Chronicle | Stava

Drama um Stava

Wunden heilen, Erinnerungen bleiben. Graziano Lucchi: "Wir haben gelernt, mit der Trauer zu leben"

30 Jahre ist es nun her, seit gewaltige Schlammmassen den Ort Stava verwüsteten. Die Wunden an der Oberfläche sind verheilt, doch die Schreckensbilder des Unglücks hallen immer noch nach.

Was ist passiert?

Am 19. Juli 1985 brach um 12.22 Uhr der Damm eines Klärbeckens, das sich oberhalb des Dorfes befand. Daraufhin raste eine Schlammlawine mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h in das Tal. Es folgte eine erschütternde Druckwelle, die Bäume und Dächer in die Luft schleuderte, Brücken zum Einsturz brachte und ganze Häuser zerstörte. Alles, was im Weg stand wurde durch Wasser, Sand und Gebäudeteilen niedergewalzt. Die Opferzahl: 268 Menschenleben. Darunter bleiben 13 bis heute noch verschollen.

Über 19.000 Mann beteiligten sich an den Bergungs- und Aufräumarbeiten. Darunter auch die Bozner Berufsfeuerwehr, sowie viele Männer aus den Freiwilligen Feuerwehren Südtirols.   

Die Ursache

Eine der schlimmsten Industrie-Katastrophen Italiens: Verursacht durch menschliches Versagen.

Am Pestavel wurde bereits ab dem Mittelalter Bergbau betrieben. Ab dem Zweiten Weltkrieg beförderte man dort Fluorit. Um es zu waschen, hatte die Bergwerksgesellschaft 2 Dämme errichtet. Über 20 Jahre waren diese nicht auf ihre Stabilität geprüft worden. Zudem waren bei der Errichtung gravierende bautechnische Fehler begangen worden. Diese Becken wurden im Laufe der Jahrzehnte immer größer gebaut, ohne Rücksicht auf eine sichere Statik – mit dünnen Wänden, defekten Drainagerohren und einem Böschungswinkel von über 40°. Schließlich brach der Damm.

"In Stava ist eine der schlimmsten Industrie-Katastrophen Italiens passiert. Verursacht wurde sie durch menschliches Versagen", erklärte Graziano Lucchi, Präsident der Fondazione Stava 1985. "Heute kennen wir die Ursachen - und wir wissen, wer dafür verantwortlich war."

Die Verurteilten

Ganz unangekündigt kam die Lawine wohl nicht– die Dämme waren schon 1975 als instabil und unsicher eingestuft worden. Aber wie so oft ging der Gewinn über die Sicherheit und die Behörden schliefen. Im Nachhinein wurden 10 Personen der Minengesellschaft wegen fahrlässiger Tötung vom Trientner Landesgericht verurteilt. Die Prozesse waren teilweise erst 1999 abgeschlossen.

Gedenkinitiative

Jeder Mensch ist verantwortlich für sein Handeln.

Am Mittwoch, den 16. Juli kamen Geologen aus ganz Italien in Cavalese zusammen. Sie diskutierten über effiziente Vorbeugungsmaßnahmen. Am Tag darauf besichtigten sie die Orte des Desasters.

„Wir wollen der 286 Opfer von Stava gedenken, gleichzeitig auch ihren Familien und den Überlebenden, die seit Jahren mit ihrem Schmerz leben müssen, unsere Nähe und unser Mitgefühl signalisieren“, beteuerte Vittorio D´Oriano, Vizepräsident des nationalen Rats der italiensichen Geologen.

"Wir haben gelernt, mit der Trauer zu leben", meinte Lucchi. "Wir haben es sogar geschafft, aus dieser Tragödie etwas Positives zu schaffen - ein Kompetenzzentrum, in dem Geologen, Ingenieure und Umweltforscher zusammen arbeiten."

Jedes Jahr kämen zahlreiche internationale Wissenschaftler, um Messungen vorzunehmen. Durch die Erkenntnisse von Stava wolle man weitere derartige Katastrophen verhindern. Darüber hinaus sei die Gedenkstätte mit dazugehörigem Dokumentationszentrum ein Mahnmal.

Zudem brachte die Geologin Daria Dovera ein Buch heraus. Sie nahm als Expertin der Nebenklage am Prozess gegen die Verantwortlichen des Unglücks teil. Der Titel ihres Werks lautet „Stava – Incultura, imperizia, negligenza, imprudenza“ (Stava – Unbildung, Unerfahrenheit, Fahrlässigkeit, Unvorsicht) und enthält viele neue Informationen über die Missstände, die zur Tragödie geführt haben. Die Autorin erklärt darin, wie es zum Unglück kommen konnte, damit sich so etwas nicht wiederholt.

„Dieses Buch ist der neuen Generation von Ingenieuren und Geologen in der Hoffnung gewidmet, dass sie lernen, Nein zu sagen, wenn man Nein sagen muss und sich somit an die Pflicht zur Berufsethik halten“, sagt D´Oriano.

Außerdem hat die amerikanische Reihe “seconds from disaster” eine dramatische Dokumentation über das Ereignis gedreht.

 

https://www.youtube.com/watch?v=CCKRGCogZfU&hd=1

 

"Unsere Botschaft lautet: Jeder Mensch ist verantwortlich für sein Handeln", so Graziano Lucchi.