Society | Stellungnahme

"Mehr als Polizeipräsenz"

In einem offenen Brief fordert Peter Koler eine umfassende Strategie, um die öffentliche Ordnung zu wahren: "Sonst wird auch das Kaufhaus-Projekt keine Abhilfe schaffen."

In einer beherzten Stellungnahme meldet sich Peter Koler am Donnerstag Nachmittag zu Wort. Der Direktor des Forum Prävention will nicht schweigen zu den jüngsten Vorfällen, die die Debatte um die öffentliche Sicherheit insbesondere in Bozen erneut haben aufflammen lassen. Er betrachtet die Geschehnisse differenziert und warnt davor, zu glauben, dass sich das Problem der öffentlichen Ordnung allein durch den Einsatz der Sicherheitskräfte oder gar den Bau eines Kaufhauses lösen lasse. Was es braucht, so Koler in seinem offenen Brief, sei ein Zusammenspiel zwischen Politik, Medien und Gesellschaft. Der gesamte Wortlaut des Schreibens:


Öffentliche Sicherheit ist mehr als Polizeipräsenz.
Über die Notwendigkeit einer umfassenden Strategie.

In Bozen kam es in den letzten 10 Tagen zu 2 Vorfällen, die eine Diskussion um die öffentliche Sicherheit in der Stadt auslösten: einmal war es ein Mann mit Migrationshintergrund, der in der Nähe des Bahnhofs mehrmals eine Trafikantin bedrohte. Das andere Mal die so benannte Baby Gang, eine Gruppe von einheimischen und zugezogenen Halbwüchsigen, die mehrere Stadtviertel unsicher machte und ein Jugendzentrum zur vorübergehenden Schließung zwang.

Als Direktor des Forum Prävention will ich dazu Stellung nehmen. Nicht zuletzt, weil das Forum Prävention mit seinem Streetwork Projekt direkt in Kontakt mit den Betreffenden gekommen war.

Ich bin davon überzeugt, dass es sich bei den Vorfällen letztendlich um Probleme öffentlicher Ordnung handelt, die innerhalb moderner Gesellschaften zu lösen sind: aber nicht nur mit Polizeieinsätzen, sondern auch durch ein Zusammenspiel sozialer und gesundheitlicher Interventionen.

Der Mann vom Bahnhof stammt aus einem westafrikanischen Land und ist seit 5 Jahren in Bozen. Die Streetworker kennen ihn. Er hat eine Aufenthaltsgenehmigung, lebt aber auf der Straße, praktisch ohne Unterstützung und Perspektiven. Über die Jahre verschlechterte sich sein psychischer Zustand. Es kam in Zusammenhang mit Alkoholkonsum zu Kontrollverlusten. In der Folge zu Ausfälligkeiten und Anpöbelungen gegenüber anderen Personen. Das kann Menschen in solchen Lebensumständen passieren und normalerweise kommen jene, die hier ihren Wohnsitz haben, in die Psychiatrie und erhalten eine medizinisch/psychologische/soziale Betreuung.

Als Migrant ist das nicht so einfach. Die Gesundheitsversorgung ist auf ein Minimum reduziert. Das bringt es mit sich, dass aus gesundheitlichen Problematiken Fälle von öffentlicher Sicherheit werden. Der aktuelle wird sicher nicht der letzte gewesen sein. Unter den Flüchtlingen gibt es viele, die Traumatisches erlebt haben, von Angstzuständen oder Psychosen heimgesucht werden. Für diese reichen ein Bett und ein warmes Essen nicht. Wenn wir hier nicht ein soziales und gesundheitliches niederschwelliges Netz spannen, wird es immer wieder zu problematischen Situationen kommen.

Etwas anders gestaltet sich die Ausgangslage bei der Gruppe Jugendlicher, einige davon sind praktisch noch Kinder. Viele von ihnen sind seit Jahren den Sozialdiensten bekannt, auch innerhalb der Schule werden sie aufgefallen sein. Doch keine Intervention war erfolgreich. Bis es dazu kommt, dass sie – letztlich mehr oder weniger sich selbst überlassen – beginnen die Stadtviertel unsicher zu machen: Anerkennung durch Auffälligkeit nennt sich das im sozialpädagogischen Fachjargon. Und davon bekamen sie jetzt über die Medien seitenweise. Vielmehr bräuchten diese devianten Jugendlichen aber etwas mehr Beziehungsangebote und Zukunftsperspektiven. Etwa durch Streetworker, die Zugänge aufbauen können. Ansonsten haben wir auch hier einen zukünftigen sozialen Brandherd.

Was es also braucht ist nicht nur mehr Polizeipräsenz. Was wir brauchen ist eine soziosanitär durchdachte, vernetzte Strategie, die der Devianz begegnet, Fälle in Betreuung aufnehmen kann und Integration vorantreibt, nicht Ausgrenzung. Diese potenziert einzig und allein die Schwierigkeiten, die wir dann als Gesellschaft alle tragen müssen: Kriminalität, Drogenkonsum, Gewalt, Extremismus.

Ohne eine solche Strategie wird auch das vieldiskutierte Kaufhaus-Bauprojekt keine Abhilfe schaffen, höchstens die Probleme in andere Stadtviertel verlagern.

Zu klären gilt: Wer ist dabei? Wer arbeitet mit an einer gemeinsamen Handlungsstrategie die Soziale und Gesundheitsdienste zusammen wirken lassen, wenn es um diejenigen geht, die nicht leicht erreichbar sind? Wer unterstützt politisch diese Notwendigkeit? Wer medial?

Peter Koler, Direktor des Forum Prävention

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Mensch Ärgerdi… Thu, 03/17/2016 - 15:25

Man kann einfach nicht immer jeden Täter als Opfer dahinstellen und ein Mitliedslied einstimmen. In Bozen baut man ja gerade um etliche Millionen Euro ein neues Gefängnis. Das ist der richtige Ort wo Sozialdienste, Psychiater usw ihren Dienst zur Resozialisierung dieser Individuen verrichten sollten.

Thu, 03/17/2016 - 15:25 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Thu, 03/17/2016 - 17:53

In reply to by gorgias

Prävention funktioniert bis zu einen gewissen Punkt. Wenn es dann für Prävention zu spät ist muss der Staat für Recht und Ordnung sorgen, sonst tut eben jeder was er will und die Faschos werden bei jeder Wahl stärker. Prost Mahlzeit wenn sie sie dann irgendwann gewinnen.

Thu, 03/17/2016 - 17:53 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Thu, 03/17/2016 - 18:12

In reply to by gorgias

und durch was gewinnen Faschos immer mehr an Sympathien in der Wählerschaft? Weil es eben ein Witz ist, dass man bedrohen, stehlen und beleidigen kann ohne jegliche ernst zunehmende Konsequenz befürchten zu müssen.
Wenn gewisse Probleme derzeit existieren kann das an mangelnder Prävention liegen, Prävention löst sie aber jetzt im Nachhinein nicht! Polizisten und Streetworker können ohne Problem zusammen auf der Straße präsent sein, die Anwesenheit der einen schließt die der anderen nicht aus. Außerdem rede ich nicht davon die Leute einzusperren und den Schlüssel wegzuschmeißen sondern von Resozialiesierungsprogrammen für Straftäter in angemessenen Strukturen.

Thu, 03/17/2016 - 18:12 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Thu, 03/17/2016 - 21:45

In reply to by gorgias

Durch mehrere Berlusconi Regierungen mit freundlicher Unterstützung des PDs (ex Ulivo ex Margherita), der DC, der Lega (ja die auch!), der Radicali und co. ist es zwischen Aufhebung der Strafbarkeit, mehrmaliger Straferlass, eine mittellose Staatsanwaltschaft und ein Strafvollzugssystem auf bulgarischen Niveau, nicht möglich Straftäter hinter gitter zu bekommen. Außer es handelt sich um Wiederholungstäter oder man wird mindestens zu vier Jahre verurteilt, vorausgesetzt die oft gut wahrscheinliche und durch Verzögerungstaktiken angepeilte Verjährung schmeißt nicht alles über den Haufen.
Wenn man also nicht gerade mit 3 kg Kokain im Auto erwischt wird, jemanden umbringt oder vergewaltigt passiert in den meisten Fällen nichts, überhaupt wenn man auf ziviler Ebene nichts hat was einen der Geschädigte nehmen kann. Das wissen z.B. die Mitglieder der Babygang wie die von Bozen gut. Sie scheuen sich auch nicht die Kassiererin des Supermarkts mit "brutta puttana, se mi tocchi ti denuncio" anzubellen während sie ohne zu bezahlen aus dem Geschäft das entwenden was ihnen gerade so passt. Mit dem gleichem Ton wird der Vater angesprochen und angespuckt der das gestohlene Handy der Tochter zurückfordert. Was da Streetworker noch erreichen wollen will ich sehen. Solche Individuen gehören in eine funktionierende Strafvollzugsanstalt gesteckt um resozialisiert zu werden, damit sie aus dem Leben was sie noch vor sich haben was machen können. Bei Erwachsene gilt das gleiche.

Thu, 03/17/2016 - 21:45 Permalink