Kastelruther Spatzen
Foto: Koch Music
Society | Fritto Misto

Spatzenpost

Belächelt, beleidigt, belehrt: Die Kastelruther Spatzen kassieren im eigenen Land vor allem Spott. Dabei haben wir allen Grund, stolz auf sie zu sein.

Das war’s jetzt also mit dem 35. Spatzenfest, das wir milde lächelnd vorübergehen haben lassen: Ach, diese Kastelruther Spatzen, drollige Wesen, weil ernst nehmen kann man sie ja nicht. Dafür sind wir viel zu cool und zu edgy und überhaupt zu abgebrüht, dass wir diesen Schunkelscheiß und alle Leute, die drauf stehen, nicht mit verächtlichem Blick und Kotzgeräuschen unkommentiert lassen können. Die Spatzen dissen, das gehört zum guten Ton unter uns vermeintlichen Bildungsbürgern, die sind ja sowas von hinterwäldlerisch, peinlich, unter aller Kanone einfach: deshalb unbedingt mit einer solchen verbal auf sie schießen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Ich aber sage, Obacht! Nobody puts Spatzen in the corner! Sie mögen keine dirty dancer sein, aber bringt ihr Spötter*innen erst mal ansatzweise auf die Reihe, was die Spatzen seit Jahrzehnten tadellos abziehen. Wer ihnen da das Wasser reichen kann, der werfe die erste Goldene Schallplatte. Denn Norby und Konsorten sind…

1. …grundsolide

 

Wer braucht Gangsta-Style-Gehabe, Bling Bling, Exzesse und weiße Pülverchen? Die Spatzen sicher nicht. Seit 1975 (!), damals endete der Vietnamkrieg und Silvius Magnago war unser Landeshauptmann, stehen die Mannen in Gilet und Lederbuchse auf der Bühne. Sie sind, ganz ironiefrei, die Südtiroler Ausgabe der Rolling Stones, mit dem Unterschied, dass sie ganz bescheiden ohne den ganzen Superstar-Wirbel auskommen. Stall ausmisten statt Hotelzimmer verwüsten, Silage statt Groupie-Gelage, Stadeltüren statt Allüren. Die Kastelruther sind Stars zum Angreifen, deren einzige Diva--Forderungen in all den Jahren wohl darin bestanden haben, ihre Garderobe dem wachsenden Bauchumfang anzupassen. Die sie übrigens unverwechselbar macht: Was AC/DC die Schuluniform, ist den Spatzen das Kastelruther Giletl.  

Was AC/DC die Schuluniform, ist den Spatzen das Kastelruther Gilet.

Andere haben’s nötig den starken Mann zu markieren, versenken Luxuslimousinen im Hotelpool , wedeln sich vor ihren Fans einen von der Palme oder bespringen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Nicht so die Spatzen, deren größter Exzess vermutlich darin besteht, dass dem Norby einmal aus Versehen auf der Bühne der Mikrofonständer umgekugelt ist. Grundsolide wie ein Maibaum: Dafür gebührt den Spatzen R.E.S.P.E.C.T.

2. …megaerfolgreich

 

An die 60.000 Besucher*innen beim heurigen, 35. (!) Spatzenfest (und es war gewiss nicht das letzte), massig verkaufte Tonträger (illegaler Download ist beim doch eher im oberen Bereich anzusiedelnden Durchschnittsalter ihrer Fans eher unwahrscheinlich), Auszeichnungen zum Focken fiatern, darunter 13 Echos, zehn Kronen der Volksmusik, zig Goldene Schallplatten und solche aus Platin, und und und. Dass sie den Grand Prix der Volksmusik nur einmal gewonnen haben, kann ich mir nur damit erklären, dass sie wahrscheinlich auch nur einmal daran teilgenommen haben und dann gebannt wurden, damit die anderen auch mal was gewinnen dürfen. Der Siegertitel war übrigens „Tränen passen nicht zu dir“, von dem meine Tochter ja halsstarrig behauptet, es hieße ganz gemein „Deine Augen passen nicht zu dir… aber wo war ich? Ach ja, Erfolg: Wie viele Tonnen an Liebesbriefen der Kastelruther Poster seit 1975 anschleppen durfte, darüber kann man nur spekulieren. Die Spatzen sind sicher zu anständig, um darüber Auskunft zu geben, aber ich hätte ein paar Fragen: Gibt es einen extra Spatzen-Poster? Schicken weibliche Spatzen-Fans BHs oder Trachtentüchlein? Werden die Briefe archiviert und eventuell irgendwann der Nachwelt zugänglich gemacht? Kann sich das Land da mal bitte einschalten? Die Spatzen sind nämlich mindestens ebenso ein kulturelles Aushängeschild unseres Landes wie Zoderer und Co. Ehre, wem Ehre gebührt.

3. …fleißige Bienchen mit sozialem Gespür

 

Wikipedia bringt’s ganz nüchtern: „Nach Veröffentlichung der ersten CD, die bereits vergoldet wurde, erschien in der Folgezeit fast jährlich eine neue CD, die sich fast ausnahmslos zu Bestsellern entwickelten.“ Hallo?! Jedes Jahr eine CD, jedes Jahr ein Bestseller? Das heißt, die Spatzen sind nicht nur erfolgreich, sie sind es am laufenden Band. Mit ihrer Produktivität sind sie die Joyce Carol Oates der volkstümlichen Musik. Scrollt man durch ihre Diskografie, stellt sich heraus, dass in manchen Jahren sogar zwei Alben auf den Markt kamen. Wen juckt es, dass die meisten angeblich von Studiomusikern eingespielt wurden? Sicher nicht die Fans. Genauso wenig stoßen sich diese dran, dass die Spatzen, anders als Dylan, wohl nie den Literatur-Nobelpreis bekommen werden. Ja und? Lästerer, die ihr ihnen Kitsch, Klischee und Kindergartenprosa vorwerft, habt ihr keine Laster? Muss man sich immer auf Niveau amüsieren? Vielleicht sind mehr Supermarktkassiererinnen als Germanistikprofessoren auf dem Spatzenfest zugegen (was allerdings erst bewiesen werden muss), aber macht es das zu einer minderwertigen Veranstaltung? Die einen entspannen sich vom gnadenlosen Alltag im Schaumbad, die anderen im Suff, und die Spatzenfans können eben bei Heiler-Welt-Idylle abschalten. Tut keinem weh, ist ökologischer als das Erste und gesünder als das Zweite.

Auch der Spatzenfest-Besuch des Mannes, dessen Namen ich nicht nennen mag, lässt sich nur mit dem güldenen Herz und einer gehörigen Portion Unbedarftheit auf Seiten der Spatzen erklären.

Zudem nehmen sich die Spatzen durchaus auch kritischer Themen an: Der Spielsucht in „Schatten über’m Rosenhof“ („Doch er will das Schicksal versuchen und setzt seinen Hof nun aufs Spiel“: Südtiroler*Innen, I am looking at you und euren 900 Millionen Euro), der Tierquälerei in „Gefunden auf der Autobahn“ („Wenn der kleine Hund auch nicht weinen kann,
vergessen kann er nicht“), die Vereinsamung von Senior*Innen und Alkoholismus in „Feuervogel flieg“ („Er sprach von gold'nen Zeiten, als seine Frau noch bei ihm war. Und er trank den Wein aus Flaschen, denn dann war er ihr so nah“). Indie-Bands jammern in ihren Songs darüber, dass morgens die Frühstücksflocken alle waren, und alle finden es cool. Die Spatzen weisen auf gesellschaftliche Missstände hin und sollen peinlich sein? Also bitte. Außerdem trägt eines ihrer Lieder den Titel „Alexandra, komm heim“.  Wie könnte ich mein Herz davor verschließen? Apropos Herz: Auch der Spatzenfest-Besuch des Mannes, dessen Namen ich nicht nennen mag, lässt sich nur mit dem güldenen Herz und einer gehörigen Portion Unbedarftheit auf Seiten der Spatzen erklären. Gewiss beabsichtigten sie nichts anderes, als den „infame“ mithilfe ihrer Lieder einer Katharsis zu unterziehen. Ob’s an der Sprachbarriere scheiterte oder am Nichtvorhandensein eines läuterungsfähigen Organs, wir werden es nie erfahren. Aber ein Song darüber könnte doch rausschauen? „Herz aus Stein (Matteo lass sein)“.

Ich könnte noch ellenlang weiter darüber referieren, wieso wir mit stolzgeschwellter Brust und statt schmerzverzerrtem Gesicht über die Spatzen reden sollten, nur eines noch: Sind die bäuerlichen Schmusebären mit glockenheller Stimme, zur Schau gestellter Verletzlichkeit und offenherzigen Gefühlsbekundungen nicht auch der perfekte Gegenentwurf zur toxischen Männlichkeit? Ist vielleicht gerade das der Grund, wieso sie für viele Männer (und Frauen) ein Reizthema sind? Denkt mal darüber nach, Freunde, bevor ihr das nächste Mal die Spatzen in die Surgrube zieht.

 

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Sebastian Felderer Fri, 10/18/2019 - 06:38

Schatten überm Rosenhof? Keine Surgrube, liebe Frau Kienzl, aber Verhältnismäßigkeit. Die Spatzen haben ihr Nest, dort wo sie es gebaut haben, in der volkstümlichen Szene. Sie haben ihr Nest gut gebaut, weil es so lange Zeit überdauert hat. Auch der Zusammenhalt über die vielen Jahre ist keine Selbstverständlichkeit. Ihr Fan-Laden läuft und ihre Schallplatten verkaufen sich wie warme Semmel. Aber sie haben um sich herum einen Palast aufgebaut, der bei näherem Hinschauen sofort abbröckeln würde. Diese Show ist typisch für das Ambiente und diese Art von Musik. Die Spatzen sind sicher im Ausland mehr begehrt als in Südtirol. Für mich ein Grund dafür war die Plamage mit Salvini. Das hätte nicht sein müssen. Das ist für mich der Schatten über'm Rosenhof.

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Elisabeth Garber Fri, 10/18/2019 - 09:15

Ja es ist es ist wahr, was da so geschrieben steht. Die paar mal, in denen ich mir den gesamten Text eines rrrrollenden Spatzenliedes gegeben habe, kullerten mir die Tränen vor Lachen aus den Augen. Allein für dieses selige Gefühl(!) schulde ich den Spatzen , insbesonders dem N. Rier, großen Dank!
PS: Er ist mir übrigens wirklich sympathisch, der Norbert Rier.

Fri, 10/18/2019 - 09:15 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Fri, 10/18/2019 - 17:38

Super zweideutig! Gelungene Ironie! Aber beide Deutungen stimmen.
Sicher gehören sie zur Kultur, wie sich alle Künstler als Kulturschaffende bezeichnen. Man wird sie halt zur Volkskultur zählen und Kastelruth wird wahrscheinlich für sie ein Spatzen-Volkskultur-Museum errichten. Die Besucher/innen sind ihnen sicher! (Falls sie nicht gestorben sind.....)

Fri, 10/18/2019 - 17:38 Permalink
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Erwin Demichiel Mon, 10/21/2019 - 14:26

Ja, so ist es, Frau Kienzl. Und es bricht mir schier das Herz, wenn ich mit ansehen muss, wie der andere unserer Musikexportschlager - der Burger Philipp und seine freiwillig wilden Burschen - sich abrackern und dauergrimmig sein müssen, um nicht vergessen zu werden …. Gerechtigkeit schaut anders aus.

Mon, 10/21/2019 - 14:26 Permalink