Kein anderes grosses EU-Land hat so viele Regierungskrisen hinter sich wie Italien. In den 75 Jahren ihres Bestehens hat die Republik 66 Regierungen und 29 Ministerpräsidenten verheizt. Dass man sich sogar mitten in einer Pandemie mit über 8000 Toten eine Regierungskrise leistet, löst in anderen Ländern nur verständnisloses Kopfschütteln aus. Etwa in Deutschland, wo vor wenigen Tagen die Nachfolge der scheidenden Bundeskanzlerin in absoluter Transparenz und ohne Polemiken gelöst wurde. Turins Tageszeitung La Stampa: "Sconcerta l'abisso che separa l'ordine tedesco dal caos italiano. Lassù tutto è regola condivisa, rispetto reciproco, mutua legittimazione." Was derzeit passiert, definiert La Stampa als "crisi più irresponsabile della storia repubblicana". Den Egomanen, der sie ausgelöst hat, interessieren solche Wertungen nicht. Matteo Renzi führte bei der EU-Wahl 2014 seine damalige Partei PD mit fast 41 Prozent zum grössten Wahlerfolg ihrer Geschichte. Seine jetzige Italia Viva liegt in Umfragen bei kümmerlichen 2,5 Prozent. In den letzten Tagen sind ihr drei weitere Parlamentarier abhanden gekommen.
Renzi wird am Dienstag im Senat aus vollen Rohren auf Premier Conte schiessen, der am Montag die Absurdität der Krise aufs Korn nahm: "Stiamo affranti da questa crisi in una fase cruciale, quando una pandemia epocale è ancora in pieno corso. I nostri cittadini stanno affrontando difficoltà, stanno piangendo i morti e confesso di avvertire un certo disagio - non sono qui per annunciare misure di sostegno, ma per spiegare una crisi in cui i stesso non ravviso alcun plausibile fondamento."
Eine Frage hat Conte in seiner Rede nur gestreift und nicht klar beantwortet: Trägt er sich mit der Idee, eine eigene Partei zu gründen ? Sein Hinweis auf die Notwendigkeit einer "alleanza antisovranista e europeista" lässt darauf schliessen. Einer legt sich sofort quer: Matteo Renzi :"Non ce la faranno senza Italia viva", unkt der Ex-Premier, der angekündigt hat, sich beim Votum über seinen Erzfeind Conte der Stimme zu enthalten. Eine zynische Geste.
Renzi wird am morgigen Dienstag sprechen. Am Ausgang des Vertrauensvotums gibt es kaum Zweifel. Mit dieser Rückendeckung kann Conte seine Arbeit als Regierungschef fortsetzen. Bis ihm der nächste ein Bein stellt.