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Politics | Eiertreter*in

Schulstart

Für die konstituierende Sitzung der neuen Legislaturperiode wird gerne die Metapher des ersten Schultages bemüht. Das ärgert mich total. Die Journaille hat keine Ahnung was in einer Schulklasse so abgeht - ich schon.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Schultafel mit Rechenaufgabe
Foto: Pexels
  • „Erste Klasse“ ist ein Euphemismus. In meiner Klasse ist nichts erstklassig. „Brennpunktklasse“ trifft es schon eher: Gewalttätige Kinder, problematisches Familienumfeld, integrationsunwillige Eltern, ausgebrannte Lehrkräfte - vor allem letzteres kann ich von mir bestätigen. Mehr sozialer Brennpunkt als meine Schüler geht gar nicht. Aber Brennpunktklasse oder -schule verstößt vermutlich gegen die Political Correctness des derzeitigen woken, durchgegenderten Sprachverständnisses: Raumpflegerin statt Putzfrau, Halbkreisingenieur statt Straßenkehrer, Tellerkosmetiker statt (nüchterner, pakistanischer) Abspüler.
    Nun ist es so, dass meine Schüler allenfalls zu ebendiesen Berufen taugen werden - wenn überhaupt zu irgendetwas. Muss ich jetzt leider einfach so sagen. Ich meine, dass mit meiner Klasse etwas nicht stimmt, sieht man schon an der Schülerzahl. Deren 35 drängen sich in den Bänken und wen wundert's: Die mit Menstruationshintergrund sind deutlich in der Minderheit. Gut so. Müllfahrer oder Handlanger am Bau - richtige Männer - werden in Zeiten des Fachkräftemangels händeringend gesucht. 
    Zum größten Teil Repetenten; Sitzenbleiber hätten wir vor PC dazu gesagt. Leider sind die Neuzugänge auch nicht die Krönung der Schöpfung. Was? Migrantenanteil? Vernachlässigbar. Wirklich! Nur ein einziger: Grenzpendler aus Innsbruck. Würde man auf den ersten Blick auch gar nicht als Ausländer erkennen. Nur am Namen: Sven. So heißt kein Doiger. Ein etwas rabiater Bursche. Erfüllt als Erwachsener sicher mal das Klischee des gewaltbereiten Ausländers. Abschiebekandidat - so zumindest sehe ich das kommen.
    Um ehrlich zu sein, rekrutiert sich meine Klasse nicht aus Pakistani oder Tunesiern, sondern tatsächlich aus dem Bodensatz der lokalen Gesellschaft. Und ich weiß genau welches Wort meine Kollegin für Englisch mit ihrem piekfeinen Oxford-Akzent dafür verwenden würde: „homegrown“, also „selbst angebaut“.
    Da ist zum Beispiel die Miriam. Hängt meistens mit dem Sven rum. Nicht die hellste Kerze auf der Torte und darum ein „Mopfer“. Ist ein Kofferwort für „Mobbing-Opfer“. Zwischen „Gammelfleischparty“, „NPC“ und „Digga“, lernt man als Lehrer so einiges an Jugendwörtern. Zur Gammelfleischparty gehören übrigens auch Sie dazu, deren Jugendlichkeit längst das Verfallsdatum überschritten hat. Zu „Digga“ schreibt Giga.de: „Der Slangbegriff stammt vom Wort „Dicker“ ab. Durch die im Hamburger Raum gängige Aussprache des „ck“ als doppeltes „g“ bürgerte sich der Begriff „Digger“ ein. „Dicker“ bezieht sich dabei nicht auf die Körperform, sondern ist eine positiv gemeinte Anredeform für Freunde, Kumpels und Kollegen.“ Trifft es perfekt. Meine Schüler können streiten wie die Karner - spätestens beim Verteilen der Kohle aus der Klassenkasse sind sie alle dicke Tinte. Ich schweife ab.

    „NPC“ würde zusätzlich für die Miriam passen: Ein „NPC“ ist bei Videospielen das Akronym für „Non-Player-Character“. Damit sind Spielfiguren gemeint, die man nicht selber steuert. In der Jugendsprache meint man mit NPC, Menschen, die einfach in der Gegend herumstehen und passiv am Geschehen teilnehmen. Die Miriam wird meistens durch eine Verballhornung ihres Schreibnamens getriezt: Atz-Dummerle. Nein, nicht schön. Kinder sind grausam.
    Eine der Neuen hat alle Qualitäten zum „Mopfer“ Nummer Zwei zu werden: Renate. Hat keine einzige der zwölf Pflichtimpfungen. Deren Eltern sind hundertpro irgendwelche Schwurbler, die ihre Gitsch lieber Röteln bekommen lassen, als ihr eine „Genspritze mit experimentellen Substanzen“ zu verpassen. Gestern habe ich im Pausenhof im Vorbeigehen einen potenziellen Übernamen aufgeschnappt: „Bio-Renate - die einzige Ungespritzte im Land“. Sagte wer? Die Bauernfraktion; klaro! Sollte sich herausstellen, dass sie magari noch Zöliakie hat oder Laktoseintoleranz, sehe ich schwarz.
    Sieht man schön beim Harald. Unser Veganer. Wird von den anderen Buabn immer „Grüne Lusche“ gerufen. In ihrer Vorstellung ernährt er sich nur von Salat und höchstens noch Zucchini und Gurken. Wüssten meine Schüler um die Farbkonnotation in der Politik, würden sich die Bauernkinder wundern, denn der Harald kommt aus einem total konservativen Haushalt und ist schon mit einigen grenzwertigen Sagern aufgefallen. Da ist nix grün. Die Farbpalette bewegt sich eher von Schwarz Richtung Dunkelbraun. Schnappt der sicher Zuhause am Küchentisch auf.

  • Zweite Reihe

    Was haben wir dann noch? O Gott! Der Jürgen (Jürgen ist kein Südtiroler Name). Rapper. Klassenkasper. Maulheld - aber keine Eier in der Hose, um es salopp auszudrücken. Den könnte ich mir später mal gut als Skilehrer vorstellen. So in der Preisklasse: „Ein Skilehrer ist wie ein Krokodil - große Klappe, kleines Hirn und die meiste Kraft im Schwanz.“ Oder: „Was ist der Unterschied zwischen Gott und einem Skilehrer? - Gott denkt nicht, dass er ein Skilehrer sei.“ Ach, der Neanderlan - so wird sein Familienname entstellt. Immer einen kessen Spruch auf der Lippe; auffallen um jeden Preis; aber sonst ein echtes Soufflé - einmal anpiksen und es fällt in sich zusammen.
    Sein Buddy ist übrigens der Lassie. Nein, nein, ist kein Hund. Also doch, erinnert in seinem Auftreten oft an einen Pitbull. Lassen Sie mich erklären. Schreibt sich „Colli“ und was machen die Dumpfbacken aus meiner Klasse daraus? „Collie“, genau. Und wer ist der berühmteste Langhaarcollie ever? Die „Lassie“, der Köter von Timmy. Ich würde sogar so weit gehen, dass meine Generation lange geglaubt hat, „Lassie“ sei der Name dieser Hunderasse: „Schau Mama, die haben einen „Lassie“. Hmmm … wäre doch ein Thema für die nächste Unterrichtsstunde: Wie der Mensch auf den Hund gekommen ist. Da könnten wir dann diskutieren, ob die Redensart mehr als positiv, scherzhafte Bezeichnung für einen Hundefreund ist oder sich der Deutungsansatz doch mehr in Richtung eines Sozialabstiegs verschiebt. Sie müssen nämlich wissen, meine Klasse diskutiert für ihr Leben gern. Am Ende kommt zwar selten etwas Gescheites heraus, aber Hauptsache „es isch grett“. Mal sehen, wie das jetzt mit dem Jürgen läuft - der Performer wird zu allem und jedem einen blöden Spruch vom Stapel lassen. Damit hätte ich jetzt zwei von der Sorte in meiner Klasse, die von sich glauben, sie seien die Beschtigschten. Der andere hockt schon seit 20 Jahren da. Der ist ein perfekter Fleck. Den wirst du nicht mehr los. Und der ist echt „streng“. (Erlauben Sie mir diesen dialektalen Ausdruck. Ich versichere ihnen, ansonsten ist die Verkehrssprache an der Schule Standarddeutsch - anders ist Kommunikation zwischen einem Staudenvinschger und einer Psairerin oder Pustererin auch nicht zu stemmen).
    Was er alles macht und was er alles kann und wenn du ihn fragst, sind alle anderen Arschlöcher. Dabei ist seine hervorragendste Eigenschaft, dass er mit Vorliebe das Taschengeld der anderen Kinder ausgibt. Nächste Woche haben wir Klassensprecherwahl. Wirst sehen, der lässt sich von der Schülerzeitung prognostizieren, dass er als Beschtigster und Geilster und Ober-King aus dieser Wahl hervorgeht. Dabei ist er nur gut Freund mit dem Michl und dem Toni aus dem D-Zug, die das Projekt „Schülerzeitung“ zum Missfallen der ganzen Schule ohne jegliche Pluralität betreuen. Auf der nächsten Lehrerkonferenz werde ich mal vorschlagen, dass wir es in andere Hände geben.

    Tippe bei der Klassensprecherwahl auf eine Wiederwahl vom Arno - unser Streber. Ein echter Secchione, wie die Ital-Prof immer anmerkt. Den musst du immer feste loben, sonst ist er beleidigt. Die ganze Familie macht immer auf „achtsam“ und „nachhaltig“, aber der Sprössling wird jeden Tag mit dem Elterntaxi gebracht. Das nenne ich Kohärenz. Und noch etwas - allein die Tatsache, dass er auf eigenen Wunsch die Klasse wiederholt, um in allen Fächern positiv zu sein, sagt einiges über den Intelligenzquotienten meines Haufens.
    Der Klassendurchschnitt wird auch durch die Walschen aus Boazn/Schangai und Leiferer Lega-Stheniker gedrückt. Ich versteh das nicht, ich versteh das wirklich nicht. Wie kannst du als Elternteil so verantwortungslos sein und dein Kind auf eine deutschsprachige Schule schicken, obwohl es allenfalls ein paar Brocken radebrechen kann? Dazu lernunwillig - meiner Einschätzung nach alles gestandene Faschisten und Crucchihasser in spe. Mit denen darf ich mich jetzt die nächsten fünf Jahre abplagen.

  • Dritte Reihe

    „Plagen“ ist das richtige Wort. 35 Plagen hocken da vor mir. Darunter auch die Ulli und der Andreas. Sie aus einem Alkoholikerhaushalt und bei ihm werd ich überhaupt nicht schlau - jedenfalls schrammen deren Zuhause auch am rechten Rand entlang, wie ein Großteil meiner Schüler. Beide Ausländerfeinde vor dem Herrn. Wunder mich schon die ganze Zeit, dass die den Sven noch nicht gepluit haben.
    Ok. Könnte jetzt den Eindruck erwecken, da säßen nur Nazis und Schläger vor mir. Mitnichten. Meine Klasse könnte als perfektes Abbild der Südtiroler Gesellschaft durchgehen. Sind auch Ökofreaks darunter in deren Pausenboxen nur Biobrot aus Regiokorn zu finden ist. „Selbstgebacken“, wie bei der Sprechstunde stolz betont wird, wenn man die Eltern darauf anspricht. Auf der anderen Seite Klimawandelleugner. Noch was mit k: Kindergartenabbrecher. Von zweien weiß ich sogar, dass sie mal Arzt werden wollen. Deren Pläne lassen mich jedes Mal schmunzeln, wenn ich mir im digitalen Register ihren Notendurchschnitt anschaue. Eine Berufsgruppe ist dieses Mal allerdings nicht vertreten: Hotelierskinder. Gut so, bekommen mit Abstand das meiste Taschengeld, jammern aber ständig rum, wie schlecht es ihnen geht. Wünschte ich hätte auch keine Bauernkinder mehr zu unterrichten. Im Verhältnis zur Bevölkerung sind seltsamerweise überproportional viele in meiner Klasse. Die nölen auch ständig rum, der Papa könnte seinen Hof nur durch Nebenerwerb halten und die Mama habe wegen dem UaB keine Zeit ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen. Bla, bla, bla. Nach deren Selbstverständnis sollte ich mich ausschließlich um sie kümmern: Zärscht I; nor long, long, long nicht; nor a Mischthaufen; nor der Rescht.
    Aus dem Naturkundebuch habe ich vorbeugend die Seiten über das Großraubwild herausgerissen. Überlege, ob ich's mit den Pamper, Ziegen und Kälber ebenso mache. Eine weitere Stunde über Wolf und Bär überleb ich nicht. So ändern sich die Dinge. Zu meiner Zeit hat man die Seiten über den menschlichen Körper zusammengeklebt. Ist heute überfällig. Klicken Sie einfach auf den Link zu Sexting und Sie verstehen, was ich meine. Apropos. Während des Unterrichts herrscht Handy-Verbot und der Getränkeautomat im Flur ist zeituhrgesteuert, damit ich die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Schüler habe. Denn das Ziel ist: Alle werden versetzt! In meiner Klasse will ich keinen mehr von denen wiedersehen. So einen Haufen Ignoranten, Totalversager, Hochstapler, Cagacazzi hält kein Lehrkörper auf die Dauer aus.

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Josef Fulterer Thu, 11/23/2023 - 05:26

Gehässig ist da nichts.
Es schafft nur eine gewisse Erleiterung, wenn "m a n" über die dröge + auf das Selbst-Wohl bedachte Sessel-wärmende + an der eigenen Würde fast erstickende Obrigkeit, ein Bisschen Dampf ablassen kann.

Thu, 11/23/2023 - 05:26 Permalink