungshilfe in Sachen Tierwohl bieten – und schlussendlich beiden zugute kommen. Tierwohl ist auch Menschenwohl, oder anders ausgedrückt: Wenn es dem Tier gut geht, geht es auch den Menschen gut, ist Kaser überzeugt.
Auf die Sorgen, dass insbesondere Kleinbauern durch die zunehmende Bürokratisierung und möglichen Umbaumaßnahmen – befürchtet wird hier vor allem ein Verbot der Anbindehaltung – gezwungen werden aufzugeben, entgegnet die Direktorin, dass sich nicht die Frage Anbindestall oder Laufstall stelle, sondern ob es dem Tier gut geht. Deshalb werden auch beide Haltungssysteme im ClassyFarm-System berücksichtigt. „Die Anbindehaltung wird nicht infrage gestellt und niemand muss wegen dieses Fragebogens einen neuen Stall bauen“, stellt die Direktorin klar. 
 
 
Völlig aus der Luft gegriffen ist die Sorge der Bauern allerdings nicht. 2018 sorgte die Hofer-Marke „Zurück zum Ursprung“ für Schlagzeilen, die mit 365 Tagen Auslauf für die Kühe warb. Die Bauern eines Osttiroler Bergbauerndorfes, die eben für diese Marke ihre Milch lieferten, brachte diese Vorgabe unter Zugzwang: Entweder den traditionellen Anbindestall in einen Laufstall umbauen oder für täglichen Auslauf sorgen. „Natürlich können wir die Sorgen der Bauern nachvollziehen, allerdings kann niemand sagen, was die Zukunft bringen wird. Es könnte durchaus sein, dass eine Handelskette morgen eine bestimmte Haltung vorschreibt“, so Kaser.
 

Katzen und Bürokratie

 
Wenn eine bürokratische Auflage hinzukommt, fällt selten gleichzeitig eine andere weg“, entgegnet Christian Plitzner auf die zunehmende Bürokratisierung angesprochen. Die Fragebögen werden im ClassyFarm vom Hoftierarzt gemeinsam mit dem Betriebsinhaber ausgefüllt – die Kosten dafür trägt der Landwirt.
Diese Ausgaben, die wohl zukünftig jährlich getätigt werden müssen – werden für alle gleich sein, unabhängig davon, ob nun sechs Kühe im Stall stehen oder 40 – ein Ungleichgewicht zulasten der Kleinbauern, die dieselben Fixkosten wie ein Großbetrieb zu tragen haben. Auch die zunehmende Digitalisierung bereitet manchen Bauern Schwierigkeiten, besonders der älteren Generation.
 
 
Bestes Beispiel dafür sei das digitale Behandlungsregister, das mit 28. Jänner diesen Jahres eingeführt wurde. Wurden die tierärztlichen Leistungen früher in ein grünes Buch eingetragen, hat nun alles digital zu erfolgen. „Für die Jungen ist das kein größeres Problem, aber besonders die älteren Bauern, die mit der digitalen Welt ihre Schwierigkeiten haben, werden hier alleine gelassen“, so Plitzner und betont, dass man bemüht sei, Hilfe anzubieten.
Schwer tun sich einige Bauern auch mit Vorgaben, die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar scheinen, da sie auch schlichtweg der althergebrachten Tradidition widersprechen, wie beispielsweise dass Hunde oder Hühner nicht im Kuhstall gehalten werden dürfen.
Das habe durchaus seinen Sinn, erklärt die Direktorin des Sennereiverbandes Annemarie Kaser. Nutztiere, die in einem Stall gehalten werden, dürfen nicht mit Wildtieren oder anderen Tierarten in Kontakt kommen – aus Gründen der Hygiene und um die Verbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Die entsprechenden Vorgaben seien auch nicht wirklich neu.
Fragen, die sich im ClassyFarm-Fragebogen rund um die Thematik Haltungsbedingungen drehen, fußen auf Vorgaben, die es teilweise schon sehr lange gibt, so Kaser. "Dass sich Hühner und Milchkühe nicht denselben Stall teilen sollen, sei inzwischen gängige Praxis – dass jedoch Katzen, Mäuse oder Vögel aus den Ställen vollkommen verbannt werden müssen, wie derzeit kursierende Gerüchte besagen, ist völlig aus der Luft gegriffen", sagt Kaser.