Zu viel des Schutzes?
Toblachs Bürgermeister Guido Bocher ist als Mann des Ausgleichs bekannt. „Ich glaube der Naturschutz kann nur im Konsens mit der Bevölkerung funktionieren“, sagt er. „Man muss sich von beiden Seiten begegnen.“ Anlass für eine solche Begegnung: Die Naturparks und Biotope des Landes. Rund ein Fünftel der Südtiroler Landesfläche steht unter dem Schutz der Natura-2000-Bestimmungen. 35 der 40 ausgewiesenen Gebiete sind seit einem Beschuss der Landesregierung in dieser Woche als „Besondere Schutzgebiete“ ausgewiesen; die restlichen innerhalb des Nationalparks Stilfserjoch werden bis Ende des Jahres folgen. Ein Volltreffer für eine Provinz, die sich als Naturparadis vermarktet, könnte man meinen. Doch nicht nur die Gülle-Diskussion des vergangenen Jahres macht deutlich, dass Naturschutz nicht von allen Bevölkerungsschichten gutgeheißen wird. Widergespiegelt wird dies auch von den negativen Gutachten, die zahlreiche der betroffenen Gemeinden im Laufe des Frühjahrs zu den Entwicklungs- und Erhaltungsmaßnahmen abgaben, die von der Landesverwaltung im Rahmen des Umwandlungsverfahrens vorgelegt worden waren.
„Wir hatten das Gefühl, wenn nun noch einmal ein Schutz und noch mehr Sanktionen kommen, kann bald überhaupt nichts mehr gemacht werden“, begründet der Bürgermeister von Villnöss Peter Pernthaler das einstimmige Votum für ein negatives Gutachten seines Gemeinderats zu den Vorschlägen. Dort pochte man auf eine Ausklammerung der Mähwiesen aus dem Schutzgebiet und stieß sich laut Perthaler auch an den Drainage- und Planierungsverboten für Bergbauern. Arbeiten muss man schon noch können, ist nicht nur seine Forderung. „Wenn unsere Bauern die Wiesen nicht mehr mähen und pflegen können, ist dies auch touristisch gesehen ein Aspekt“, sagt der Villnösser Bürgermeister. „Der Gast, der zu uns kommt, möchte eine intakte Naturlandschaft sehen, und deshalb unterstützen wir die Bauern, damit sie wirtschaften können.“
Alles beim Alten?
Sieht man sich den Beschluss an, den die Landesregierung in dieser Woche hinsichtlich Natura-2000-Gebiete getroffen hat, ist der Grund zur Aufregung schwer nachvollziehbar. Da wurde am Ende eines halbjährigen Verfahrens der sperrige Ausdruck „Gebiete gemeinschaftlicher Bedeutung“ durch „Besondere Schutzgebiete“ ersetzt. An den Grenzen der Gebiete änderten sich dadurch allerdings genauso wenig wie an den geschützten Lebensräumen und Arten, die zur Ausweisung als Natura-2000-Gebiet geführt hatten. Ja, selbst die spezifischen Entwicklungs- und Erhaltungsmaßnahmen, die den einzelnen Gemeinden im Frühjahr zur Begutachtung vorgelegt worden waren, sind nichts anderes als eine Zusammenfassung der bereits genehmigten Managementpläne für Naturparks und den in den Unterschutzstellungsdekreten von Biotopen angeführten Maßnahmen, wie der Koordinator für die Natura-2000-Gebiete Joachim Mulser vom Landesamt für Landschaftökologie unterstreicht. Ein von Brüssel vorgegebenes Procedere, dessen Umsetzung eine wichtige Voraussetzung für den weiteren Bezug von Landschaftsprämien ist – und bei dem Italien und damit auch Südtirol schon grob in Verzug war. Eine reine Formalität, bekamen die Bürgermeister und Gemeindepolitiker bereits bei einer Informationsveranstaltung zum Auftakt des Verfahrens im vergangenen Jänner zu hören. Insgesamt eine langweile Verwaltungsgeschichte, suggerierte auch die Meldung des Landespresseamtes am vergangenen Dienstag.
Negative Gutachten
Bei so manchem Gemeindepolitiker hatte sie allerdings einen gegenteiligen Effekt. „Es ist einfach nur mehr zu staunen, mit welcher Leichtigkeit es die Landesregierung schafft, hier eine Decke des Wohlgefallens und Zuspruchs darüber zu breiten“, lästert der Toblacher Gemeindereferent und SVP-Ortsobmann Christian Plitzner. Gemeinsam mit seinem Ausschusskollegen Christian Furtschegger von der Bügerbewegung Gemeinsam-Insieme hatte er bereits im April im Toblacher Gemeinderat die Vorlage für ein negatives Gutachten zum Vorschlag der Landesverwaltung eingebracht. Bis auf eine Enthaltung stimmte der gesamte Toblacher Gemeinderat zu. Bürgermeister Bocher ist zwar offensichtlich bemüht, nicht zu polemisieren. „Den Grundgedanken des Unesco-Weltkulturerbes und der Naturparke teilen wir natürlich absolut“, unterstreicht er. „Doch es geht hier um Details, wir haben viele Einwände von Privaten und Bauern erhalten.“
Fast jede der revoltierenden Gemeinden hat ihre eigenen Details. Auffallend oft wird in den negativen Gutachten Bezug auf die Stellungnahme des Ortsbauernrates genommen. Doch es sind nicht nur die Bauern, die auf der Seiser Alm um die Gülleausbringung oder in Villnöss um ihre Mähwiesen kämpfen. In Toblach geht es auch um einen Schotterabbaubetrieb im Naturpark, um dessen Erhalt das gesamte Dorf seit Jahren kämpft. „Bei uns ziehen bei dem Thema Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk an einem Strang“, sagt Gemeindereferent Christian Furtschegger. Was die sonst oft zankenden Wirtschaftszweige eine: das Misstrauen gegenüber den Verordnungen von oben, aus Brüssel, aus Rom, aus Bozen. Und die „Abneigung gegenüber einem ideologisch verbämten Naturschutz“, wie es Furtschegger beschreibt. Bereits Anfang der Achtziger Jahre, in der Ära Magnago, sei der Samen für das heutige Misstrauen gesät worden. Damals habe man in einer Nacht- und Nebel-Aktion ein Schutzgebiet ausgewiesen, und damit auch einige fix zugesagte Betriebszuweisungen durchkreuzt. „Wir wehren uns gegen eine Art von Unterschutzstellung, die den Menschen am liebsten aus den Naturparken aussperren möchte“, polemisiert der Toblacher Gemeindereferent.
Seit Eröffnung des Verfahrens im Jänner haben die beteiligten Landesämter die Gemeindevertreter in einer großen Informationsveranstaltung und vielen kleinen Beratungen über die Weiterentwicklung der Natura-2000-Gebiete informiert. Vor allem im Amt für Naturparke hat man viel Energie in die Vermittlungsarbeit gesteckt, unterstreicht Natura-2000 Koordinator Joachim Mulser. „Natürlich kann man nicht jeden einzelnen Bauern informieren, aber wir haben stark auf die Gemeindevertreter gesetzt“, sagt er. Noch vor zwei Wochen wurde die Umwandlung der Natura-2000-Gebiete von der zuständigen Kommission genehmigt. Anwesend waren auch viele der beteiligten Bürgermeister wie Guido Bocher. „Man hat bei den Abstimmungen gut die Dynamik nachverfolgen können“, erzählt Joachim Musler. „Einige Bürgermeister meinten zwar, sie wären nun prinzipiell schon einverstanden, aber sie müssten trotzdem dagegen stimmen, um ihrem Gemeinderat nicht untreu zu werden.“ Ähnlich verhielte sich die Situation in den Gemeinderäten, argumentiert der Natura-2000-Koordinator. Was machen politische Vertreter, wenn der Ortsbauernrat beklagt, dass die Bauern viel zu wenig in die Entscheidungen eingebunden werden oder andere Verbände wettern, dass dem Gerede von der reinen Formalie ohnehin nicht zu glauben sei?
Schatzer: „Nur von Brüssel und Rom abzuschreiben, ist einfach zu wenig“
Auch die Dynamik mag ihre Rolle in der kommunalen Front gegen die Naturschutz-Auflagen haben. Noch weit größer sind es jedoch die bisherigen Erfahrungen der Gemeindeverwaltungen, unterstreicht Gemeindenverbandspräsident Andreas Schatzer. Bei ihm trudeln regelmäßig Beschwerden von Gemeinden ein, die sich über aufwändige Genehmigungsverfahren in den Schutzgebieten beschweren, sagt er. „Erst kürzlich hat mir ein Bürgermeister erzählt, dass es bis zu neun verschiedene Genehmigungen vom Land braucht, wenn man in einem Natura-2000-Gebiet etwas machen möchte.“ Ein untragbarer Zustand, findet der Gemeindenverbandspräsident. „Natürlich sollten wir unsere Natur grundsätzlich schützen“, meint er. „Aber wenn der Aufwand zu groß wird, weil alles so kompliziert und bürokratisch ist, kommt ein Frust hinein, und dann machen viele nicht mehr mit.“
Doch was kann das Land tun, wenn die Spielregeln für die Natura-2000-Gebiete in Brüssel vorgebeben und von Rom eingefordert werden? „Es könnte zum Beispiel versuchen, nicht päpstlicher als der Past zu sein und auch in dieser Angelegenheit zu versuchen, unsere autonomen Spielräume so gut wie möglich auszunutzen“, antwortet Schatzer. Er sieht bei den Schutzbestimmungen durchaus ungenutzte Spielräume von Seiten der Landesverwaltung. „Nur von Brüssel und Rom abzuschreiben, ist in dem Fall einfach zu wenig“, so das harte Urteil des Gemeindenverbandspräsidenten.
In vielen Gemeinden wird er für solche Ansagen Applaus bekommen. In der ladinischen Gemeinde Wengen sieht Bürgermeister Angelo Miribung die Dinge dagegen ein wenig anders. „Natürlich kann man nicht alles verbieten, wir müssen uns schließlich entwickeln können“, findet zwar auch er. Dies ist seiner Einschätzung nach aber mit den gegebenen Regeln sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Tourismus möglich. Denn so wie sich Wanderer auf Schutzhütten stärken könnten, könnten Bauern genauso nach bestimmten Regeln düngen. Und die Regeln, findet der Wengener Bürgermeister, brauche man unbedingt. „Wir werben schließlich für die Schönheit dieser Gebiete“, findet er, „dann soll es auch klare Vorgaben geben, wie wir sie schützen.“