Südtirol hält zusammen
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„Einer von fünf Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen hat laut eigener Aussage sozial schädliche Verhaltensweisen im Laufe des letzten Jahres erlebt“, erklärt Arbeitspsychologe Tobias Hölbling vom AFI. Dazu zählt Verhalten wie Beleidigungen, Bedrohungen, unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche bis hin zu Mobbing und Gewalt.
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Neben den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen (20 % der Befragten) sind jene in der Hotellerie und Gastronomie (9 %) am zweithäufigsten aggressiven Verhaltensweisen von Führungskräften, Teamkollegen und Patientinnen ausgesetzt. Je häufiger Beschäftigte bei der Ausführung ihrer Arbeit mit Menschen zu tun haben, desto höher das Risiko, dass es zu Reibungen kommt.
Grundsätzlich halten Südtirols Beschäftigte am Arbeitsplatz aber zusammen: Gemessen auf einer Skala von 0 (schlecht) bis 100 (ausgezeichnet) sorgt die gegenseitige Unterstützung für 76 Punkte, der EU-Durchschnitt liegt hier bei 77 Punkten. „Es ist ein solides Ergebnis und gilt für alle Branchen gleichermaßen“, erklärt Hölbling.
Vor allem bei den Handwerkern hilft man sich gern: Mit 84 von 100 Punkten führt diese Berufsgruppe die Wertung an. Am Bau oder in der Werkstatt wären viele Arbeitsschritte ohne Teamfähigkeit auch gar nicht möglich. Ebenso im Dienstleistungssektor, mit 79 Punkten an zweiter Stelle, und in akademischen Berufen, mit 77 Punkten, ist Zusammenarbeit notwendig.
Dass das Betriebsklima stimmt, ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein entscheidendes Kriterium für Bewerberinnen und Bewerber. „Wir sind in Südtirol mit wirtschaftsstarken und deutschsprachigen Nachbarländern umgeben. Für das Personal im Gesundheits- und Sozialwesen besteht also keinerlei Hürde, um ins nahe Ausland zu wechseln. Die bereits große Personalnot könnte zunehmen“, erklärt der Arbeitspsychologe vom AFI.
Dass es gerade in diesem Sektor häufig zu Aggressionen komme, sei allerdings keine Überraschung, betont AFI-Präsident Andreas Dorigoni: „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen in schlechtem gesundheitlichem Zustand nicht so freundlich sind als wie ein Kunde in einem Geschäft beim Einkaufen. Meistens macht es die Dosis aus. Wenn ich dem viele Jahre ausgesetzt bin, dann kann ich den Beruf vielleicht irgendwann nicht mehr ausüben.“
Diese Erkenntnis sei innerhalb des Sektors für die Beschäftigten aber nichts Neues. „Angestellte ab einem gewissen Dienstalter werden deshalb nicht nur von Arbeitsschichten befreit, sondern vielleicht auch in Bereiche versetzt, wo sie weniger mit akut kranken Patienten zu tun haben“, so Dorigoni.
Die ErhebungDie Umfrage des Arbeitsförderungsinstituts Südtirols (AFI) fand im Rahmen der alle fünf Jahre europaweit stattfindenden Erhebung der Arbeitsbedingungen von Eurofound (EWCS) statt. Die Euregio und ihre Partnerinstitute Arbeiterkammer Tirol, AFI und Agenzia del lavoro haben im Trentino 2022 eine umfassende Befragung mit 4.500 Interviews (1.500 pro Landesteil) durchgeführt. Auf dieser Datengrundlage hat das AFI den „Branchenbericht: Sozialer Umgang am Arbeitsplatz in Südtirol“ erstellt.
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