SEL-Skandal: Die Bombe wird weitergereicht
Der SEL-Skandal ist in Wahlkampfzeiten so ziemlich das letzte, das die Landesregierung aufgewärmt haben will. Unter diesen Vorzeichen ist auch die Versenkung des Abschlussberichtes der SEL-Untersuchungsausschusses zu sehen, dessen bewertender Teil von Ausschussmitglied Elmar Pichler Rolle gekappt wurde. Um die Farce nicht auf die Spitze zu trieben, verzichtete Ausschussvorsitzende Elena Artioli am Dienstag im Landtag kurzerhand auf die Verlesung des verbleibenden Rumpf-Berichtes, der allein organisatorische Details zu den Arbeiten enthält. Dass die weit heikleren Punkten der Energie-Saga dann im Plenum dennoch in den drei Minderheitenberichten der Landtagsabgeordneten Riccardo dello Sbarba (Grüne), Thomas Egger (Wir Südtiroler) und Andreas Pöder (Union) zur Sprache kamen, ist laut Artioli kein Ersatz: „Denn hier muss der größte Skandal der Geschichte Südtirols in Wortmeldungen von jeweils zehn Minuten abgehandelt werden“, kritisierte sie.
Für Unions-Abgeordneten Andreas Pöder stellt diese „Notlösung“ die einzige Möglichkeit dar, dem Auftrag des Landtags zumindest in eingeschränkter Weise Genüge zu tun. Doch: „Ein solcher Bericht hätte klarerweise ein ganz anderes politisches Gewicht, wenn eine politische Mehrheit dahinter stehen würde“, meint er. Wie wenig Interesse diese politische Mehrheit an den Vorkommnissen rund um die SEL zu haben scheint, postete der Union-Abgeordnete bereits am Vormittag auf Facebook – mit einem Foto von der Regierungsbank, auf der Energielandesrat Florian Mussner als einziger Vertreter der SVP zu sehen ist. „Zumindest so zu tun, als würde sie zuhören, könnten sie schon“, meinte er. Sein Antrag auf eine Änderung der Geschäftsordnung in Sachen Untersuchungskommissionen wurde in der Landtagsdebatte am Dienstag auch vom Freiheitlichen Spitzenkandidaten Pius Leitner geteilt: „Denn solange der Fraktionsvorsitzende der SVP am Ende doch alles entscheiden kann, wird bei solchen Untersuchungskommissionen am Ende nie etwas herauskommen“, sagte Leitner.
„Sie haben gewusst, was sie tun“
Andreas Pöder arbeitete in seinem Bericht noch einmal die Rolle der Landesregierung im SEL-Skandal heraus. Diese haben einerseits beim mittlerweile gerichtlich nachgewiesenem Konzessionsbetrug ihre Kontrollpflicht vernachlässigt. „Vor allem aber hat sie die fraglichen Konzessionen trotz mehrmaliger Warnungen genehmigt“, sagt Pöder, „und zwar nachdem man die Landesräte Tommasini und Repetto gebeten hat, die Sitzung zu verlassen statt dagegen zu stimmen“. Für den Unions-Abgeordneten liegt damit sowohl hinsichtlich der politischen wie auch der verwaltungsrechtlichen Verantwortung ein völliges Versagen der Landesregierung vor. „Denn sie hat ein System unterstützt, das vom Gericht mittlerweile für illegal befunden wurde“, sagt er. Und wie auch die Arbeiten in der Untersuchungskommission gezeigt hätten: „Sie haben gewusst, was sie tun, und sind nicht blind in die Sache gestolpert.“
Zweifel an der Rolle Durnwalders
Thomas Egger, der das Thema SEL zuerst als Abgeordneter der Freiheitlichen und nun mit seiner Liste „Wir Südtiroler“ verfolgt hat, konzentrierte sich dagegen vor allem auf die Rolle der Treuhandgesellschaften. Er unterstrich am Dienstag, dass der Begriff SEL-Skandal der Realität nicht gerecht würde,. „Denn tatsächlich haben wir zwei SEL-Skandale: Einerseits den Betrug bei der Vergabe von Großwasserkonzessionen und andererseits den Fall Stein an Stein, mit dem die SEL-Spitze ganz offensichtlich in die eigene Tasche wirtschaften wollte.“ In diesem zweiten SEL-Skandal stellt Egger noch einmal die Rolle von Landeshauptmann Luis Durnwalder zur Debatte. Die drei konkreten Indizien, die laut dem Landtagsabgeordnetem Zweifel an dessen Rolle aufkommen lassen: Durnwalders Aussage, dass er von Franz Pircher von einer Zahlung in Höhe von 20.000 Euro für die Stein an Stein erfahren habe, ohne dies der Staatsanwaltschaft zu melden; das berühmte Mittagessen im Mittewalder Gasthof Thaler und schließlich der anonyme „Bitt-Zettel", mit dem um eine "möglichst positive Erledigung" des Erweiterungsprojektes gebeten wurde. „Hier kann sich der Landeshauptmann trotz seines fantastischen Gedächtnisses nicht mehr erinnern, wie er in sein Büro kam“, so Egger, der für sich die Aufdeckung dieses „zweiten SEL-Skandals“ in Anspruch nimmt. „Denn die Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Rispoli sind nach meiner Eingabe im November 2010 gestartet.“
Unlauteres Handeln zum Schaden der Gemeinden
Eine umfangreiche Bilanz über drei Legislaturen, in denen es der Landesregierung „vor allem darum ging, der SEL um jeden Preis möglichst viele Konzessionen zuzuschanzen“, zieht schließlich der Grüne Riccardo dello Sbarba im mit 20 Seiten umfangreichsten Minderheitenbericht. Neben dem Übergehen der zuständigen Techniker, der unzureichenden gesetzlichen Regelung oder dem Vertrag mit der ENEL, in dem die Landesregierung sich gewissermaßen verpflichtet, die Konzessionen für die SEL zu gewinnen, zielt seine Kritik vor allem auf die unverantwortliche Handhabung der Doppelrolle des Landes als Schiedsrichter und Mitspieler. „Während eine solche schwierige Rolle mit maximaler Vorsicht ausgeübt werden müsste, hat sie die Landesregierung nur in ihrem eigenen Interesse genutzt.“
Die Ausrede, dass es bei den gefälschten Konzessionen darum ging, die heimische Wasserkraft vor privaten Interessenten zu schützen, lässt dello Sbarba keineswegs gelten: Denn bei insgesamt zwölf Kraftwerken, bei denen die Unterlagen der SEL nachgebessert wurden, habe es nur für das Kraftwerk von St. Anton einen privaten Mitbewerber gegeben. „Das heißt in elf Fällen hat die Landesregierung direkt zum Schaden der Gemeinden gehandelt“, sagt dello Sabarba.
Seine Bilanz des heutigen Nachmittags? Die Landesregierung weigere sich weiterhin standhaft, die Verantwortung für das SEL-Schlammassel und damit auch für seine Lösung zu übernehmen. Sprich: „Sie übergibt der kommenden Regierung ein wahrlich explosives Erbe, das bereits in den ersten Monaten der neuen Legislatur explodieren könnte.“ Immerhin würden derzeit allein zwischen Etschwerken, Eisackwerke und ENEL Schadenersatzforderungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro in Raum stehen. „Und im Dezember muss das Wassermagistrat über Streitfälle entscheiden, in denen das Landesgericht Bozen bereits klare Schuldsprüche getroffen hat“, so dello Sbarba. Ein wahrlich respektables Erbe – für jemanden, der sich die politische Erneuerung auf die Fahnen geschrieben hat.