Marillen
Die Aprikosen – Marillen werden sie hierzulande genannt – haben im Vinschgau eine über 100-jährige Geschichte und bis in die 70er Jahre herauf eine nicht unwesentliche wirtschaftliche Bedeutung. Deshalb soll im folgenden Beitrag versucht werden, einige Schwerpunkte über Höhen und Tiefen dieser Kultur in den letzten fünfzig Jahren näher zu beschreiben.
Die Marille ist von ihrer Eigenschaft her eher eine in südlichen Gegenden anzutreffende Obstart. Sie liebt hohe Sonnenwärme, geringe Niederschläge und niedrige durchschnittliche Luftfeuchtigkeit, dauernde Belüftung, lockere, leichte Böden und Schutz vor Spätfrösten. Auf Grund der bekannten besonderen klimatischen Verhältnisse im Vinschgau treffen die genannten günstigen Bedingungen im wesentlichen zu. Die Spätfröste bereiten dem Marillenanbau hier aber schon seit jeher ernste Sorgen. Unregelmäßige Erträge und Alternanz können somit als einige der Gründe für die starke Schrumpfung der Marillenkultur angesehen werden.
Der Nichtfachmann wird sich fragen, wieso die Marillen fast ausschließlich an den Nordhängen zwischen Naturns und Lichtenberg in der Gemeinde Prad zu finden sind. Dafür gibt es aus der Sicht der Praktiker eine einleuchtende Erklärung. Die Marillen setzen beim ersten Temperaturanstieg schneller mit dem Vegetationszyklus ein als andere Obstarten. An den Nordhängen wird diese Entwicklung durch den kälteren Boden und die geringere Sonnenscheindauer im Vorblütenstadium etwas verzögert und somit die Auswirkung der Spätfröste von Ende April bis Mitte Mai eher abgewandt als auf den Südhängen.
Interessant ist auch, dass die Marillen in früheren Jahren fast ausschließlich und teilweise auch heute noch zusammen mit einer sogenannten Unterkultur angebaut werden. Roggen, Hafer, Gerste, Weizen und Buchweizen waren ein ständiger Begleiter der durchwegs extensiv gepflanzten Marillenanlagen. Das Getreide hat ja bis vor nicht allzu vielen Jahren als hofeigenes Nahrungsmittel für Tier und Mensch gedient. Diese Anbauverbindung hatte aber auch noch einen weiteren Grund, nämlich die Wasserknappheit im Frühjahr. Das Getreide wurde zwei-, höchstens dreimal über Boden bewässert. Das reichte vollkommen auch für die Marillen. Das Getreide konnte kurz vor dem Beginn der Marillenernte geschnitten werden. Ab und zu gab es hier witterungsbedingt eine gewisse Überschneidung. Ältere Leute erinnern sich jedoch, dass die ins Stoppelfeld abgefallenen, teils aufgeplatzten Marillen die besten waren. Zunehmend und in den letzten zwanzig Jahren fast ausschließlich wurde als Unterkultur auf Dauerwiese umgestellt. Bezüglich Spätfröste könnte das Wiesfeld eher etwas günstiger sein, weil das „offene Feld“ eine größere Wärmerückstrahlung in der Nacht bewirkt und somit die Reife der Marillen beschleunigt hat. Nach dem Bau der Großberegnungsanlagen mit überbetrieblicher Bedienung derselben wurden die Marillenanlagen notgedrungen bis zum Herbst mitberegnet, womit der Vegetationszyklus durcheinandergebracht wurde. Dies war sicher ein zweiter Grund für den Rückgang des Marillenanbaues.
Bereits 1913 finden wir beim Moarhof in Göflan eine ordnungsgemäß angelegte Marillenanlage. Besonders stark hat sich der Anbau dann nach dem 2. Weltkrieg ausgebreitet. Mit der Schätzung von 200 ha im ganzen Vinschgau in den besten Jahren dürfte man nicht ganz daneben liegen. Der Göflaner Schuttkegel und die Höfe am Schlanderser Nörderberg bis zu den Wiebenhöfen auf ca. 1.100 m ü. d. M. waren die Hauptanbaugebiete. Aber auch von Morter und Laas wurden Marillen angeliefert. Eine verhältnismäßig schöne, in der Produktion ausgeglichene Zeitspanne war von Ende der 50er bis Ende der 60er Jahre. Besonders kritisch waren dann die 70er Jahre, wo nur zwei gute Ernten zu verzeichnen waren. Neben den übrigen Gründen für die Schrumpfung des Marillenanbaues, war dies sicher einer der maßgeblichsten. Es gab aber auch große Unsicherheit bei den geeignetesten Unterlagen und auch bei den Sorten. Stets war hier die Vinschgauer Marille die absolute Hauptsorte. Man liest, dass diese Sorte aus dem Vinschgau stamme und hier wegen der besonderen klimatischen Verhältnisse auch am besten gedeihe. Die Früchte sind groß, einfärbig gelb oder sonnseits mit einem etwas ins Rötliche gehenden Anflug versehen, das Fleisch ist ungemein saftig, zerläuft in reifem Zustand fast auf der Zunge und hat einen außerordentlich feinen Wohlgeschmack. Eine weitere Sorte mit einer gewissen Bedeutung ist die Ungarische Beste, welche angeblich von Heimkehrern aus dem 1. Weltkrieg aus Ungarn mitgebracht wurde und von daher den Namen erhalten hat.
Einige Pioniere und Fachleute gingen Ende der 60er Jahre daran, eine gewisse Selektion bezüglich Unterlagen und Sorten durchzuführen. Sieben verschiedene Typen von Vinschgauer Marillen wurden ausgewählt und der sogenannte Typ 1 wurde als der beste bezüglich Affinität und Ertrag herausgefunden. Ein besonderer Anlass, diese Arbeit voranzutreiben, war die schwere Entscheidung, was man nach der Flurbereinigung am Göflaner Schuttkegel pflanzen sollte. So wurden zwischen 1970 und 1972 auf rund 24 ha flurbereinigten Feldern Vinschgauer Marillen gepflanzt. Gut gemeint, aber leider sehr schlecht getroffen. Vermutlich mit der Einfuhr von Unterlagen wurde die gefährliche Scharka- oder Pockenkrankheit eingeschleppt. Es mussten über 20.000 Stück Bäume vernichtet werden. Spätestens seitdem klar war, dass der Kernobstbau bis 900 m ü. d. M. erfolgreich betrieben werden kann, wären die Marillenbäume, auch die gesunden, trotzdem gestorben.
Erfreulicherweise wurden am Nördersberg in den letzten Jahren wieder einzelne Neuanlagen erstellt, sodass die gute Hoffnung besteht, dass der Marillenanbau auf den Nörderberger Bauernhöfen weiterbestehen bleibt, da die Bestände gesund sind, zunehmende anbautechnische Erfahrung vorliegt und auch das Problem der richtigen Wasserversorgung beherrscht wird. Für die verbliebene Menge an Marillen werden im Einzelhandel bzw. für die Verwertung zufriedenstellende Preise erzielt.