Society | Gastbeitrag

Schafft Freiräume!

Der Meraner „Country Club“ ist ein gelungenes Experiment, wie man einen Ort für Jugendkultur schaffen kann. Doch die Realität sieht in Südtirol aber völlig anders aus.
Country Club 2
Foto: Ost West Club
Nachdem wir mit dem Ost West Club Est Ovest nun seit knapp zwei Wochen, wieder unsere Sommerresidenz bezogen haben und mittlerweile zum dritten Mal in Folge einen Sommer mit vielen Kulturveranstaltungen, in einem von Bäumen und Büschen umsäumten Park inmitten der Passerstadt verbringen dürfen, möchte ich wieder einmal einige Gedanken zum Thema öffentliche Plätze bzw. Jugendkultur generell mit euch teilen. 
Auch wenn der Text sehr lang geworden ist, erscheint mir die aktuelle Diskussion um verschiedene Plätze und Orte in Südtirol wichtig und gleichzeitig eine Problemlage und einen gesellschaftlichen Status Quo zu beschreiben, dessen man sich in der Vergangenheit leider viel zu selten angenommen hat. 
Ich bin jeden Tag aufs Neue beeindruckt, wie sehr dieser ehemals so argwöhnisch betrachtete Ort beim ehemaligen Minigolfgelände mittlerweile bei den Meranerinnen und Meranern Gefallen und Zuspruch findet. Endlich hat die Kurstadt einen Ort inmitten des Zentrums, der regelmäßig von sämtlichen Bevölkerungsschichten frequentiert wird. Gesellschaftlicher Stand, Alter, Religion, Sprache oder Hautfarbe spielen im sogenannten Country Club schlichtweg keine Rolle.
Wo man vor wenigen Jahren nachts vor allem als Frau (aber nicht nur!) noch ein relativ mulmiges Gefühl hatte, wenn man durch oder neben dem Marconi-Park und ehemaligen Minigolfplatz vorbei musste, scheint nun und zumindest von Juni bis September eine Atmosphäre entstanden zu sein, bei der niemand mehr Angst haben muss, unbegleitet diesen Ort zu frequentieren. 
Endlich hat die Kurstadt einen Ort inmitten des Zentrums, der regelmäßig von sämtlichen Bevölkerungsschichten frequentiert wird.
Interessanterweise wird dieser für viele Jahre ungenutzte Platz nun auch immer stärker von Menschen besucht, die ihren Urlaub in Meran und Umgebung verbringen. 
Stellvertretend für die wunderbare Atmosphäre stand vergangene Woche der Samstag, an dem wir gleich drei unterschiedliche Veranstaltungen organisiert hatten. Schon morgens früh um 07.00 Uhr konnte man ohne kompliziertes Aufnahmeverfahren und kostenlos einen Flohmarktstand auf dem Gelände aufbauen. Insgesamt zwölf verschiedene AusstellerInnen hatten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und den ganzen Tag über Kleider, Schallplatten, Bücher und vieles mehr für teils symbolische Preise verkauft.
Über die Mittagszeit hatte dann mit Raffaele Virgadaula ein Meraner Lokalmatador und Urgestein der DJ-Szene in der Passerstadt, Gelegenheit ein über zweistündiges Musikset zu präsentieren. Und kurz nachdem die Flohmarktstände am Abend abgebaut waren, startete dann auch schon ein Live-Konzert mit dem australischen Multi-Funktionskünstler Andy V und dem Bozner Bandleader der bekannten Südtiroler Formation Shanti PowaBertrand J. Risé. Dazu gab es natürlich und den ganzen Tag über kleine Snacks und kühle Getränke. Was kann man sich mehr wünschen, als einen Sommertag in dieser Form in seiner Heimatstadt zu verbringen? 
 
 
Diese besondere Freude und Lust der Menschen, sich im öffentlichen Raum zu begegnen, sich auszutauschen, miteinander zu sprechen, einfach nur zu verweilen, zu tanzen und gute, handgemachte Musik zu genießen, fand an diesem Tag auf eine derart selbstverständliche und lockere Art und Weise Ausdruck, dass man nur mit einem zufriedenen Lächeln auf all das zurückblicken mag, was man dort beobachten, hören und miterleben durften. 
Am vergangenen Samstag sind mir hier vor allem zwei junggebliebe Männer um die 50 aufgefallen, die schon kurz nach 19.00 Uhr bei uns waren und von Anfang an über einen Ort zu staunen schienen, den sie in ihrem wahrscheinlich wohlverdienten Urlaub, vielleicht nur zufällig entdeckt hatten. Hatten sie sich zu Beginn des Konzertes noch relativ zurückhaltend hinter unserer kleinen Tanzfläche platziert und das bunte Treiben noch ein wenig aus der Distanz beobachtet, konnte ich sie nur kurze Zeit später zu den lässigen Dubklängen unserer beiden Musiker inmitten des Publikums ausgelassen ihre Arme und Beine in Schwung bringen sehen. Über zwei Stunden lang ließen sie es sich nicht nehmen, ausgelassen mit Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen zu tanzen. Als das Konzert zu Ende war und der Country Club sich langsam anschickte, die Schotten dicht zu machen, fand ich die zwei Männer in unseren gemütlichen Liegestühlen wieder und sah, wie sie friedlich lächelnd, aber anscheinend ziemlich müde vom vielen Tanzen seelenruhig in der großen Menschenmenge eingeschlafen waren. 
In der Sommerresidenz des Clubs gibt es trotz vieler hunderter verschiedener Menschen keinerlei Probleme, Gewalthandlungen oder sonstige Provokationen. Im Gegenteil. Man kann die entspannte, friedliche Stimmung und lockere Haltung der Menschen regelrecht mit Händen greifen. Dennoch sollte man in all dem Trubel und der positiven Stimmung, die von diesem Ort und den dortigen BesucherInnen ausgeht, eines nicht vergessen: So wunderschön dieser Platz ist, so magisch und besonders die Atmosphäre, und so gut die Laune und heitere Stimmung zwischen den vielen hunderten, ja tausenden Menschen auch sein mag: all diese Umstände sind nicht selbstverständlich.
Die Jugendlichen sollen sich wahrscheinlich damit zufrieden geben, einen Platz zu bespielen der soviel Lässigkeit und Lockerheit versprüht, wie ein Friedhof im Novembernebel. 
Öffentliche Plätze sind in Meran und Südtirol in den vergangenen Jahren immer mehr zu Orten geworden, an denen größere Menschenansammlungen nur gewünscht waren, wenn durch ein bestimmtes marktökonomisches Potential (meistens Feste für Touristen bzw. von der jeweiligen Gemeinde ausgerichtete Veranstaltungen) auch Einnahmen erzielt bzw. im Interesse von Gastgewerbetreibenden nutzbar gemacht werden konnten. Beispielhaft braucht man sich nur die Gestaltung der öffentlichen Plätze anzusehen. Man sieht Beton und Asphalt soweit das Auge reicht. Weder der Meraner Theater-, noch Korn-, noch- Sparkassen-, noch Thermen-, noch Sandplatz sind dafür konzipiert, dass Menschen unter Tags, oder in den Abendstunden auf gemütlichen Bänken verweilen können oder jugendkulturelle Veranstaltungen in adäquater Form ausrichten können. Wer in Meran einen öffentlichen Platz „nutzen“ will, der ist mehr oder weniger dazu gezwungen sich in den Außenbereich einer der Bars zu setzen und etwas zu konsumieren. 
Bezeichnenderweise fand am Freitag Abend ein kleines Schoolsout-Fest auf dem Meraner Sandplatz statt, bei dem die örtlichen Jugendzentren- und Dienste dazu eingeladen hatten, drei Konzerten mit Reggae- und Hip Hop Musik beizuwohnen und gemeinsam das Schulende zu feiern. Die Initiative ist grundsätzlich natürlich lobenswert und wichtig, aber wenn man sich vor Augen hält unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen in der Passerstadt im Sommer Jugendkultur stattfindet, muss man darüber doch sehr staunen. Die Meraner Jugend darf anscheinend nur einen Treffpunkt in der Stadt nutzen, wo die Konzertbühne inmitten von Bartischen, die von Touristen besetzt sind, steht und die Jugendlichen sollen sich wahrscheinlich damit zufrieden geben, einen Platz zu bespielen der soviel Lässigkeit und Lockerheit versprüht, wie ein Friedhof im Novembernebel. 
 
 
Wenn man sich dann weiters vor Augen hält, dass das Emergency Festival in Meran nach dem nicht unbedingt erfolgreichen Jahr 2018, verursacht vor allem durch neue Lizenzverordnungen, welche ein Verbot von Live-Musik an drei aufeinanderfolgenden Tagen festlegten (interessanterweise gibt es im Juli 2019 ein neues Festival auf dem Meraner Pferderennplatz das an vier aufeinanderfolgenden Tagen Live-Musik im Programm hat und sogar unter der Schirmherrschaft der Gemeinde Meran steht), muss man schon die Frage stellen dürfen, wem mit solchen Entscheidungen gedient sein kann?
Das Emergency Festival hat nunmehr über 15 Jahre Festivalorganisation auf dem Buckel und musste in all diesen Jahren und nun mit dem Jahr 2019 zum insgesamt sechsten(!) Mal Location wechseln. In diesem Sommer gibt es das bei vielen Meranerinnen und Meranern eigentlich so beliebte kleine, aber sehr feine Festival überhaupt nur noch in einer sehr abgespeckten Version auf dem Parkplatz des ehemaligen C&C Einkaufszentrums zu erleben. Auch wenn die engagierten OrganisatorInnen sich anscheinend weiterhin nicht entmutigen lassen wollen und nach einer defizitären Veranstaltung im vergangenen Jahr immer noch nicht die Freude am Planen und Organisieren verloren haben, so mutet der Eiertanz, den die öffentliche Verwaltung seit jeher um solche DIY-Veranstaltungen macht, mehr als nur ein wenig bedenklich an. 
Das Emergency Festival hat nunmehr über 15 Jahre Festivalorganisation auf dem Buckel und musste in all diesen Jahren und nun mit dem Jahr 2019 zum insgesamt sechsten(!) Mal Location wechseln.
Wieso gibt es keinen öffentlichen Platz, siehe z.B. den Bahnhofspark oder andere, der dauerhaft für solche Dinge nutzbar gemacht werden kann und wo die entsprechenden Voraussetzungen geschafft werden, an denen man sich nicht mit verärgerten Nachbarn oder übermotivierten Polizeikräften und Lizenzbeamten herumschlagen muss und auf unkomplizierte Art und Weise öffentlichen Raum für seine Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stellt? 
Dass freie Szene und Jugendkultur in Südtirol grundsätzlich einen schweren Stand haben ist natürlich nichts Neues und ein altbekanntes Problem im Land zwischen Brenner und Salurn, aber was vor allem auch am vergangenen Wochenende in Bozen oder Brixen wieder passiert ist, spottet eigentlich jedes weiteren Kommentars.
Wenn man dann gleichzeitig feststellen muss, dass die EntscheidungsträgerInnen in den oberen Etagen bemängeln, warum es einen so großen Fachkräftemangel in vielen unterschiedlichen Berufskategorien (siehe Handwerk oder Gastgewerbe) gibt oder man sich darüber verwundert zeigt, warum es hierzulande einen immer stärker werdenden Brain Drain zu geben scheint und Südtiroler Studierende im Ausland großteils nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wollen, dann ist das Verhindern von Jugendkultur und das Beschränken des öffentlichen (Frei)Raumes natürlich nicht nur der einzig sinnvolle Erklärungszusammenhang der greift, aber durchaus einer der mit dazu beiträgt, dass junge und heranwachsende Menschen schlichtweg keine Lust mehr auf Südtirol haben.
 
 
Ich möchte es abschließend vermeiden mit dem Finger auf einzelne Verantwortliche, Gemeinde- und Landespolitiker zu zeigen, ihr alle wisst ob insgeheim oder offensichtlich, dass ihr mit eurer Verhinderungspolitik bzw. eurem Nicht-Engagement dazu beigetragen habt, dass sich die Situation auch im Jahr 2019 noch so darstellt, wie wir sie leider viel zu oft beobachten müssen.
Freie Kultur, das offene Ausleben und Feiern ist vielleicht kein direktes und unmittelbares menschliches Grundbedürfnis, aber doch ein Wunsch, der vielen Menschen immer noch innezuwohnen scheint. Hier muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.
Freie Kultur und das offene Ausleben und Feiern ist vielleicht kein direktes und unmittelbares menschliches Grundbedürfnis, aber doch ein Wunsch, der vielen Menschen immer noch innezuwohnen scheint. Um diesem Wunsch nachzukommen ist die Politik aber gerade hierzulande mehr denn je und vor allem in den wärmeren Monaten des Jahres dazu aufgefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen und in der Folge Orte zu schaffen, die eine Stadt auch für die hier lebende Bevölkerung wieder lebenswerter und offener machen. Zwei letzte Punkte, die mir in Zusammenhang mit dem Nutzbar-Machen von öffentlichen Räumen und Plätzen in den vergangenen Tagen immer wieder in den Sinn gekommen sind, sind jene rund um die Verhältnisse am Bozner Bahnhofspark und um die Situation in Brixen in Bezug auf das Heller-Projekt und die Nutzbarmachung des Hofburggartens.
Gabriele Di Luca hat vor Kurzem, einen meiner Meinung nach, sehr wichtigen Text über die Situation in der Landeshauptstadt verfasst, der die Lage vor Ort und die Dringlichkeit mit der man sich des Problems dort annehmen sollte, sehr gut beschreibt und den ich hier auch noch einmal wärmstens empfehlen möchte. Auch aus sogennanten „Problemorten“ und "Nicht-Orten" (Marc Augé) kann man öffentliche Räume machen, die wieder an die städtische Bevölkerung zurückgegeben werden, ohne dabei bei den Lösungsstrategien gleich in einen rassistischen und menschenfeindlichen Beißreflex zu verfallen. Man bzw. frau muss es aber zumindest wollen bzw. eine entsprechende Bereitschaft signalisieren, sich solcher Problemstellungen anzunehmen und mit einer gut durchdachten Strategie öffentliche Räume wieder lebenswert und nutzbar zu machen.
Außerdem möchte ich die Brixnerinnen zu ihrem extrem kreativen Engagement beglückwünschen und ihnen meine volle Solidarität ausdrücken. Jede Südtiroler Stadt sollte ihren Country Club haben und öffentlichen Raum wieder und entsprechend als solchen fühl- und erlebbar machen.
„Freiraum“ ist kein geflügeltes Wort das nur und einzig eine bestimmte Örtlichkeit beschreibt, sondern letztlich ein mit einer Lokalität verbundenes Lebensgefühl, das es den Menschen und hier vor allem der hiesigen und ansässigen Bevölkerung ermöglicht, sich in neuen Dingen auszuprobieren und Kulturangebote zu schaffen, die auch abseits eines finanziellen Interesses den entsprechenden Rückhalt bei Politik und Verwaltungsapparat genießen, ohne sich hierbei ständig von Verboten, Maßregelungen und sinnlosen Reglementierungen drangsalieren lassen zu müssen.
 
 

Thomas Kobler ist Politikwissenschaftler, Lehrer, freischaffender Publizist und arbeitet als hauptamtlicher Mitarbeiter des Meraner Kultur- und Kommunikationszentrums ost west club est ovest.