Society | Hausärzte

Die Drohung der Götter in Weiß

Die Hausärzte drohen mit einer Strafanzeige, weil ein Pflegekoordinator Kritik geübt hat. In Wirklichkeit ist die Situation viel schlimmer. Eine persönliche Geschichte.
Arzt
Foto: Online Marketing/Unsplash
  • Am Montag titelte die Tageszeitung Dolomiten: „Missbrauchte Erste Hilfe: Ohne Not in die Notaufnahme. Im Blattinnern heißt es dann: „Jeden Tag kommen mindestens 40 Patienten mit Beschwerden in Südtirols Notaufnahmen, die eigentlich keine Notfälle sind und für die der Hausarzt zuständig wäre.
    Im Dolomiten-Artikel wird dazu ausführlich der Pflegekoordinator der Notaufnahme am  Krankenhaus Brixen, Franz Gruber, zitiert, der auf das „große Problem des Hausarztsystems“ hinweist.
    Ich kenne das Hausarztsystem seit 30 Jahren, und seit 30 Jahren jammert man. Es hat nie richtig gut funktioniert. Viele Patienten mit Kopfweh oder Bauchweh berichten mir, dass sie erst in der nächsten Woche einen Termin bei ihrem Hausarzt bekommen. So kann es nicht funktionieren. Es muss immer eine Schiene offen sein, bei der Patienten mit einem subakuten Problem zum Hausarzt gehen können. Wenn jemand starke Kopfschmerzen hat, dann muss ein Patient gleich etwas erhalten“, sagt Gruber.

  • Krankenhaus Brixen: Klartext des Pflegekoordinator der Notaufnahme. Foto: Seehauserfoto
  • Der erfahrende Pflegekoordinator weist dann darauf hin, dass der Hausarzt eigentlich von Montag bis Samstag in der Früh immer für seine Patienten zuständig wäre, doch wenn ein Patient abends um 18 Uhr ein Problem habe, dann schaue er auf die Öffnungszeiten des Ambulatoriums des Hausarztes und wenn dieses geschlossen sei, komme er in die Notaufnahme. Gruber schlägt deshalb vor, dass die Hausärzte von 8 Uhr bis 17 Uhr im Dienst sein sollten, und danach sollte ein Hausarzt in den Räumen neben der Notaufnahme im Krankenhaus Brixen Dienst tun und für diese Patienten da sein.
    Es ist ein Vorschlag, der seit langem auch auf höchster, politischer Ebene und an der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes diskutiert wird. 

  • Die Drohung

    Apriti cielo.
    Unter dem Titel „Südtirols Hausärzte brauchen keine negative Beurteilung“, reagieren die beiden Hausärztinnen und Gewerkschafter, Susanna Hoffmann und Domenico Bossio, mit einer geharnischten Stellungnahme am Mittwoch in den Dolomiten. Sie watschen dabei den Brixner Pflegekoordinator im wahrsten Sinne des Wortes ab. „Wie kann er sich erlauben, als Krankenpfleger Organisationsprogramme für den Hausarzt vorzuschlagen?“, sagt die Vorsitzende der Hausarztgewerkschaft SNAIM, Susanna Hoffmann. 
    Der Pressesprecher der Gewerkschaft FIMMG und Lananer Hausarzt Domenico Bossio meint: „Der Pflegekoordinator hat keine Befugnisse, uns Hausärzten Vorschläge zu machen. Er kann uns nicht den schwarzen Peter zuschieben.

  • Gewerkschaftsvertreter Domenico Bossio und Susanna Hoffmann bei Vertragsverhandlungen (3. und 4 Vierte von links):: Prüfen eine Strafanzeige wegen Diffamierung. Foto: LPA
  • Die Aussagen Grubers seien „diffamierend und beleidigend gegenüber den Hausärzten Südtirols“.  Susanna Hoffmann weiter: „Wir haben als Freiberufler, konventioniert mit dem Sanitätsbetrieb, eigene Verträge, die wir allein mit dem Assessorat nach nationalen Regeln vereinbaren. Wir unterstehen sicher nicht dem Angestelltenvertrag und Wünschen eines Krankenpflegers“.
    Bossio erklärt gegenüber den Dolomiten zudem, dass sich seine Gewerkschaft FIMMG bereits an die Anwälte gewandt habe, um sich zu informieren, ob Pflegekoordinator Gruber wegen übler Nachrede angezeigt werden könne.
    Die Botschaft ist klar: Wer es wagt die Götter in Weiß zu kritisieren, der wird öffentlich mit einer Strafanzeige bedroht.

  • Die Realität

    Dabei ist die Realität weit schlimmer, als es der Brixner Pflegekoordinator dargestellt hat. 
    Es gibt in Südtirol sicher viele Hausärzte und -ärztinnen, die ihre Arbeit mustergültig erfüllen. Doch es gibt auch genügend Hausärzte, die weder den Vertrag mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb einhalten noch sich an die Dienstleistungscharta einhalten, die sie damit unterzeichnet haben. Das Problem dabei: Es gibt im Sanitätsbetrieb niemand, der kontrolliert oder die augenscheinlichsten Verstöße gegen diese Vertragsbestimmungen sanktioniert. Die Hausärzte tun, was sie wollen.

     

    „Wie es in der Südtiroler Wirklichkeit ausschaut, kann ich Ihnen am Bespiel meines Hausarztes anschaulich machen.“

     

    Wie es in der Südtiroler Wirklichkeit ausschaut, kann ich Ihnen am Bespiel meines Hausarztes anschaulich machen. Es handelt sich um einen Südtiroler Arzt in einer Landgemeinde. Wenn sie ihn als Patienten auf seiner offiziellen Praxisnummer anrufen, erhalten sie diese Botschaft.

  • Rufen Sie die erste Nummer an, dann landen sie bei dem Unternehmen 3SMB. Es handelt sich um ein Callcenter in San Piero a Sieve bei Florenz, das professionell Sekretariatsdienste für Ärzte anbietet. Dort müssen Sie dann zuerst den Namen des Arztes angeben und dann jenen des Patienten. Das Callcenter vermittelt mir dann den Termin bei meinem Hausarzt, der 2.000 Meter von meinem Wohnsitz seine Praxis hat. Terminvereinbarungen mit dem Arzt sind ausschließlich so gestattet. Wer direkt in die Praxis geht, wird weggeschickt.
    Der Vertrag meines Arztes mit dem Sanitätsbetrieb und auch die Dienstcharta sehen zwar vor, dass er „Sekretariatskräfte hat, welche die Büro- und Verwaltungsarbeit in der Praxis erledigen“. Doch es steht weder geschrieben, dass sie physisch in der Praxis anwesend sein, noch, dass sie zweisprachig sein müssen.

  • Augenscheinliche Verstöße

    Am Beispiel meines Hausarztes wird aber auch deutlich, dass niemand im Sanitätsbetrieb kontrolliert, ob die Hausärzte, das einhalten, was in ihrem Vertrag als Freiberufler steht. Denn selbst die grundlegendsten Parameter werden völlig augenscheinlich nicht eingehalten.
    So steht im Dienstvertrag und auch in der Dienstcharta;

    Die Dienstzeit des Arztes für Allgemeinmedizin erstreckt sich von 8.00 bis 20.00 Uhr an Werktagen und von 8.00 Uhr bis 10.00 Uhr an Vorfeiertagen unter der Woche. Sie besteht in Ambulatoriumstätigkeit, Hausbesuchen und telefonischer Erreichbarkeit.“

    Mein Hausarzt hat seine Praxis dreimal in der Woche von 12 bis 15 Uhr und zweimal von 12 bis 15.30 Uhr geöffnet. 
    Rufen Sie ihn auf der angegeben Nummer außerhalb dieser Zeiten an, landen sie beim oben hörbaren Anrufbeantworter. (Der aufgezeichnete Anruf erfolgte um 10.58 Uhr am Mittwoch, den 17. April 2024). Dort wird zwar die Handynummer des Arztes angegeben, doch das ist genau jene, die Sie gerade gewählt haben. 

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    „Es gibt im Sanitätsbetrieb niemand, der kontrolliert oder die augenscheinlichsten Verstöße gegen diese Vertragsbestimmungen sanktioniert. Die Hausärzte tun, was sie wollen.“

     

    Zudem ist er – laut eigener Aussage – nur zwischen 18 und 20 Uhr und „nur in dringenden Fällen“ erreichbar. Auch diese Einschränkung verstöß gegen die Dienstcharta.
    Ob ein Arzt Hausbesuche macht? Wer weiß das schon. Denn auch das kontrolliert – wie die Erreichbarkeit – niemand.
    All das zeigt, dass das, was der Brixner Pflegekoordinator Franz Gruber gesagt hat, nicht nur stimmt, sondern es in Wirklichkeit noch weit schlimmer ist.
    Dass die Hausärzte-Vertreter vor diesem Hintergrund auch noch mit Anzeigen drohen, macht deutlich mit welcher Arroganz manche in diesem Beruf operieren.
    Die Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb sollen endlich die vorgeschrieben Kontrollen durchführen, ob die Hausärzte auch das einhalten, für das sie bezahlt werden.
    Dann wird man ein blaues Wunder erleben.