Economy | Klimaschutz

Sich ein gutes Gewissen kaufen?

Nach der Aufdeckung zweifelhafter CO2-Zertifikate der Organisation Verra ist die Kritik am Kompensationshandel groß – zu Unrecht, sagt Günther Reifer vom Terra Institute.
wald_industrie.png
Foto: Steven Kamenar / Patrick Handry / Unsplash
Für das Weltklima spielt es keine Rolle, ob in Südafrika, China oder in Südtirol Treibhausgase ausgestoßen werden. Um die im Jahr 2015 festgelegten Pariser Klimaziele der Vereinten Nationen einzuhalten, braucht es neben der konsequenten Reduktion von Treibhausgas-Emissionen auch deren Kompensation. Denn manche Emissionen lassen sich heute noch nicht vermeiden und werden auch in Zukunft teilweise nicht zu vermeiden sein. Etwa bei einer Flugreise, aber auch bei der Produktion von Gütern oder beim Heizen.
 
 
Deshalb wurde 1997 im Kyoto-Protokoll der Vereinten Nationen festgehalten, dass Industriestaaten ihre Emissionen im Rahmen ihrer Reduktionsziele kompensieren können. Auch große und energieintensive Unternehmen, etwa im Bergbau oder in der Autoindustrie, sind in der EU mit dem Green Deal verpflichtet, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu begleichen.
Mittlerweile gibt es außerdem einen riesigen Markt der freiwilligen Kompensation für Unternehmen und Verbraucher*innen. Anbieter verkaufen hierfür Zertifikate für eigene oder bereits existierende Klimaschutzprojekte, dabei gibt es verschiedene Qualitätsstandards wie zum Beispiel der Plan Vivo, der Verified Carbon Standard (VCS) oder der Gold Standard.
Ich kann mit 5 Euro in Afrika mehr bewirken als in Südtirol.
Laut dem Geschäftsführer und Mitgründer der Südtiroler Nachhaltigkeitsberatung Terra Institute, Günther Reifer, sind die Kompensationsprojekte dann sinnvoll, wenn sie Treibhausgase wie CO2 speichern oder klimafreundliche Wirtschafts- und Lebensweisen fördern, beispielsweise Projekte mit erneuerbaren Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz. Allerdings gehe es bei Klimaschutz im ersten und entscheidenden Schritt immer darum, die eigenen Emissionen zu reduzieren, bevor verbleibende in einem zweiten Schritt kompensiert werden.
 

Globale Herausforderung

 
Nichtsdestotrotz sind Kompensationszahlungen ein wichtiger Beitrag, um Klimaschutz auf globaler Ebene mehr Schwung zu verleihen: „CO2-Kompensationen sind sehr sinnvoll, vor allem wenn die Gelder dabei vom globalen Norden in den globalen Süden fließen. In Afrika, Südamerika oder Indien gibt es den größten Bedarf für die Finanzierung von Kompensationsprojekten. Ein aufstrebendes Land wie Nigeria wird in den nächsten 30 Jahren von 200 auf 400 Millionen Menschen anwachsen, sein Energie- und Konsumverbrauch wird also steigen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass dort neue Projekte von Anfang an klimafreundlich umgesetzt werden. Dabei muss natürlich auch der berechtigte Wunsch dieser Länder zur Wirtschaftsentwicklung und nach Wohlstand mitgedacht werden“, erklärt Reifer.
 
 
Schließlich könne es sich die Menschheit nicht mehr leisten, dass die Entwicklung von Wohlstand, wie im globalen Norden über Jahrzehnte geschehen, auf fossilen Energieträgern beruht. „Beispielsweise können die Zertifikate dazu dienen, dass in Nigeria anstatt neuer Kohlekraftwerke Photovoltaik-Anlagen gebaut werden. Durch die Zertifikate werden dann auch die Mehrkosten, die bei der Solarenergie anfallen könnten, finanziert.“
Es ist fragwürdig, wenn Unternehmen ihre Produkte als klimaneutral bewerben.
Damit spricht Reifer ein ständiges Streitthema der Weltklimagipfel der Vereinten Nationen an, etwa auch bei der COP 27 in Ägypten 2022. „Der eigentliche Knackpunkt bei dieser Konferenz sind die Kompensationszahlungen der wohlhabenden, industrialisierten Staaten, die den Klimawandel verursacht haben, an vulnerable Staaten, die am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben“, sagte beispielsweise die Geschäftsführerin des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, Madeleine Rohrer, in einem Interview mit salto.bz während der Konferenz vergangenen Herbst.
Während die Länder des globalen Nordens befürchten, durch die Kompensationszahlungen finanziell überfordert zu werden, können also Privatpersonen und Unternehmen durch die Kompensation ihrer eigenen Treibhausgase die Energiewende im globalen Süden unterstützen. Auch wenn diese Lösung mehr pragmatischen als vorbildlichen Charakter hat, scheint sie zu funktionieren.
 

Umstrittene Projekte

 
Allerdings gibt es auf dem Kompensationsmarkt schwarze Schafe. Etwa deckten Reporter*innen der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit kürzlich auf, dass die US-amerikanische NGO Verra Zertifikate von teilweise fragwürdigen Klimaschutzprojekten an Tausende Unternehmen verkauft, beispielsweise auch an Audi, Gucci, Walt Disney, McKinsey oder Zalando. Diese warben im Gegenzug damit, sich für Klimaschutz einzusetzen. In der Kritik stehen dabei unter anderem Projekte, die bereits existierende Regenwälder schützen. Verra soll weltweit für 75 Prozent der im freiwilligen Kompensationsmarkt gehandelten Emissionseinsparungen verantwortlich sein, auch der Verified Carbon Standard (VCS) wird von Verra verwaltet.
Es ist sehr schwierig, die anfallenden Emissionen in der Lieferkette eines Produktes zu messen.
Die Zeit schreibt von einem Prozess, auf dem gute Absichten verloren gehen: „Auf der sich die Interessen eines Marktes verselbstständigt haben, dessen Akteure fernab staatlicher Aufsicht das Klima zu retten vorgeben – und nicht nur bei dieser Rettung versagen, sondern womöglich vieles noch schlimmer machen.“ Die Recherchen der Zeit, der britischen Tageszeitung The Guardian und des britischen Reporterpools SourceMaterial legen nahe, dass bei vielen Waldschutzprojekten die Kompensation um ein Vielfaches überbewertet wurde.
Das Ausmaß des Schadens sei beträchtlich, schließlich seien 89 Millionen Tonnen CO2 als Geister-Zertifikate auf dem Markt – das entspreche dem jährlichen Ausstoß von Griechenland und der Schweiz zusammen. Auch Günther Reifer vom Terra Institute in Brixen ist die Problematik bekannt. „Es ist schade, dass diese negativen Beispiele so viel Aufmerksamkeit erhalten, während viele andere Projekte einen echten Nutzen für den Klimaschutz bringen.“ Für ihn seien Kompensationsprojekte erst seriös, wenn pro ausgestoßene Tonne mindestens 30 Euro berechnet werden.
 
 

Vertrauen durch Transparenz

 
Das Terra Institute arbeitet derzeit mit keinen Anbietern von Zertifikaten zusammen, sondern ist selbst mit den Projektpartnern vor Ort in Kontakt. Beispielsweise unterstützen Unternehmen gemeinsam mit dem Terra Institute ägyptische Bäuer*innen bei der Umstellung auf die biologische Landwirtschaft, die durch Humusaufbau zur CO2-Speicherung beiträgt.
Außerdem warnt der Mitgründer der Südtiroler Nachhaltigkeitsberatung vor großspurigen Versprechen in der Unternehmenskommunikation: „Es ist sehr schwierig, die anfallenden Emissionen in der Lieferkette eines Produktes zu messen. Deshalb ist es fragwürdig, wenn Unternehmen ihre Produkte als klimaneutral bewerben.“ Denn auch wenn Kompensationsprojekte finanziert werden, sei oft unklar, wie viele Treibhausgase tatsächlich bei der Produktion eines Produktes angefallen sind.
Beim Vergleich zwischen Südtirol und Deutschland würden die Unternehmen hierzulande laut Reifer bei der Klima-Kompensation jenen in Deutschland in nichts nachstehen. Dass sie sich in ihrer Unternehmenskommunikation auch auf Nachhaltigkeit beziehen, gehört fast schon zum guten Ton. Wie viel dann dahintersteckt, muss von Fall zu Fall beurteilt werden.
Die Kompensationsprojekte hingegen finden meist nicht im globalen Norden, sondern im globalen Süden statt – das habe auch finanzielle Gründe. „Ich kann mit 5 Euro in Afrika mehr bewirken als in Südtirol“, bringt Reifer es auf den Punkt.
 
Bild
Profile picture for user Karl Trojer
Karl Trojer Fri, 02/17/2023 - 11:27

Wenn z.Z. CO2-Zertifikate gefälscht werden können, dann muss die zuständige Organisation solche Fälschungen verhindern. Sonst bleibt diese Handels-Maßnahme fragwürdig

Fri, 02/17/2023 - 11:27 Permalink
Bild
Profile picture for user Gianguido Piani
Gianguido Piani Fri, 02/17/2023 - 11:37

Gerade am Anfang des Emissionenhandels, etwa 2003-2008, habe ich versucht Energieeffizienzprojekte unter anderem auch mit Kyoto-Zertifikaten zu finanzieren. Nach einigen Jahren Arbeit, Konferenzen, Treffen bei Energieunternehmen, unzähligen Lektüren, Verfassung von Aufsätzen usw bin ich zu einem einfachen Schluss gekommen. Das ganze System ist pfuscht und gehört ab sofort verboten. Es funktioniert nicht, ist extrem teuer, bereichert wenige, verschiebt echte Maßnahmen in eine ungewisse Zukunft. Mathematisch formuliert: Heuchelei hoch Gier.
Das Emissionenhandel-System wurde 1997 von den USA an die EU "verkauft" bzw aufgezwungen. Die EU hätte systemische Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen vorgezogen, die USA waren dagegen, sie trafen aber die endgültige Entscheidung. Die EU fing somit an, das Kyoto-System zu implementieren, während die USA es kurz danach ablehnten. 25 Jahre später befürworten jetzt die USA staatliche Direktinvestitionen ins Energiesystem.
In der Zwischenzeit haben die s.g. 3.-Welt Länder unsere extreme Heuchelei verstanden. Sie für ein Groschen abfüttern, um bei uns auf nichts zu verzichten: „Ich kann mit 5 Euro in Afrika mehr bewirken als in Südtirol“. Kein Wunder, dass diese Länder jetzt auf China positiv schauen.
Unsererseits - ein Umdenken, irgendwann, vielleicht?

Fri, 02/17/2023 - 11:37 Permalink
Bild
Profile picture for user Georg Niedrist
Georg Niedrist Fri, 02/17/2023 - 13:13

Echte Kompensation funktioniert nur, wo unvermeidbare Emissionen durch aktive Maßnahmen langfristig (mind. 100 Jahre) in Böden oder Vegetation gebunden werden. Oft sind Aufforstungsprojekte sogar kontraproduktiv. Es werden Monokulturen von standortfremden, schnell wachsenden Bäumen in Ökosystemen hochgezogen, wo nie ein Baum stand, mit der Folge, dass Bodenkohlenstoff verloren geht. Die Bäume werden dann nach relativer kurzer Zeit abgeerntet und verarbeitet.
Mit Projekten wie „mit erneuerbaren Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz“ ist das angestrebte Netto-0 Ziel NICHT erreichbar. (Abgesehen davon sind seit der COP 26 in Glasgow Doppelzählungen nicht mehr erlaubt.)

Wir sollten uns nichts vormachen: In der Realität bleiben die meisten Kompensationsprojekte ein Ablasshandel, wo wir etwas Geld in die Hand nehmen, weil uns das Reduzieren von Emissionen vor der Haustür zu teuer und zu „gscherig“ ist.

Fri, 02/17/2023 - 13:13 Permalink
Bild
Profile picture for user Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Fri, 02/17/2023 - 21:00

Skepsis ist wohl allemal angebracht. In D wurde eine pro-Kopf-Quote für CO2 angedacht und leider wieder verworfen, das wäre m.E. der richtige Schritt gewesen. So wie es aussieht, wird eine Klimadiktatur unausweichlich werden, da sich die Schönen und Reichen ihre Privilegien und Goldminen nicht nehmen lassen wollen.

Fri, 02/17/2023 - 21:00 Permalink