Wohnen wie Wien?

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SALTO: Herr Kössl, Sie beschäftigen sich mit dem Thema leistbares und gemeinnütziges Wohnen. Können Sie uns erklären, was unter „gemeinnützigem Wohnen“ in Österreich zu verstehen ist und worin es sich vom privaten Wohnungsmarkt unterscheidet?
Gerald Kössl: In Österreich gibt es derzeit 176 gemeinnützige Bauvereinigungen, die rund ein Viertel des gesamten Wohnungsbestands in Österreich verwalten. Etwa 17 Prozent der Haushalte leben in gemeinnützigen Mietwohnungen, rund 7 Prozent in Eigentumswohnungen, die von gemeinnützigen Bauträgern verwaltet werden. Charakteristisch für den gemeinnützigen Wohnbau ist der sogenannte verdichtete Wohnbau, also mehrgeschoßige Gebäude oder Reihenhäuser. Was ihn besonders macht, ist das Kostendeckungsprinzip: Die Miete orientiert sich nicht an Marktpreisen, sondern ausschließlich an den tatsächlichen Errichtungs- und Finanzierungskosten der Immobilie. Es gibt keine Gewinnmaximierung, keine Spekulation, die Kalkulation erfolgt objektbezogen. Die Mieterinnen und Mieter zahlen über 30 bis 40 Jahre hinweg die aufgenommenen Darlehen zurück. Gleichzeitig fließt ein Teil der Miete in Rücklagen für Erhaltung und Verbesserungen, um langfristig Sanierungen abzusichern, ohne dass es zu sprunghaften Mietsteigerungen kommt. Nach Rückzahlung der Kredite fällt die Miete auf die sogenannte Grundmiete, derzeit bei rund zwei Euro pro Quadratmeter. Diese Überschüsse dürfen nicht ausgeschüttet, sondern müssen zweckgebunden reinvestiert werden, ein wesentlicher Unterschied zum privaten Wohnungsmarkt.
„Die Stadt selbst tritt als Akteur auf, um Bodenspekulation zu verhindern und leistbares Bauen zu ermöglichen.“
Auch der gemeinnützige Wohnbau ist von konjunkturellen Einflüssen nicht ganz ausgenommen, aber weniger stark betroffen als der gewerbliche. Während dort Investitionen rasch einbrechen, bleibt der Rückgang moderater. Im Durchschnitt entstehen jährlich rund 15.000 bis 16.000 neue Wohnungen durch gemeinnützige Bauträger. Zudem ist der gemeinnützige Wohnbau nicht nur auf urbane Zentren beschränkt. Gerade in ländlichen und kleinstädtischen Regionen erfüllt er eine wichtige Funktion, insbesondere in Gegenden, in denen früher vor allem Einfamilienhäuser errichtet wurden. Aufgrund steigender Baukosten und ökologischer Überlegungen wird diese Bauweise zunehmend in Frage gestellt und gemeinnützige Modelle bieten hier eine attraktive und leistbare Alternative; sei es zur Miete oder im geförderten Eigentum.
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Zur Person
Gerald Kössl arbeitet beim Verband der gemeinnützigen Bauvereinigungen in Österreich, konkret im wohnwirtschaftlichen Referat. Er ist ursprünglich Soziologe und arbeitet an der Schnittstelle von Forschung und Interessensvertretung. Dort geht es um Zahlen, Daten und Analysen rund um den sozialen Wohnbau sowie mit internationalen Debatten in diesem Bereich. Dabei interessiert er sich vor allem für die Verbindung von tagesaktuellen Herausforderungen mit langfristigen Perspektiven. Durch Datenanalysen, Publikationen und Beiträge trägt er aktiv zu einer faktenbasierten Debatte bei, national wie international.
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Gerald Kössl: Ist seit 2019 beim Verband der gemeinnützigen Bauvereinigungen in Österreich tätig, nachdem er fünfJahre beim englischen Verband der Gemeinnützigen in London gearbeitet hat. Foto: Gerald Kössl
Wer steckt eigentlich hinter diesen Bauvereinigungen?
Die Trägerstruktur ist sehr unterschiedlich. Manche gemeinnützige Bauvereinigungen sind Genossenschaften, bei denen die Mitglieder gleichzeitig Eigentümer sind, andere wiederum sind Kapitalgesellschaften im Eigentum etwa von Gewerkschaften oder Versicherungen. Dennoch gilt für alle der gleiche gesetzliche Rahmen, was Mietberechnung und die Einhaltung des Gemeinnützigkeitsprinzips betrifft. Für Mieterinnen und Mieter macht es daher im Alltag kaum einen Unterschied, ob sie in einer genossenschaftlich oder kapitalgesellschaftlich organisierten Wohnung leben.
Wie hat sich das System des gemeinnützigen Wohnens in Österreich entwickelt und warum gilt Wien heute als Vorzeigemodell?
Die Wurzeln des gemeinnützigen Wohnbaus reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Schon damals schlossen sich Menschen in Genossenschaften zusammen, um gemeinsam Baumaterialien zu beschaffen und Wohnraum zu kreieren. Diese ursprüngliche Idee des solidarischen Bauens ist der Kern dessen, was später gesetzlich als „Wohnungsgemeinnützigkeit“ verankert wurde. In den Wohnbauförderungsgesetzen wurde erstmals festgelegt, dass gemeinnützige Bauträger ihre Gewinne nur sehr eingeschränkt verwenden dürfen und in den Wohnbau reinvestieren müssen. Die große Gründungswelle kam in der Nachkriegszeit, als private Mittel fehlten und der Staat massiv förderte. Viele Bauvereinigungen wurden damals gegründet, haben sich seither stark entwickelt und verfügen heute über solides Eigenkapital, das sie in neue Projekte reinvestieren können.
In Wien besteht eine lange Tradition des kommunalen Wohnbaus, wodurch der Anteil an leistbarem Wohnraum besonders hoch ist. Rund 40 Prozent der Wiener Haushalte leben entweder in einer gemeinnützigen oder einer kommunalen Wohnung. Die Stadt Wien war immer stark im sozialen Wohnbau engagiert, insbesondere durch den „Roten Wien“ Wohnbau ab den 1920er-Jahren. In den letzten Jahren hat die Stadt selbst jedoch relativ wenig neu gebaut, der Großteil der neuen Projekte stammt daher eher von gemeinnützigen Bauträgern.
Trotz des starken gemeinnützigen Sektors steigen die Mietpreise. Was fehlt, damit Wohnen für alle leistbar ist?
In Wien zeigt sich deutlich, dass der private Mietmarkt stark unter Druck geraten ist. Vor allem Altbauten, die vor 1945 errichtet wurden, verlieren zunehmend ihren regulierten Mietstatus, etwa durch Renovierungen steigen dort die Mieten. Das private Segment bietet oft gute Qualität, aber zu einem höheren Preis. Zudem sind befristete Mietverträge dort fast die Regel. Dadurch steigt der Andrang auf den gemeinnützigen und kommunalen Wohnbau. Dort sind die Mieten nicht nur günstiger, sondern auch deutlich sicherer mit unbefristeten Mietverträgen und langfristiger Wohnperspektive. Ein weiterer institutioneller Baustein in Wien ist die Grundstücksbevorratung: Die Stadt selbst tritt als Akteur auf, um Bodenspekulation zu verhindern und leistbares Bauen zu ermöglichen. Gerade bei steigenden Grundstückspreisen ist das essenziell, vor allem, wenn diese Preissteigerungen durch öffentliche Infrastruktur wie U-Bahn-Ausbau ausgelöst werden.
Was sind die größten Hürden für Menschen, die neu in Wien ankommen und eine leistbare Wohnung suchen?
Der Einstieg in den privaten Mietmarkt ist für viele die erste Anlaufstelle, da dort das Angebot kurzfristiger verfügbar ist. Im gemeinnützigen Bereich hingegen gibt es Vormerksysteme. Man kann sich teils zwei bis drei Jahre vor Projektstart bewerben. Das ist für Menschen, die kurzfristig eine Wohnung suchen, wenig hilfreich. Der Zugang zu gemeinnützigen Wohnbau ist nicht für alle gleich offen. In Wien zum Beispiel vergibt die Stadt rund die Hälfte der gemeinnützigen Neubauwohnungen selbst, dafür gelten bestimmte Voraussetzungen wie eine Meldezeitraum von zwei Jahren. Diese Regeln wurden zuletzt gelockert, um auch Menschen mit instabilen Wohnverhältnissen besseren Zugang zu ermöglichen. Die andere Hälfte wird jedoch direkt von gemeinnützigen Bauträgern vergeben und dort kann man unter Umständen auch schneller eine Wohnung finden.
„Leistbares Wohnen ist kein Kostenfaktor, sondern eine Voraussetzung für ein stabiles gesellschaftliches Gefüge.“
Zudem gibt es eine besondere Hürde: die Finanzierungsbeiträge. Beim Einzug in eine gemeinnützige Wohnung muss ein einmaliger Beitrag geleistet werden, oft 100 bis 200 Euro pro Quadratmeter. Bei einer 100-m²-Wohnung können das bis zu 20.000 Euro sein. Zwar wird dieser Betrag beim Auszug zurückgezahlt, aber man muss ihn zunächst aufbringen können Je nach Projekt kann dieser Beitrag höher oder niedriger ausfallen, je nachdem, wie viel Eigenkapital von den Bauträgern eingesetzt wird und wie die Stadt fördert.
Gibt es ein Auswahlsystem bei der Vergabe oder hat jede:r Zugang zu gemeinnützigen Wohnbau?
In gewissem Maß gibt es Zugangskriterien und ein Auswahlsystem. Die Vergabe orientiert sich an verschiedenen Bedarfskriterien, etwa bei Fällen von Gewalt, Überbelag oder dringendem Wohnbedarf. Diese Kriterien sind transparent definiert und einsehbar. Wer bestimmte Bedingungen erfüllt, hat dadurch bessere Chancen auf eine gemeinnützige oder kommunale Wohnung. Ein Teil des gemeinnützigen Wohnungsmarktes wird über diese Bedarfsvergaben gesteuert, das bedeutet, Wohnungen, die an die Unternehmen zurückfallen, werden nach festgelegten Bedarfskriterien erneut vergeben. Es wurde dafür eine eigene Suchmaschinen eingerichtet, die Angebote der insgesamt rund 180 gemeinnützigen Unternehmen bündeln. Wer eine Wohnung sucht, muss die Wohnbauförderungsrichtlinien einhalten, dazu gehört unter anderem eine Einkommensgrenze, wobei etwa 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung anspruchsberechtigt sind. In der Praxis gilt oft ein Reihungssystem. Wer letztlich den Zuschlag bekommt, hängt davon ab, wie gut die Voraussetzungen mit den Kriterien der Vergabe übereinstimmen.
Wird das Modell langfristig tragfähig bleiben und was macht den Sektor so besonders?
Der gemeinnützige Sektor in Österreich ist in vielerlei Hinsicht besonders: Er bietet langfristige Sicherheit, oft vergleichbar mit dem Eigentum. Mietverhältnisse sind dauerhaft, Wohnungen können unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb der Familie weitergegeben werden und Einkommensgrenzen beim Erstbezug sorgen für eine breite soziale Mischung. In Wien ergänzt der kommunale Wohnbau diesen Effekt, in anderen Bundesländern übernimmt das der gemeinnützige Sektor allein. Es handelt sich um keinen temporären Wohnungsmarkt, sondern um ein stabiles System, das langfristig für Wohnsicherheit sorgt. Gerade in Zeiten steigender Preise ist das ein unschätzbarer Beitrag zur sozialen Stabilität und könnte auch in anderen Ländern als Vorbild dienen.
Was könnte Südtirol vom österreichischen Modell konkret lernen und was wären die ersten Schritte?
Es ist wichtig zu verstehen, dass kein System eins zu eins einfach übertragen werden kann. Man kann sich inspirieren lassen und wichtiges lernen, aber muss individuell vorgehen. Ein wesentlicher Punkt ist die Langfristigkeit. In Deutschland etwa fallen Wohnungen nach Ablauf der Förderzeit häufig wieder aus dem System heraus und werden zu Marktmieten weitergegeben. In Österreich ist das anders. Dort sinken die Mieten nach der Ausfinanzierung sogar. Nach Ausfinanzierung heben die Gemeinnützigen dann die Grundmiete ein, ein Überschuss der wieder reinvestiert wird. Das ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, denn gemeinnützige Unternehmen können stabil wirtschaften, ohne auf hohe Renditen angewiesen zu sein. Zudem betreiben diese Unternehmen ihre Gebäude langfristig. Das sorgt nicht nur für soziale Durchmischung, sondern auch für eine hohe Qualität im Bestand. Gemeinnützige Wohnungen sind oft besser in Schuss als private Mietwohnungen, weil über Jahrzehnte kontinuierlich investiert wurde. In Österreich haben Genossenschaften eine lange Tradition und eine andere Größenordnung als anderswo. Einige verwalten zwischen 30.000 und 60.000 Wohnungen. Es gibt aber auch kleinere mit 100 bis 200 Einheiten. Dieses breite Spektrum bietet Stabilität und wäre auch für Südtirol ein Modell.
„Gleichzeitig braucht es mehr Wissen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, etwa, wie richtig gelüftet oder geheizt wird.“
Zudem braucht es klare gesetzliche Rahmenbedingungen. Wenn etwa geförderte Wohnungen nach Rückzahlung der Förderung in den Markt übergehen, verliert man langfristig leistbaren Wohnraum. Das sollte verhindert werden.
Wie sehen Sie die Zukunft des gemeinnützigen Wohnbaus, auch im Hinblick auf ökologische Herausforderungen?
Die Zukunft bringt viele Herausforderungen: Klimakrise, Migration, Urbanisierung, soziale Spannungen. Besonders im ländlichen Raum ist die Zersiedelung ein Thema. Viele Einfamilienhäuser sind ökologisch problematisch, gleichzeitig altert die Bevölkerung, junge Menschen ziehen in die Städte. Das schafft Druck auf urbane Räume und stellt Fragen an die Zukunft des Bauens.
Gemeinnützige Bauträger haben hier die Chance, im ländlichen Raum neue, ökologische Modelle zu etablieren und in der Stadt innovative Lösungen für das Leben mit dem Klimawandel zu finden. Klimaanlagen sind keine Lösung. Es braucht kluge Bauweisen, Verschattungen, gute Durchlüftung und eine sinnvolle Nutzung von Innenhöfen. Die energetische Sanierung ist in Österreich weit fortgeschritten. Viele Altbestände im gemeinnützigen Sektor sind bereits thermisch saniert, weitere Maßnahmen sind in Planung. Besonders im Bereich Heizung stehen Umstellungen an, weg von Gas, hin zu Fernwärme oder alternativen Systemen. Gleichzeitig braucht es mehr Wissen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, etwa, wie richtig gelüftet oder geheizt wird. Falsches Verhalten kann Folgen haben und zu Energieverschwendung führen. In Wien gibt es bereits Projekte, die genau dieses Wissen vermitteln, etwa zum Verhalten bei Hitzewellen oder zur klugen Raumnutzung.
Ziel der Langfristigkeit: Dabei muss vor allem auf EU-Ebene einiges passieren, damit die Voraussetzungen für bezahlbaren und fairen Wohnraum auch in anderen Ländern erfüllt werden können. Foto: Gerald KösslWas müsste sich im öffentlichen Diskurs verändern, damit gemeinnütziges Wohnen nicht als „soziales Auffangnetz“, sondern als Modell für gutes Zusammenleben wahrgenommen wird?
Wir stehen im Austausch mit vielen europäischen Initiativen, etwa „Housing Europe“ und bringen dort unsere Erfahrungen ein. Ziel ist es auf EU-Ebene Rahmenbedingungen zu schaffen, die gemeinnützige Strukturen stärken. Es braucht gezielte Mittelvergabe, etwa durch die Europäische Investitionsbank, in nachhaltige, nicht-profitorientierte Akteure.
Es ist wichtig zu verstehen, dass der gemeinnützige Wohnbau nicht nur funktioniert, weil er öffentlich gefördert wird. Er bringt dem Staat finanzielle Einsparungen. Studien, etwa mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut, zeigen, dass Länder mit starkem gemeinnützigem Sektor niedrigere Wohnkosten und weniger sozialen Wohnbedarf im privaten Sektor haben. Das System braucht also keine massiven Subventionen, sondern die richtigen Rahmenbedingungen. Wenn Mieten überhöht sind und Menschen sich das Wohnen nicht mehr leisten können, entstehen große volkswirtschaftliche Schäden, von Verdrängung über Bildungsungleichheit bis hin zu Gesundheitsproblemen. Leistbares Wohnen ist kein Kostenfaktor, sondern eine Voraussetzung für ein stabiles gesellschaftliches Gefüge.
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Ein sehr gut durchdachtes…
Ein sehr gut durchdachtes kluges System, um "das Wohnen zu vernünftigen Bedingungen zu ermöglichen!"
Dafür muss allerdings "das Gesindel der Bauträger, Immobilien-Haye, Bau-Spekulanten, Immobilien-Makler usw. gründlich -t r o c k e n - g e s t e l l t- werden!!!"
ULLI,LIES DAS MAL,AHNUNG…
ULLI,LIES DAS MAL,AHNUNG HAST DU NULL,WÜRDE DIR GUT TUN!