Greifbare Diskriminierung
Patriarchat, Gender Pay Gap, unzulängliche Kinderbetreuung, finanzielle Unabhängigkeit, Altersarmut … Oft klingen diese Begriffe abstrakt und beschränken sich auf Zahlen und Prozentsätze in jährlich erscheinenden Statistiken. Für viele aber ist dieses strukturelle Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau in der Arbeitswelt sehr real und wird, zusätzlich erschwert durch die Mutterschaft, zu einer schier unüberwindbaren Hürde. Wie diese Hürde konkret aussieht, erfahren wir aus dem Interview mit Elena*, einer jungen Südtirolerin, die sich sehnlichst wünscht, den Job auszuüben, in dem sie gut ist.
Salto.bz: Elena, wie sieht dein beruflicher Werdegang aus?
Elena: Für mich war es immer schon wichtig, eines Tages einen Beruf auszuüben, der mich erfüllt. Nach dem Studiengang Sprachwissenschaften hatte ich zahlreiche berufliche Auslandserfahrungen, bis ich nach Südtirol zurückgekehrt bin. Ich wollte Wurzeln schlagen und eines Tages meine Kinder hier großziehen. Hier hatte ich interessante Berufserfahrungen in Privatunternehmen, bis ich nach der Geburt meines ersten Kindes gekündigt habe. Ich ging davon aus, in jedem Moment wieder ins Berufsleben einsteigen zu können.
War es denn nicht so?
Nein. Vor der Mutterschaft habe ich bei fast jeder Bewerbung eine Zusage bekommen und konnte mir den Job eigentlich aussuchen. Mit dem Mama-Werden hat sich das drastisch und dramatisch geändert. Der Teilzeitwunsch war schwierig umzusetzen und zudem die Mutterschaft ein großes Hindernis. Bei Bewerbungsgesprächen waren potentielle Arbeitgeber von meinen Erfahrungen und Kompetenzen sehr angetan. Sobald aber das Kind erwähnt wurde, kamen Aussagen wie: „Sie sind Mama? Ach, wissen sie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Utopie, da kann ich Ihnen nichts für ihre Qualifikation anbieten“.
Vor der Mutterschaft habe ich bei fast jeder Bewerbung eine Zusage bekommen und konnte mir den Job eigentlich aussuchen.
Eine kalte Dusche?
Wie die meisten Frauen hatte auch ich bereits Erfahrungen in puncto Diskriminierung am Arbeitsplatz gemacht. Wenn z.B. gleichgestellte Mitarbeiter oder Kollegen mit ähnlichen Funktionen automatisch mehr verdient haben oder wenn sämtliche Vorgesetzte Männer waren. Das sind schon die ersten Hürden für eine Frau in der Arbeitswelt, durch die Mutterschaft wird nochmal alles erschwert und die Ungleichheit noch deutlicher.
Und dann?
Dann habe ich etwas gefunden, hatte aber weiterhin den Wunsch nach beruflicher Entfaltung. Deshalb habe ich während der zweiten Mutterschaft Soziale Arbeit studiert. Mein Ziel war es, in einem Bereich zu arbeiten, der mir auch persönlich etwas gibt und in dem ich ein Entgegenkommen bei der Zeiteinteilung von Familienplanung und -organisation voraussetzte. Das Studium habe ich im Laufschritt abgeschlossen und gleich anschließend einen Teilzeitjob im Sozialen gefunden. Ich koordinierte ein Projekt zur Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung. Es war eine gute Zusammenarbeit und im Laufe der Zeit wurden die Stunden aufgestockt, und ich war für weitere Projekte verantwortlich. Als ich mein drittes Kind erwartete, haben mir die Arbeitgeber versichert, jederzeit zurückkommen zu können und das mündliche Versprechen gegeben, alles zu tun, um meinen prekären befristeten Vertrag in einen unbefristeten Vertrag umzuwandeln.
Ist es dazu nicht gekommen?
Nach dem Mutterschutz sagte man mir plötzlich, es seien keine Gelder da, um meinen Vertrag weiterlaufen zu lassen. Es war ein harter Schlag in dieser vulnerablen Lebensphase, mit leerem Versprechen zu Hause zu sitzen. Ich habe mich nach meinen Rechten erkundigt, jedoch gab es durch den befristeten Vertrag kein rechtliches Makel an dieser Vorgehensweise. Jetzt bin ich arbeitslos gemeldet und auf Arbeitssuche. Aber in der Rangordnung der KITA haben Berufstätige den Vorrang, und um einen Job anzunehmen, bin ich auf den Platz in der KITA angewiesen. Keine Arbeit, weil keine KITA, und keine KITA, weil keine Arbeit. Eine Zwickmühle. Mein Partner kann da nicht einspringen, denn schließlich sind wir als Familie auf sein Einkommen angewiesen, und die Großeltern beiderseits sind alle noch berufstätig.
Nach dem Mutterschutz sagte man mir plötzlich, es seien keine Gelder da, um meinen Vertrag weiterlaufen zu lassen.
Und jetzt?
Oft frage ich mich: chi me lo ha fatto fare? Die Studien, das Arbeiten – immer gewissenhaft und bestmöglich. Ich habe ja nichts Falsches gemacht und möchte einfach nur den Job ausüben, für den ich studiert habe, in dem ich gut bin. Wieso sollte ich mich begnügen? Weil ich Kinder habe? In meinem Umfeld wird relativiert: „Genieß es, sei keine Rabenmutter“… Alle meinen, es gäbe eigentlich Schlimmeres … für mich ist das aber schlimm genug. Hallo, ich habe keinen JOB!!! Mein Beruf definiert mich als Mensch, garantiert mir finanzielle Unabhängigkeit und Rentenfürsorge. Es ist ein Grundrecht, arbeiten zu dürfen!
Mir ist klargeworden, dass die enormen Schwierigkeiten, welchen wir als Frauen und erst recht als Mütter begegnen, immer noch ein großes Tabuthema sind. Tatsächlich ist es immer noch so: entweder Familie oder Karriere. Denn, wenn eine zurückstecken muss, dann sorgt das System dafür, dass es die Frau ist. Die Diskriminierung ist so greifbar! Ich stehe mit meinen Schwierigkeiten bei weitem nicht allein da. So wie mir geht es vielen. Dabei bin ich sogar privilegiert, dank der Unterstützung durch meinen Partner und unser Netzwerk. Wie müssen sich dann erst Frauen fühlen, die kein Netzwerk haben? Solche, die in einer toxischen Beziehung stecken? Jene, die weniger privilegiert sind?
Was ist das für eine Gesellschaft, in der kompetente Arbeitskräfte nur solange geschätzt werden, bis sie Kinder in die Welt setzen und damit (eigentlich) zum Erhalt der Gesellschaft beitragen?
* der Name wurde geändert
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich kann "Elenas" Situation gut nachvollziehen und bin der Meinung, dass wir dringend Lösungen finden müssen. Es ist für mich absurd, gut ausgebildete und motivierte Frauen von der Arbeitswelt auszuschließen - aus allgemeinen gesellschaftlichen Gründen und im Licht des aktuellen Fachkräftemangels ganz besonders.